Politischer Umbruch in Mexiko

In Mexiko steht ein Regierungswechsel an. Bisher regierte der PAN, die "Konservative Partei der Nationalen Aktion", und sorgte mit einem offenen Kampf gegen die mexikanische Drogenmafia für Schlagzeilen. Am 1. Dezember übernimmt mit Enrique Pena Nieto ein Mitglied der einstmals regierenden, autoritären PRI die mexikanische Regierung. Kunst- und Kulturschaffende fürchten eine neuerliche Einschränkung der Meinungsfreiheit, Kontrolle und Zensur.

Kulturjournal, 27.11.2012

Drogenkriminalität an der Tagesordnung

"In diesem Land wachen wir täglich mit Dutzenden Meldungen über Entführungen und Morde auf, so viele, dass wir schon gar nicht mehr hinhören", erzählt die Theater- und Opernregisseurin Lorena Maza. "Das Theater hat die wichtige Aufgabe, diese Realität in eine andere Sprache zu transformieren, damit die Leute anfangen, wieder darüber nachzudenken. Wir haben die Bühne und das Publikum, wir haben eine Stimme, die müssen wir auch nutzen."

Die Regisseurin bringt in ihren Inszenierungen soziale Missstände wie käufliche Politiker, korrupte Justiz und die tägliche Drogenkriminalität in Mexiko auf die Bühne. Trotz ihrer politischen Theaterarbeit wurde sie bisher aber nie eingeschränkt oder gar zensiert, betont Lorena Maza. Im Gegenteil, 80 Prozent ihrer Produktionen seien durch staatliche Finanzierung entstanden.

"Dass wir hier eine völlige Meinungsfreiheit hätten, kann ich aber auch nicht sagen. Es werden Journalisten getötet, sowohl von den Drogenkartellen als auch vonseiten vieler Landesregierungen. Ich glaube, die Kultur genießt in diesem Land ein Privileg. Vor allem in der letzten Regierungsperiode des PAN ist die Förderung der Künstler stark gestiegen."

Fragwürdige Kunstförderung

Eine Einschätzung, die der in Wien und Mexiko lebende Schauspieler Kaveh Parmas nicht teilen kann. "Die einzigen Kulturmacher in diesem Land sind die beiden nationalen TV-Sender, deren Programm vor allem aus Telenovelas, Talkshows und Reality Soaps besteht. Viele Menschen hier kennen gar nichts anderes und wissen nicht einmal, was Kunst und Kultur wirklich ist", meint er.

Zurzeit ist Parmas in einer Produktion des mexikanischen Nationaltheaters engagiert - "eine der wenigen Theaterkompanien, die wirklich anspruchsvolles Theater machen. Für ein Land mit etwa 100 Millionen Einwohnern ist das ungeheuerlich", kritisiert er. Besser bestellt sei es um die Filmförderung. Mexiko habe sich in den letzten Jahren bereits einen Namen als Filmexportland gemacht, zuletzt mit dem Spielfilm "Infierno" über Drogenbanden und -kartelle. "Ein toll gemachter Film, der wie viele andere die allgegenwärtige Drogenproblematik aufgreift. Aber wer weiß, vielleicht wurde er sogar von der Drogenmafia selbst finanziert. Hier sind die Verbindungen so undurchsichtig, dass niemand weiß, wer wirklich auf welcher Seite steht", sagt Kaveh Parmas.

Zensur kritischer Literaturschaffender

Staatlichen Förderungen und dem damit verbundenen politischen Einfluss im Literaturbetrieb steht der Schriftsteller Tryno Maldonado äußerst skeptisch gegenüber. Im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern sei die Kunst- und Kulturförderung in Mexiko zwar relativ hoch, die Auswahl der geförderten Projekte jedoch fragwürdig. Literaturstipendien etwa würden nur an jene Schriftsteller vergeben, die freiwillig darauf verzichten, heikle politische Themen aufzugreifen.

Er selbst fügt sich solchen Vorgaben nicht und musste bereits erleben, wie mit unerwünschten kritischen Stimmen umgegangen wird: "2007 habe ich eine Erzählung darüber geschrieben, wie 2006 in Oaxaca ein monatelanger Aufstand der Lehrergewerkschaft von der Polizei brutal zerschlagen wurde. Die Erzählung erschien in einer Zeitschrift, von der kurze Zeit später alle Exemplare verschwunden waren. Auf höhere Anweisungen hin haben sie einfach alle Ausgaben im ganzen Land eingezogen und vernichtet. Das ist eine Art der Zensur, die man schon gar nicht mehr als subtil bezeichnen kann, das ist einfach nur eine völlig übertriebene Reaktion auf offene Meinungsäußerung und Kritik."

Anstehender Regierungswechsel

Wenn Enrique Pena Nieto am 1. Dezember die mexikanische Präsidentschaft antritt, wird der PRI - in etwas abgewandelter Form - neuerlich die Regierung des Landes übernehmen. Was dann kommt, ist für Tryno Maldonado nur die Fortsetzung jener autoritären Herrschaft, die in den 1970ern unter Gustavo Díaz Ordaz Tausende kritische Künstler und Studenten aus dem Land verbannte oder unter mysteriösen Umständen verschwinden ließ.

"Für viele Menschen meiner Generation steht der PRI synonym für Unterdrückung, Folter und vor allem für Zensur. Dieser Apparat wird sich jetzt neuerlich in Gang setzen. Pena Nieto kommt ja von der alten Schule des PRI, seine Politik wird also viel näher an Díaz Ordaz sein als an dem, was sie nun den 'neuen PRI' nennen." Viele Intellektuelle und Kunstschaffende äußern ähnliche Bedenken. Andere Teile der Bevölkerung hoffen hingegen, dass der PRI so wie früher wieder mit der Drogenmafia kooperiert und die blutigen Auseinandersetzungen bald ein Ende haben."

Welche politische Richtung Pena Nieto ab dem 1. Dezember auch einschlägt, schon jetzt, und bereits seit dem Wahlkampf, weht ihm ein scharfer Wind von Seiten linker Künstler und Intellektueller entgegen. Von Tausenden gekauften Wählerstimmen ist die Rede, von verschenkten Kreditkarten mit beachtlichen Guthaben und von anderen monetären Zuwendungen, im schmutzigen Kampf um die Stimmen jener Wählerinnen und Wähler, die in ihrer Armut leicht zu manipulieren sind.

Unabhängige Kunstförderung

Die starke Abhängigkeit von der Gunst der Regierung wird auch unter Kunstschaffenden immer wieder stark kritisiert. Im Bereich der bildenden Kunst haben sich seit einigen Jahren neue, unabhängige Tendenzen entwickelt. Zum Beispiel die Plattform SOMA in Mexikostadt. Abseits staatlicher Institutionen fördert sie zeitgenössische Kunstprojekte, bietet Unterstützung und Austausch, erzählt Ana María Sanchez:

"Wir bekommen keinerlei staatliche Unterstützung, weil wir sie gar nicht wollen. Wir halten uns lieber vom Einfluss der Regierung fern und sehen das natürlich auch als Statement. So haben wir völlige Entscheidungsfreiheit und können unsere künstlerische Mission unbeeinflusst realisieren. Wir glauben an den horizontalen Dialog statt an hierarchische Ordnung wie in den staatlichen Kunstakademien. Die beste Art, zeitgenössische Kunst zu fördern, ist der impulsive Dialog auf Augenhöhe. Das macht uns zu einer völlig unkonventionellen Alternative zu all den etablierten Institutionen, zumindest in Mexiko."

Bedrückende Prognosen

Für viele mexikanische Künstlerinnen und Künstler stellt diese Abkehr von offiziellen Institutionen die einzige Option unter der bevorstehenden Regierung dar. Der zukünftige Präsident, Enrique Pena Nieto machte während eines Wahlkampfbesuches auf der internationalen Buchmesse von Guadalajara zahlreiche Kulturschaffende auf sich aufmerksam. Er konnte die Frage eines Reporters nach den letzten drei Büchern, die er gelesen hatte, schlichtweg nicht beantworten.

"Es ist sehr traurig für die Kultur, einen Präsidenten zu haben, der quasi Analphabet ist. Ich übertreibe jetzt natürlich - oder auch nicht, ich weiß es nicht. Aber es ist wirklich traurig und beschämend", sagt Lorena Maza. Und Tryno Maldonado fügt hinzu: "Anfangs hab ich sehr darüber gelacht, aber wenn du genau darüber nachdenkst, in welcher Form diese Ignoranz und Torheit wohl seine Regierung beeinflussen werden, dann ist das alarmierend. Ich frage mich, wie eine Person mit solchen Voraussetzungen unser Land regieren will."