Die deutsche Frauenbewegung

Alice im Niemandsland

Sie begann als ein widerspenstiges Enfant Terrible und ist heute Trägerin zahlreicher Auszeichnungen wie etwa des deutschen Bundesverdienstkreuzes oder des Orde pour le Mérite: Alice Schwarzer, die populärste und zugleich umstrittenste Kämpferin in Sachen Feminismus, feiert im Dezember einen runden Geburtstag. Sie wird 70 Jahre alt.

Für die Journalistin und Historikerin Miriam Gebhardt steht eines fest: Alice Schwarzers große Popularität hat dem Feminismus geschadet. Trotz unbestrittener Verdienste nämlich habe die Meisterin der Selbstinszenierung Mitschuld am miserablen Zustand der Frauenbewegung heute. Außerdem trägt sie, ohne es zu wissen, einigen historischen Ballast mit sich herum.

Symbolfigur für den Feminismus

Das Problem mit Alice Schwarzer ist, dass man nicht über sie schweigen kann. Die wohl prominenteste Frauenrechtlerin der Gegenwart fungiert - in Deutschland jedenfalls - seit Jahrzehnten als Symbolfigur für den Feminismus insgesamt. Die Medien stürzen sich auf sie als vielgeliebtes Hassobjekt, und egal, was Alice Schwarzer tut oder sagt, es wird immer gern kommentiert.

Durch konsequente Selbstvermarktung ist der Name "Schwarzer" zum allesverschlingenden Markennamen geworden, urteilt die Historikerin und Journalistin Miriam Gebhardt. Ähnlich wie der Name "Tempo" für Papiertaschentücher, stehe "Schwarzer" für Feminismus, und das sei in Deutschland ein Verhängnis.

Abrechnung mit Schwarzer

"Alice im Niemandsland" beginnt wie eine große Abrechnung punktgenau zum anstehenden 70. Geburtstag Alice Schwarzers. Miriam Gebhardt attestiert der deutschen Frauenbewegung Rückständigkeit, Theorieferne, Verknöcherung, und sie macht nicht zuletzt Alice Schwarzers Medienpolitik und ihre ideologische Starrsinnigkeit für diesen Niedergang verantwortlich. Denn inhaltlich habe sich Alice Schwarzer in den letzten 40 Jahren kaum bewegt. Für sie und die von ihr herausgegebene Zeitschrift "Emma" ist klar, dass Frauen Opfer sind und Männer Täter. In diesem Weltbild können sich die wenigsten Frauen der jüngeren Generation wiederfinden. Weil aber Schwarzer in ihrem Alleinvertretungsanspruch so präsent ist, arbeitet sich die öffentliche Debatte immer noch an einem rückständigen Bild des Feminismus ab.

Teil des Dilemmas ist aber nicht nur die Medienpräsenz Schwarzers, sondern auch eine Geschichtsvergessenheit. Denn eigentlich, so meint Gebhardt, kämpft die Frauenbewegung seit ihrem Beginn mit einem Widerspruch, von dem auch Alice Schwarzers Feminismus nur eine Seite ist. Mit der beginnenden Moderne müssen sich die Frauen nämlich zwischen zwei gewichtigen Sätzen entscheiden: "Alle Menschen sind gleich" und "Frauen sind anders als Männer".

Gebhardt verfolgt das Wechselspiel dieser beiden Imperative eines "Ändere dich gefälligst"-Gleichheitsfeminismus und eines "Werde, wer du bist"-Differenzfeminismus wie zwei rote Fäden durch die Geschichte der Frauenbewegung hindurch. Der Widerspruch markiert die Pionierinnen Olympe de Gouges und Mary Wollstonecraft ebenso wie das sozialistische und das bürgerliche Lager der ersten Frauenbewegung, und er reicht, so meint Gebhardt, bis in die Gegenwart.

Historischer Abriss

In seinem Mittelteil ist Gebhardts Buch ein materialreicher und gut erzählter historischer Abriss, in dem man einiges erfährt, zum Beispiel, wie es in der Frauenbewegung zum Ausschluss der Männer kam oder worin sich der amerikanische Feminismus vom europäischen unterscheidet.

Diesen historischen Erzählungen fügt Gebhardt dann eine ausführliche Analyse von Alice Schwarzers "apokaplytischem Opferfeminismus" an, der strikt dem "Ändere dich gefälligst"-Imperativ der Gleichheit verhaftet bleibt. Gebhardt widmet sich auch den Selbstinszenierungen Alice Schwarzers und nimmt deren im letzten Jahr erschienene Autobiografie "Lebenslauf" unter die Lupe. In "Lebenslauf" stellt sich Schwarzer beispielsweise als Kind des antifaschistischen Widerstands dar, sie deutet sich als mutterlose Tochter und zeichnet sich als fesche Pubertierende:

Die Falle der Medienlogik

Eigentlich stecken in "Alice im Niemandsland" zwei Bücher. Eines behandelt die widersprüchliche Geschichte der Frauenbewegung - und hier verfolgt Gebhardt die These, dass der Feminismus seine Selbstblockade nur überwinden kann, wenn er sich vom Widerspruch des "Ändere dich" versus "Werde die du bist" verabschiedet. Der Feminismus muss an Vielstimmigkeit gewinnen.

Das andere Buch, das in "Alice im Niemandsland" steckt, ist die akribische und entnervte Auseinandersetzung mit Alice Schwarzer. Doch ehrlich gefragt: Wie oft wollen wir noch Attacken gegen Deutschlands omnipräsente Feministin lesen? Ist eine eingehende Analyse ihrer allzu offensichtlichen Inszenierungen und Selbstpropaganda überhaupt nötig? Gebhardts empörte Tirade über den katastrophalen Zustand des deutschen Feminismus ist übertrieben und wirkt wie künstlich eingefügt. Es ist, als habe der Verlag der Autorin abverlangt, zum Zweck besserer Vermarktbarkeit eine scharfe Polemik voranzustellen. In dieser Hinsicht geht Miriam Gebhardt genau in die Falle der Medienlogik, die sie selber kritisiert: Sie macht - wieder einmal - Alice Schwarzer zum Mittelpunkt des deutschen Feminismus.

Service

Miriam Gebhardt, "Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor", DVA

DVA - Alice im Niemandsland