Jura Soyfer und die Linke
Jura Soyfer - ein Kommunist? Die Indienstnahme von Schriftstellern für Ideologien im Jahrhundert der Extreme war eine Zeitlang im Schwange. Wem gehört Jury Soyfer eigentlich - der Linken, den Kommunisten, den Lesern und Theaterbesuchern? Aber: zahlreiche seiner Gedichte sind tatsächlich unmittelbare politische Polemik, seine Stücke zeitbezogene politische Agitation plus Vision.
8. April 2017, 21:58
War Links-Sein im 20. Jahrhundert für einen Schriftsteller eine Notwendigkeit, oder eher ein Hindernis für uns Heutige, die sich mit dem Marxismus nicht mehr herumschlagen wollen? Dazu der Wiener Politologe und Philosoph Alfred Pfabigan, der sich ausführlich mit Kultur und Politik der 1. Republik befasst hat:
"Nein, der Marxismus war für Schriftsteller damals sicherlich etwas Inspirierendes; das Akzeptieren der Ideen des Klassenkampfes brachte ganz neue Plots hervor. Das ist allerdings bei jeder politischen Bewegung so. Neue Ideologien, neue Wirtschaften bringen immer neue literarische Stoffe hervor. Literatur hört nie auf - von der hermetischen abgesehen - sich daran zu bereichern.
Im Roten Wien
Im Fall von Jura Soyfer, der als Kind mit seinen bürgerlichen Eltern aus dem ukrainischen Charkow vor der Oktoberrevolution und Bürgerkrieg geflohen war, ist anfangs alles klar: Der "Verband Sozialistischer Mittelschüler", dem er 1927 beitrat, war vom Roten Wien der Sozialdemokratie überzeugt. Warum hätte sich Soyfer für den Moskauer Bolschewismus ereifern sollen? Die Sozialdemokratie stand vor Ort für Moderne und Soyfer war ein Spötter gegen überkommene Lebensformen und Patriarchales aller Art.
Attraktiv wurde der Kommunismus für ihn erst in den 1930er Jahren - im Angesicht des triumphierenden Faschismus, dem er schließlich zum Opfer fiel. "Jura Soyfer gilt als Kommunist", so Pfabigan, "wobei man sagen muss, dass sein Biograf Horst Jarka nur ein relativ schmales Indiz für diese Mitgliedschaft Soyfers hat, nämlich ein Interview mit einem Freund Soyfers. Man hat gesagt, Soyfer hätte mit einem Vertreter der Komintern gesprochen und gesagt. 'Von jetzt an bin ich Kommunist!'"
Komintern, die Kommunistische Internationale, war der länderübergreifende Bund kommunistischer Parteien nach der Vorstellung von Lenin und Stalin. Jury Soyfer ist wortreich links und "revolutionär" schon als Gymnasiast, vor allem in seinen Briefen. Wenn er etwa an seine Freundin Marika Szecsi über seine Maturaarbeit schreibt:
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Der proletarische Aufbau wird über die Trümmer des zerschmettern Kapitalismus schreiten! Hoppauf! Jeden Nachmittag 2 - 9 arbeiten! Leckmimaasch!
Der antibürgerliche Rabauke
Wer der tatsächliche Feind ist, ist klar: Rechts. Der 19-jährige Soyfer ist ein Antifaschist, der gerne und wortspielend die Pose des antibürgerlichen Rabauken einnimmt.
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Wer Wien hakenkreuzigen will, der frage erst unsere Fäuste.
Als der Germanistikstudent und Journalist in spe 1932 aus Deutschland für die "Arbeiterzeitung" über die Umtriebe der Nazis berichtet, beherrscht er die marxistische Rhetorik von Klassenkampf und politischer Taktik schon vollends.
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Die deutsche Arbeiterschaft wäre ja unbesiegbar, wenn sie in einer Front stünde. Aber unglückseliger Starrsinn hält an der Spaltung der Arbeiterklasse fest - in der Stunde, da die apokalyptischen Reiter des Dritten Reiches durch Deutschlands Lande rasen.
Wendepunkt Bürgerkrieg 1934
Soyfer befindet sich inmitten jenes Weltbürgerkrieges der Ideologien und Mächte, der Europa in der Mitte des 20. Jahrhunderts in einen verheerenden Trümmerhaufen samt Massenmorden verwandelt. Zum Wendepunkt wird für ihn der österreichische Bürgerkrieg des Februar 1934 mit seinen fast 2.000 Toten und Verwundeten auf beiden Seiten. Haben die Sozialdemokraten - trotz aller klassenkämpferischen Rhetorik - gegen den christlich-sozialen Austrofaschismus nur versagt, weil sie zu wenig radikal waren?
Tatsächlich erfolgte damals ein massenhafter Übertritt von den Sozialisten zu den Kommunisten. Und genau diesen Schritt habe auch Jura Soyfer getan. Das behauptete später zumindest der hohe Parteifunktionär der KPÖ Franz Marek. Nach Soyfers Besuch bei Otto Bauer, dem Führer der Sozialisten, in dessen Brünner Exil, habe Soyfer konstatiert:
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Der Austromarxismus hatte vor den Kräften des Gegners mehr Respekt als vor denen der Arbeiterklasse. Für ihn heißt denken stets bedenken.
Das war damals der übliche Vorwurf gegenüber der Parteiführung der Sozialisten: sie hätten nur "Sonntagsrevolutionen" gepredigt, anstatt die Pflicht zum Widerstand ernst zu nehmen.
Alfred Pfabigan ist skeptisch bei der Behauptung, Soyfer sei 1935 Mitglied der KPÖ geworden: "Zwischen den revolutionären Sozialisten, diffusen Linken Gruppen und der KP hat damals ein derartiger Wirr-Warr geherrscht, dass man das überhaupt nicht so präzise bestimmen kann, wer gehört überhaupt zu welcher Gruppe?"
So starb eine Partei
Wie immer die Mitarbeit des angeblichen "Kommunisten" Soyfer an illegalen Aktionen der verbotenen Partei beschaffen sein mochte, die Gegnerschaft zwischen den Sozialisten und den Kommunisten, die sich in all ihren Aktionen an Moskaus stalinistische Vorgaben hielten, sei nicht nur groß gewesen, sondern auch ideologisch bestimmbar, meint Pfabigan:
"Es gibt aber ästhetische Kennzeichen - oder sagen wir: ideologische Kennzeichen - und dazu gehört die vernichtende Kritik an der sozialdemokratischen Führung als Sozialfaschisten, dazu gehört die permanente Denunziation der Sozialdemokratie als der helfenden Hand des Kapitalismus, und dazu gehört schließlich der positive Kommunist, weil kommunistische Literatur häufig einem Entwicklungsromanschema folgt - und das ist alles bei Soyfer nirgends gegeben!"
Soyfers unter dem Austrofaschismus entstandenes Theater unterlag der Zensur, kommunistische Parteiliteratur schrieb er nie. Das treffe auch auf das nach dem verlorenen Bürgerkrieg entstandene Romanfragment "So starb eine Partei", das die Vorgeschichte der Katastrophe von 1934 aufrollt, zu.
Soyfers größte Leistung ist für Alfred Pfabigan, "wie er diese Sozialdemokratie verstanden hat. Und zwar wie er verstand, wie sich eine innerparteiliche Wirklichkeit und innerparteiliche Herrschaftsmechanismen auf das Verhalten der Protagonisten auswirken. Das ist eine schöne und gelungene Schilderung, die sehr viele Mythologeme um den neuen Menschen, der solidarisch handelt, und Ahnliches zerstört. Das hat mir gut gefallen."
Spott für die Kommunisten
Der neue Mensch ist nicht nur der alte Adam - jetzt halt rot gefärbt. "So starb eine Partei" führt Zwiespältigkeit, Niedertracht und Herabgekommenheit der sozialistischen Nomenklatura vor: "Positive" Figuren kommen kaum vor. Bezeichnend ist allerdings der Spott, den Soyfer beim Vergleich von Wiener Sozialisten und Kommunisten für Letztere aufbringt:
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Man empfand das gedämpfte Unbehagen einer reichen Familie, die arme Verwandte empfangen muß.
Die reiche Familie, das ist die Sozialdemokratie, das ist das Rote Wien. Wovon also träumte Jura Soyfer? Linkssozialistisch? "Es ist wohl eher die Idee einer geeinten universellen Linken, die möglicherweise von bestimmten Rechtssozialisten sich trennt", meint Pfabigan, "und in der Kommunisten etwas mitzureden haben. Aber es ist nicht eine kommunistische Partei unter der Führung von Kopplenig. Es ist einfach der Mangel an Charismatikern, wenn wir von Ernst Fischer absehen, der die damalige Kommunistische Partei ausgezeichnet hat, und der Mangel an Intellektuellen und der Mangel an Humor und ästhetischem Verstand. Das sind Dinge, die in der Sozialdemokratie durchaus vorhanden waren."
Was wäre wenn
Den zur KP übergewechselte Sozialdemokraten, die nach 1934 in die Sowjetunion flohen, war ein tragisches Schicksal beschieden: Dort anfänglich als "Schutzbundowtsi" stürmisch begrüßt, fiel ein beträchtliche Anzahl dem Stalinschen Terror zum Opfer. Sozialdemokraten galten den Kommunisten noch immer als Sozialfaschisten, als Gegner - schlimmer als die Nazis. Dieses Schicksal blieb Jura Soyfer erspart - er fiel den Nationalsozialisten zum Opfer.
Was-wäre-wenn-Fragen sind in der Geschichte einerseits nicht erlaubt, andrerseits wissen wir auch nicht, wie die Vergangenheit wirklich war. Geschichte ist immer eine Konstruktion, eine Frage der Akzente.
Fragen wir also: Hätte Soyfer überlebt, wäre er ein kommunistischer, gar ein stalinistischer Autor geworden? Wäre er in einem kommunistischen Österreich oder im Fall der Emigration in die Sowjetunion dort nicht erst recht späteren "Säuberungen" zum Opfer gefallen? Wäre er als Jude in Moskau - wie das bei einer Reihe von Mitgliedern des "jüdischen antifaschistischen Komitees" unter Stalin der Fall war - gar ermordet worden? War Soyfer, der große Tragödien mit subtil kleinen Bildern beschrieb, überhaupt zu romantisch, um Kommunist zu sein? Als Parteiliteratur taugt jedenfalls nicht, was er über seine letzten Jahre schrieb:
Zitat
Und was uns blieb, war nicht mehr, als uns bliebe,
Hätt' ein Jahrzehnt die Zärtlichkeit entlaubt.
Sein oder Nichtsein
Im Februar 1938 sinniert Soyfer in einem Brief an seinen Freund Mitja Rapoport, der mit Soyfers früherer Freundin Marika Szecsi in die USA geflohen war, über seine Pläne. Soyfer fragt sich, ob er - wie seinerzeit Heine - emigrieren solle? In diesem Fall blieben aber die Selbstvorwürfe gegenüber den Kommunisten, die vor Ort gegen die Nazis kämpfen.
Was, wenn Soyfer aus dem KZ entlassen worden und nach Amerika emigriert wäre? Alfred Pfabigan hält Jura Soyfer für einen genialen Autor wie Billy Wilder, den anderen früheren linken Gymnasiasten aus Wien, der es mit seinem Witz im Kino zu Weltberühmtheit brachte: "Wenn Sie mich fragen - wo setzen Sie Jura Soyfer in ihrer Fantasie ein? Bei Ernst Lubitsch als Regieassistent in 'Sein oder Nichtsein'."
Sollte es jemand vergessen haben: "Sein oder Nichtsein" war Hollywoods erste antifaschistische Nazikomödie. Eine Komödie über die Nazis? Soyfer wäre prädestiniert gewesen, mit seinem Wortwitz den Nazis den Garaus zu bereiten. Bekanntlich sind wir aber ein Land des Operetten-Lächelns und nicht des Lachens! Die Frage "Wohin gehört Jura Soyfer politisch?", "Gehört er tatsächlich allein den Kommunisten?" bleibt weiterhin offen.