"Echoroman" von Andrej Bitow

Der Symmetrielehrer

Der 1937 geborene Andrej Bitow hat als Avantgardist der Sowjetunion getrotzt. Sein großer parodistischer Roman "Das Puschkinhaus", entstanden in der Tauwetterperiode Anfang der 1970er Jahre, trug ihm ein Publikationsverbot ein. Einige der Geschichten aus "Der Symmetrielehrer" stammen ebenfalls aus den 1970er Jahren, Bitow hat den Novellenkranz dann immer weiter geschrieben.

Wer ruft, wer echot?

Wenn ein altgedienter avantgardistischer Hase wie Andrej Bitow in den Wald der Literatur hineinruft, dann schallt es gleich auf einigen hundert Seiten zurück. Einen "Echoroman" hat der textverspielte Russe mit "Der Symmetrielehrer" vorgelegt. Ach nein: Das Buch stamme, behauptet er, gar nicht von ihm. Bitows Erzähler will das Buch lediglich "aus dem Ausländischen" übersetzt haben.

Das Original "The Teacher of Symmetry" wurde, so tut gleich die allererste Seite kund, in London verlegt. Die Jahresangabe fehlt, der Autor heißt A. Tired-Boffin. Nun ist der Name dieses Mannes, der sich als "ein müder Stubengelehrter" übersetzen lässt, auch ein Anagramm von Andrej Bitow - sofern man den russischen Namen mit zwei "f" am Ende transkribiert -, weshalb "Der Symmetrielehrer" von Anfang an im Unklaren lässt, wer in ihm eigentlich ruft und wer echot: Der Autor gibt sich als Übersetzer aus und schiebt als Autor einen Stubengelehrten vor, hinter dem sich offenbar niemand anders als er selbst verbirgt. Das ist die erste Lektion in Bitowscher Symmetrie. Sie ist eine ziemlich vertrackte Angelegenheit.

Erinnerungen an Erzählungen

Eine poetologische Einführung in die Symmetrie liefert das Vorwort des Echoromans. Der "Übersetzer" verrät in ihm, dass er in seinen "vor-schriftstellerischen Zeiten" während einer langen Expedition Kollegen-Geschichten aus einem englischen Buch habe erzählen müssen, die er trotz eines Wörterbuches nur halb verstanden hatte, daher ausschmückte und aufschrieb. Zehn Jahre später habe ein "unglaubliches Erlebnis" die Erinnerung an eine dieser Erzählungen aus dem längst vergessenen Buch geweckt, worüber ihm allerdings zugleich das auslösende "unglaubliche Erlebnis" entfiel. Er habe dann seine Aufzeichnungen der Erzählungen von damals wiedergelesen, und seitdem gingen sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Den Namen des Autors aber habe er vollständig vergessen.

Um das "aufdringliche Buch" wieder loszuwerden, habe er "beiläufig" angefangen, die Geschichten erneut zu übertragen, nicht ohne hin und wieder, wie damals, etwas dazu zu erfinden. Und nun belasteten ihn statt der Erinnerungen an das Buch die Papiere, und er hoffe, "das Ganze endgültig" mit der Veröffentlichung von "Der Symmetrielehrer" vergessen zu können. Also Manege frei für eine Literatur, die mal mündlich, mal schriftlich als stille Post funktioniert und den jeweils letzten Autor, den jeweils letzten Anlass zum Geschichtenerzählen einfach auslöscht.

Freude an Sprachstrukturen

Damit ist das Vorwort allerdings keinesfalls zu Ende. Die Geschichten werden nämlich - von wem, bleibt etwas unklar - in einer Tabelle englischen Zeiten und ihren Modi zugeordnet. Die Novelle "Die Ansicht des Himmels über Troja" (womit das antike Troja gemeint ist) findet sich unter "Past continous", "Die posthumen Papiere des Tristram-Klubs", dessen Mitglieder einander ungeschriebene Romane erzählen, dagegen in der Zeit "Future in the Past". Allerdings enthält "Der Symmetrielehrer" nicht alle Erzählungen aus der Zeitentabelle, ihre Titel hat der Übersetzer sämtlich geändert und die Zeiten sowieso; solche grammatikalischen Kuriositäten seien im Russischen unübersetzbar.

Diese Freude an Sprachstrukturen bei gleichzeitigem anarchischem Umgang mit ihnen prägt die Erzählungen. Kalauer und Scherze, Digressionen und Allusionen jeder Art jagen einander und stehen doch im Dienst eines Nachdenkens über die Logik, das Erzählen, die Liebe, die Freiheit und das Glück. Die Gespräche eines Narren namens Gummi mit dem Wissenschaftler Dr. Davin taumeln an der Grenze zwischen Scharf- und Unsinn entlang, am Ende aber erweist sich die etwas ungewöhnliche Angabe des Narren, er stamme vom Mond, als vermutlich wahr - wie sonst hätte sich der Arme fern jedes Turmes oder Luftschiffes so in den Erdboden bohren können, dass jeder Knochen seines Leibes zermalmt ist?

Seltsam auch die Novelle über den Mann, der als britischer König seiner französischen Frau zuliebe in Paris lebt und sich dann plötzlich als Text- und Bildredakteur der "Encyclopedia Britannica" entpuppt, der die Vergangenheit nach Kräften umschreibt.

Geschichten nach Zeitentabelle

Damit ist das Vorwort allerdings keinesfalls zu Ende. Die Geschichten werden nämlich - von wem, bleibt etwas unklar - in einer Tabelle englischen Zeiten und ihren Modi zugeordnet. Die Novelle "Die Ansicht des Himmels über Troja" (womit das antike Troja gemeint ist) findet sich unter "Past continous", "Die posthumen Papiere des Tristram-Klubs", dessen Mitglieder einander ungeschriebene Romane erzählen, dagegen in der Zeit "Future in the Past". Allerdings enthält "Der Symmetrielehrer" nicht alle Erzählungen aus der Zeitentabelle, ihre Titel hat der Übersetzer sämtlich geändert und die Zeiten sowieso; solche grammatikalischen Kuriositäten seien im Russischen unübersetzbar.

Diese Freude an Sprachstrukturen bei gleichzeitigem anarchischem Umgang mit ihnen prägt die Erzählungen. Kalauer und Scherze, Digressionen und Allusionen jeder Art jagen einander und stehen doch im Dienst eines Nachdenkens über die Logik, das Erzählen, die Liebe, die Freiheit und das Glück. Die Gespräche eines Narren namens Gummi mit dem Wissenschaftler Dr. Davin taumeln an der Grenze zwischen Scharf- und Unsinn entlang, am Ende aber erweist sich die etwas ungewöhnliche Angabe des Narren, er stamme vom Mond, als vermutlich wahr - wie sonst hätte sich der Arme fern jedes Turmes oder Luftschiffes so in den Erdboden bohren können, dass jeder Knochen seines Leibes zermalmt ist?

Seltsam auch die Novelle über den Mann, der als britischer König seiner französischen Frau zuliebe in Paris lebt und sich dann plötzlich als Text- und Bildredakteur der "Encyclopedia Britannica" entpuppt, der die Vergangenheit nach Kräften umschreibt.

Übersetzung der Übersetzung

Es gleitet und schiebt in diesen Geschichten, weil der schlüpfrige Untergrund aus nichts anderem als Sprache besteht - pardon: aus nichts anderem als Sprachen, denn Bitow macht sich die Unterschiede und Bedeutungsverschiebungen zwischen Russisch und Englisch samt den literarischen Referenzsystemen intensiv zunutze. Rosemarie Tietze scheint ihm in der deutschen Übersetzung kaum etwas schuldig zu bleiben, und notfalls, aber auch ohne Not greifen beide Übersetzer zu "prosaischen", "bemerkenswerten" oder auch "allerspätesten" Anmerkungen. So überlagern und überschneiden sich beständig Übersetzung, Übersetzung der Übersetzung, Lesarten - und möglicherweise auch das vergessene Original.

In den 1970er Jahren entstanden die ersten Erzählungen des "Symmetrielehrers". Der 1937 in Leningrad geborene Bitow schreibt, so Rosemarie Tietze in einer editorischen Nachbemerkung, "im Grunde (...) sein Leben lang einen einzigen Roman". Bitow will die Symmetrie von Leben und Roman und lässt einen seiner Erzähler klagen, er bekomme sein Sujet Russland nicht in den Griff. Russland sei nämlich der "Versuch Gottes, die Zeit durch den Raum zu ersetzen", es sei endlos, ein Sujet aber verlange Endlichkeit. Unter Sujet versteht "Übersetzerkollege Bitow", merkt Tietze an, die Übereinstimmung von Grundgedanke und Konstruktion. Ein Übersetzer muss also die göttliche Unendlichkeit begrenzen. Das ist seinerseits ein prinzipiell unendliches Unterfangen - und erweist sich zuweilen leider als rechte Last für Bitows quirlige Witzeleien und gedankenreiche Spaziergänge durch Welten aus Sprache.

Service

Andrej Bitow, "Der Symmetrielehrer", Deutsch von Rosemarie Tietze, Suhrkamp Verlag

Suhrkamp - Der Symmetrielehrer