Internet - Segen oder Fluch

Als kontroversen Internettyp mit dem rotgefärbten Irokesen kennt man ihn: Sascha Lobo, Blogger, "Spiegel"-Kolumnist. Gemeinsam mit Kathrin Passig, Bachmann-Preisträgerin 2006, Weblog riesenmaschine.de, hat er ein Buch geschrieben, das aktuelle Debatten rund um das Internet analysiert.

"Unbestreitbar: Das Netz verändert die Welt." Mit dieser Feststellung beginnen die Autoren das pathetisch betitelte Buch "Internet - Segen oder Fluch". Nicht hochtrabend, sondern intelligent, ironisch, kritisch und ausführlich analysieren Sascha Lobo und Kathrin Passig den Umgang mit dem Neuen und mit den aktuellen Dauerthemen Datenschutz, Privatsphäre und Urheberrecht. Sie schreiben vom Internet-Diskurs, der erstarrt ist, ritualisiert, sich im Kreis drehe.

Onliner und Offliner

Lobo und Passig sprechen die Netz-Begrifflichkeiten an, den digitalen Graben, der zwischen Onlinern und Offlinern aufklafft, zwischen Digital Natives und Digital Immigrants, Digital Residents und Digital Visitors - und wie sie sonst noch genannt werden.

Gut beschrieben sind die sieben Gruppen, in die eine Deutschen Studie die digitale Gesellschaft sinusmilieu-ähnlich einteilt: Wir lernen kennen Internet-ferne Verunsicherte, Ordnungsfordernde Internet-Laien, Verantwortungsbedachte Etablierte, Postmaterielle Skeptiker, Effizenzorientierte Performer, Unbekümmerte Hedonisten und Digital Souveräne. Eine Einteilung zum Schmunzeln, aber nicht zum Anwenden, denn: Nach Lobo und Passig erschweren derartige Begrifflichkeiten die Diskussion, die ohnehin schon von Metaphern belastet ist.

Zahlreiche Metaphern

"Ein Gespräch setzt voraus, dass der anderer Recht haben könnte", zitiert Sascha Lobo in einem Interview den Philosophen Hans Georg Gadamer - passend zur oft fehlgeführten Debatte, wenn es um das verfluchte Internet geht. Es scheint, egal ob Internetverweigerer oder Netzaktivist, dass keiner die Meinung des anderen hören möchte.

So zitieren die Autoren einen Twitter-User, dessen Metapher viel Interpretationsspielraum lässt. Metaphern waren vor allem in den 1990er Jahren in Mode, um das Phänomen Internet - noch bevor man es als Fluch oder Segen abstempeln konnte - zu veranschaulichen. Der Begriff, im Internet "surfen", wurde angeblich erstmals in einem amerikanischen Bibliotheksmagazin 1992 verwendet. Eine Bibliothekarin hatte auf einem Mousepad gearbeitet, auf dem ein Surfer auf einer Welle, ein "Information Surfer" abgebildet war.

Der Surfer, der auf und zwischen Informationswellen reitet, cruist mittlerweile auf Datenautobahnen mit Stoppschildern, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Verkehrsregeln und Netzsperren. Angelehnt an Wittgensteins Satz "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt", raten die Autoren, sich nicht in Metaphernwelten zu bewegen, die auf Datenhighways ihre Kreise ziehen. Lobo und Passig listen einige verschrobene Internetvergleiche auf:

Beschleunigungsdebatte als Stellvertreterkrieg

In Russ-Meyer Manier betitelt ist das Kapitel "Faster Pussycat", es dreht sich um die flotte dauervernetzte digitale Welt, um die technikgetriebene Beschleunigung. Lobo und Passig sehen die Beschleunigungsdebatte als Stellvertreterkrieg, nicht die technischen Entwicklungen seien das Problem, es gehe mehr um die Umstrukturierungen in der Familie und den gesellschaftlichen Wandel. So sei die Wahrnehmung, dass sich das Leben unangenehm beschleunigt habe, auf die reale Zunahme der kombinierten Arbeitsverpflichtungen aller Familienmitglieder zurückzuführen, nicht auf die Veränderung der Arbeitszeit des Einzelnen.

Die Menge an Informationen im Netz wächst rasant, die Informationen verdoppeln sich – je nach Schätzung - alle eineinhalb bis fünf Jahre. Kulturpessimistisches Unbehagen vor zu viel Information gab es schon im 14. Jahrhundert, ein italienischer Dichter warnt vor der Erfindung des Buchdrucks davor, dass bald "jeder Narr Bücher machen wolle" und auch im 19. Jahrhundert wird noch vor Lesesucht gewarnt. Dass viele Informationen und die Weisheit Vieler im Netz positiv sein kann, dafür bringen die Autoren ein paar Beispiele:

Das Citizen Science-Projekt "Galaxy Zoo" etwa, bei dem Internetuser in einem Jahr über fünfzig Millionen Galaxien klassifiziert haben. Auch unter whats-the-score.org helfen User einer britischen Bibliothek beim Kategorisieren von Musikstücken.

Datenschutz

Nicht fehlen darf in Lobos und Passigs Buch das zweischneidige Thema Datenschutz.

"Internet, Segen oder Fluch" ist ein Buch sowohl für Internetverweigerer als auch für Netzeuphoriker, das keines der beiden Lager inhaltlich über- oder unterfordert, sondern in der Netzdebatte ein verfluchter Segen ist.

Service

Kathrin Passig, Sascha Lobo, "Internet. Segen oder Fluch", Rowohlt

Rowohlt - Internet. Segen oder Fluch

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