Bibelkommentar zu Lukas 1, 26 - 38

Im Mittelpunkt des heutigen Evangeliums steht Maria, ein einfaches jüdisches Mädchen.

Eine, die mir als Frau und Mutter nahe steht, näher als die gekrönten, goldgeschmückten Statuen und Bilder späterer Zeit. Als ich voriges Jahr in Ost-Jerusalem und im Westjordanland war, da meinte ich in den Gesichtern der jungen Frauen, die ihre kleinen Geschwister oder auch ihre eigenen Kinder im Arm trugen, dieses Gesicht Mariens zu sehen. Eine, die mitten im Leben steht, in den Mühen des Alltags in einem besetzten Land, die Armut, Angst und Unterdrückung erlebt.

„Fürchte Dich nicht“, das sagen diese Engel doch immer - leicht gesagt. Wenn mir heute ein Engel erscheint mit dieser Botschaft, ich weiß nicht, ob ich den Mut hätte noch zu fragen, wie er sich das eigentlich vorstellt. Aber Maria war nicht auf den Mund gefallen, sie fragte. Sie ist sichtlich nicht willenloses Werkzeug der Geschichte, sondern sie nimmt diesen Auftrag aktiv an. Und sie vertraut auch darauf, dass es gut ist, und ist bereit, den Willen Gottes für ihr Leben und ihre persönliche Zukunft anzunehmen.

Wenn ich heute mit der katholischen Kirche das sogenannte „Fest der unbefleckten Empfängnis“ feiere, dann geht es für mich nicht um eine biologische Frage, auch nicht um die Frage nach Erbsünde oder nicht, sondern um eine junge Frau, die mit ihrem Ja zum Willen Gottes die Welt verändert. „Erwählung Mariens“ wird dieses Fest ja auch genannt. Mit ihr setzt Gott einen neuen Anfang, einen neuen Anfang für alle Menschen dieser Welt. Ein Gott, der sich selbst in diese Enge und Einfachheit irdischen Lebens in die Geschichte hinein begibt und Mensch wird, ganz Mensch - das ist das Einmalige am Christentum. Es ist der Eintritt des Heiligen, des Transzendenten, in unsere profane Welt. Gott offenbart sich in dieser Geburt selbst „in seinem Sohn“, wie es heißt, als die ultimative göttliche Wirklichkeit, jenseits aller menschlichen Bestimmungen und Vorstellungen.

Aber was ist das Ziel dieser Geburt Gottes in Jesus Christus? Schon die Kirchenväter wussten, dass das Ziel der Menschwerdung Gottes in seinem Sohn die Geburt Gottes in jedem Menschen ist. In Anlehnung an die Aussagen des mittelalterlichen Gelehrten Meister Eckhart sagt der deutsche Lyriker Angelus Silesius im 17. Jahrhundert: „Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren, und nicht in dir, du bleibst doch ewiglich verloren.“

Wer Meister Eckhart dazu liest, der versteht, dass sich Gott jedem Menschen mitteilt, immer wieder neu in die heutige Welt hinein, und damit menschliche Existenz verändern möchte. Diese Geburt Gottes ist die Selbstmitteilung Gottes im eigenen Dasein, ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch. In dieser Gottesgeburt erfährt der Mensch sich selbst als eine neue Identität, er erkennt sich als der, der er in seinem Ursprung von Gott her eigentlich ist. Ja, der Mensch soll „der Sohn selber sein“, sagt Eckhart.

Diese Erkenntnis führt zu einem persönlichen Lebensvollzug mit Gott in der Mitte des eigenen Lebens. Es geht dabei darum, einen „wesentlichen“ Gott im eigenen Dasein zu haben, und nicht nur einen jenseitigen, angebeteten und gedachten Gott. Einen Gott der Gegenwart, der sich im Menschen jetzt und heute ereignet.

Damit wird der Mensch selbst zum Ort der Transzendenz. Diese Geburt Gottes in der menschlichen Seele will den Menschen verwandeln, und führt ihn in eine neue spirituelle und existenzielle Grundhaltung, aus der heraus er „wesentlich“ leben kann, in Solidarität mit sich selbst, mit Gott und mit den Anderen.

Ich denke: Wer zur Geburt Gottes, zu seiner Selbstmitteilung, ja sagt wie Maria, der lässt sich von dieser Zusage Gottes verändern. Er macht sich, wie sie, auf den Weg, seine Botschaft zu verstehen, sich selbst verwandeln zu lassen, und diesen Gott der Befreiung, der Liebe und Barmherzigkeit im eigenen Leben zu verwirklichen.