Die deutsche Frauenbewegung
Alice im Niemandsland
Sie begann als ein widerspenstiges Enfant Terrible und ist heute Trägerin zahlreicher Auszeichnungen wie etwa des deutschen Bundesverdienstkreuzes oder des Orde pour le Mérite: Alice Schwarzer, die populärste und zugleich umstrittenste Kämpferin in Sachen Feminismus, feiert im Dezember einen runden Geburtstag. Sie wird 70 Jahre alt.
27. April 2017, 15:40
Für die Journalistin und Historikerin Miriam Gebhardt steht eines fest: Alice Schwarzers große Popularität hat dem Feminismus geschadet. Trotz unbestrittener Verdienste nämlich habe die Meisterin der Selbstinszenierung Mitschuld am miserablen Zustand der Frauenbewegung heute. Außerdem trägt sie, ohne es zu wissen, einigen historischen Ballast mit sich herum.
Symbolfigur für den Feminismus
Das Problem mit Alice Schwarzer ist, dass man nicht über sie schweigen kann. Die wohl prominenteste Frauenrechtlerin der Gegenwart fungiert - in Deutschland jedenfalls - seit Jahrzehnten als Symbolfigur für den Feminismus insgesamt. Die Medien stürzen sich auf sie als vielgeliebtes Hassobjekt, und egal, was Alice Schwarzer tut oder sagt, es wird immer gern kommentiert.
Durch konsequente Selbstvermarktung ist der Name "Schwarzer" zum allesverschlingenden Markennamen geworden, urteilt die Historikerin und Journalistin Miriam Gebhardt. Ähnlich wie der Name "Tempo" für Papiertaschentücher, stehe "Schwarzer" für Feminismus, und das sei in Deutschland ein Verhängnis.
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In einem Land, das sich generell schwer tut mit weiblichem Intellekt und weiblicher Meinungsführung, ist Schwarzer nun schon seit fast vier Jahrzehnten fast die einzige feststehende weibliche Größe im Medienbetrieb. (...) Wenn den Redakteuren nichts mehr einfällt, heißt es, ruf doch mal die Feministin an, die regt sich bestimmt über irgendetwas auf. (...) Alice Schwarzer und das deutsche Fernsehpublikum, das ist wie ein altes Ehepaar. Jeder weiß, was als Nächstes kommt. Ihre Rolle ist die des alten Bären am Nasenring in der Fußgängerzone, dem zuliebe die Kinder so tun, als würde er sie erschrecken.
Abrechnung mit Schwarzer
"Alice im Niemandsland" beginnt wie eine große Abrechnung punktgenau zum anstehenden 70. Geburtstag Alice Schwarzers. Miriam Gebhardt attestiert der deutschen Frauenbewegung Rückständigkeit, Theorieferne, Verknöcherung, und sie macht nicht zuletzt Alice Schwarzers Medienpolitik und ihre ideologische Starrsinnigkeit für diesen Niedergang verantwortlich. Denn inhaltlich habe sich Alice Schwarzer in den letzten 40 Jahren kaum bewegt. Für sie und die von ihr herausgegebene Zeitschrift "Emma" ist klar, dass Frauen Opfer sind und Männer Täter. In diesem Weltbild können sich die wenigsten Frauen der jüngeren Generation wiederfinden. Weil aber Schwarzer in ihrem Alleinvertretungsanspruch so präsent ist, arbeitet sich die öffentliche Debatte immer noch an einem rückständigen Bild des Feminismus ab.
Teil des Dilemmas ist aber nicht nur die Medienpräsenz Schwarzers, sondern auch eine Geschichtsvergessenheit. Denn eigentlich, so meint Gebhardt, kämpft die Frauenbewegung seit ihrem Beginn mit einem Widerspruch, von dem auch Alice Schwarzers Feminismus nur eine Seite ist. Mit der beginnenden Moderne müssen sich die Frauen nämlich zwischen zwei gewichtigen Sätzen entscheiden: "Alle Menschen sind gleich" und "Frauen sind anders als Männer".
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Im Feminismus geht es von Anbeginn an um die Debatte, ob alle Menschen gleich sind beziehungsweise sein sollten, ober ob die Andersartigkeit und Differenz der Geschlechter nicht (...) die Lösung darstellt. (...) Aus den unterschiedlichen Grundannahmen entstehen ganz verschiedene Vorstellungen von Emanzipation. Während die einen sagen: "Frauen, ihr seid zu viel Frauen und zu wenig Mensch", meinen die anderen: "Frauen, erkennt euch selbst." Die Emanzipation der ersten Position besteht in einer Reduzierung von Weiblichkeit, die als reine Äußerlichkeit verstanden wird, die zweite (...) Variante wehrt sich genau gegen diese Zumutung und versteht unter Emanzipation eine Steigerung von Weiblichkeit.
Gebhardt verfolgt das Wechselspiel dieser beiden Imperative eines "Ändere dich gefälligst"-Gleichheitsfeminismus und eines "Werde, wer du bist"-Differenzfeminismus wie zwei rote Fäden durch die Geschichte der Frauenbewegung hindurch. Der Widerspruch markiert die Pionierinnen Olympe de Gouges und Mary Wollstonecraft ebenso wie das sozialistische und das bürgerliche Lager der ersten Frauenbewegung, und er reicht, so meint Gebhardt, bis in die Gegenwart.
Historischer Abriss
In seinem Mittelteil ist Gebhardts Buch ein materialreicher und gut erzählter historischer Abriss, in dem man einiges erfährt, zum Beispiel, wie es in der Frauenbewegung zum Ausschluss der Männer kam oder worin sich der amerikanische Feminismus vom europäischen unterscheidet.
Diesen historischen Erzählungen fügt Gebhardt dann eine ausführliche Analyse von Alice Schwarzers "apokaplytischem Opferfeminismus" an, der strikt dem "Ändere dich gefälligst"-Imperativ der Gleichheit verhaftet bleibt. Gebhardt widmet sich auch den Selbstinszenierungen Alice Schwarzers und nimmt deren im letzten Jahr erschienene Autobiografie "Lebenslauf" unter die Lupe. In "Lebenslauf" stellt sich Schwarzer beispielsweise als Kind des antifaschistischen Widerstands dar, sie deutet sich als mutterlose Tochter und zeichnet sich als fesche Pubertierende:
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Ihre Teenagerzeit schildert Schwarzer schwungvoll und mit offenkundigem Gefallen an dem heranwachsenden Mädchen. Der erste Kuss, die Tanzschule, die Mutation vom "staksigen Mädchen" zur "strahlenden Blondine" sind Themen, die ihr in der Rückschau (...) besonders am Herzen zu liegen scheinen. Es ist ihr ganz offensichtlich wichtig, sich als "normale" und "attraktive" junge Frau zu porträtieren, nachdem ihr im späteren Leben der Ruf der Brille tragenden Lesbe angehängt werden sollte.
Die Falle der Medienlogik
Eigentlich stecken in "Alice im Niemandsland" zwei Bücher. Eines behandelt die widersprüchliche Geschichte der Frauenbewegung - und hier verfolgt Gebhardt die These, dass der Feminismus seine Selbstblockade nur überwinden kann, wenn er sich vom Widerspruch des "Ändere dich" versus "Werde die du bist" verabschiedet. Der Feminismus muss an Vielstimmigkeit gewinnen.
Das andere Buch, das in "Alice im Niemandsland" steckt, ist die akribische und entnervte Auseinandersetzung mit Alice Schwarzer. Doch ehrlich gefragt: Wie oft wollen wir noch Attacken gegen Deutschlands omnipräsente Feministin lesen? Ist eine eingehende Analyse ihrer allzu offensichtlichen Inszenierungen und Selbstpropaganda überhaupt nötig? Gebhardts empörte Tirade über den katastrophalen Zustand des deutschen Feminismus ist übertrieben und wirkt wie künstlich eingefügt. Es ist, als habe der Verlag der Autorin abverlangt, zum Zweck besserer Vermarktbarkeit eine scharfe Polemik voranzustellen. In dieser Hinsicht geht Miriam Gebhardt genau in die Falle der Medienlogik, die sie selber kritisiert: Sie macht - wieder einmal - Alice Schwarzer zum Mittelpunkt des deutschen Feminismus.
Service
Miriam Gebhardt, "Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor", DVA
DVA - Alice im Niemandsland