Robert Service contra David North

Leo Trotzki

Ein kritischer, nicht allzu sorgfältiger englischer Historiker gegen einen amerikanischen Gralsritter des Trotzkismus: eine mit ungleichen Mitteln und Absichten ausgetragene Kontroverse, deren Stilisierung zum Historikerstreit der Realität schon gar nicht gerecht wird.

Vielmehr handelt es sich um einen Disput, dem eine Weltanschauungsdifferenz zugrunde liegt und der daher auf wissenschaftlicher Ebene gar nicht zu lösen ist, wie uns schon Max Weber lehrte.

Versuch einer Diffamierung

Mit Detailkritik an falschen Jahreszahlen, vertauschten Kindernamen und fragmentierten Zitaten, die auch einige deutschsprachige Historiker bemängelten, versucht David North jedoch, den bereits durch Biografien über Lenin und Stalin ausgewiesenen Oxforder Professor als antitrotzkistischen Geschichtsfälscher mit "pathologischem Hass auf den Gegenstand seiner Untersuchung" wie auch als Dilettanten zu diffamieren. Der aktive Trotzkist North hält Trotzki bis heute für einen "Titan der Politik und des Geisteslebens", dessen Schriften bis heute an Scharfsinn unübertroffen sind:

Häme vom Trotzkisten

Die Kritik an fakischen Fehlern, die in jeder umfangreichen Studie vorkommen, ist jedoch nur vordergründig. Trotzkis Anhänger empört anderes: Wer, wie Robert Service, deutlich aufzeigt, dass Trotzki nicht nur kein Humanist und auch kein sonderlich origineller Intellektueller, sondern Befürworter von Diktatur, Terror und Erschießungskommandos war und dies auch reichlich unter Beweis stellte, solange er über politische Entscheidungsmacht verfügte, wird von Trotzkisten mit Schmach und Häme überzogen, zum reaktionären bürgerlichen Wissenschafter, zum Büttel des Kapitalismus mit falschem Bewusstsein gestempelt, sowohl fachlich wie moralisch diffamiert.

Anhänger des revolutionären Marxismus, die sich seit jeher die Fähigkeit zuschreiben, Einsicht in einen vermeintlich gesetzmäßigen Gang der Weltgeschichte gewonnen zu haben, wähnen sich berechtigt, das Fortschreiten der Weltrevolution auch mit Gewalt zu exekutieren.

Mit den Mitteln der Gewalt

Im Glauben an derartige historische Notwendigkeiten zeigte sich gerade Trotzki besonders radikal, wobei er mehr noch als andere Marxisten dem Trugschluss aufsaß, Europa wäre 1918 ein Pulverfass der Revolution gewesen, das nur eines Funkens - also eines Hineintragens des revolutionären Krieges in die bereits vom Ersten Weltkrieg geschwächte Gesellschaft - bedurfte, um die Diktatur des Proletariats zu errichten - mit dem Mittel der Gewalt, viel Gewalt, wie im Falle der Russischen Revolution, denn gerade im noch bäuerlichen Russland, das kaum politisierte Arbeiterschaft besaß, waren nach den klassischen marxistischen Theorien die Bedingungen für den Ausbruch einer Revolution noch nicht gegeben. Dazu Robert Service, Trotzki selbst zitierend:

Egomane Persönlichkeit

In der Tat dekonstruiert Robert Service den Mythos von Trotzki als humanere Alternative zum massenmörderischen Stalinismus. Er verweist an viele Stellen auf die Diskrepanz zwischen Trotzkis Schriften, die westliche Trotzkisten in freien Gesellschaften so anziehend fanden, und Trotzkis Taten als Volkskommissar für militärische Angelegenheiten, als er die Rote Armee aufbaute und in den Ruf geriet, ein Anhänger von Exekutionen als Mittel zur Führung der Streitkräfte zu sein.

Robert Service erklärt Trotzkis politisches Scheitern - wie nahezu alle Lebensumstände - aus seiner egomanen Persönlichkeit, die er in allen Facetten und mit viel Redundanz erläutert, mitunter auf Kosten von echten Argumenten. Und Trotzki blieb immer auch ein manisch schreibender Revolutionär, dessen stilistische Fähigkeiten große Verführungskraft besaßen. An der politischen Front spaltete er die Partei mit seiner Polemik und Kompromisslosigkeit. Im machtpolitischen Spiel, das er weniger souverän beherrschte als die geduldigere Feder, verlor er gegen Stalin, wurde verbannt, in der Sojetunion zum Tode verurteilt, exiliert und schließlich im Auftrag Stalins in Mexiko auf archaiische Weise mit einem Eispickel ermordet und erst von Gorbatschov rehabilitiert.

Der Berufsrevolutionär

An seinen grundsätzlichen Fehleinschätzungen hielt Trotzki ein Leben lang vernagelt fest und verstieg sich proportional zum Abstieg in die politische Bedeutungslosigkeit auf die immer gleichen deterministischen Behauptungen von der nahenden Weltrevolution. Obwohl akademische Intellektuelle durchaus Interesse an einer Auseinandersetzung mit Trozkis Ideenwelt hatten, zeigte sich deutlich, dass er für philosophische und erkenntnistheoretische Fragen wenig Verständnis hatte. Trotzkis Denken blieb auf die politische Aktion gerichtet, er starb als Berufsrevolutionär.

Sympathie hegt der Biograf Robert Service für den Porträtierten in der Tat wenig, wenngleich er ihm viele und hohe Talente attestiert, die Trotzki jedoch in den Dienst einer destruktiven Ideologie stellte. Dass er dennoch unter den 68-igern noch einmal eine Konjunktur erlebte, liegt am mittlerweile aufgebauten Mythos Trotzki.

Service

Robert Service, "Trotzki - Eine Biographie", aus dem Englischen von Friedrich Griese, Suhrkamp Verlag

David North, "Verteidigung Leo Trotzkis", übersetzt von Andrea Rietmann, herausgegeben von Wolfgang Weber, Mehring Verlag

Suhrkamp - Trotzki - Eine Biographie
Mehring - Verteidigung Leo Trotzkis