Der analoge Pionier der Suchmaschinen
Paul Otlet
Paul Otlets Ziel war eine abfrageorientierte, sucherfreundliche Wissensordnung. Ihm schwebte eine analoge Weltdatenbank vor, in Form eines riesigen Zettelkastens, die Encyclopedia Universalis Mundaneum.
7. Jänner 2013, 13:10
Otlet entwickelte nicht nur ein System für die vernetzten Karteikarten, sondern entwarf auch den riesigen Kasten mit unzähligen Laden, schildet Frank Hartmann. Beides sollte reproduzierbar sein. Denn Menschen sollten an verschiedenen Orten auf das gleiche Wissen zugreifen können.
Frank Hartmann - Multimedialer Ansatz
"Die geniale Idee von Otlet war nicht nur eine Ebene der Wissensverknüpfung zu schaffen, sondern dieses Wissen mit neuen Medien, Telegraphie, Telefon, zu verteilen, in Umlauf zu bringen."
Frank Hartmann - Otlet und das Weltwissen
Für den Medienphilosophen Frank Hartmann weisen Otlets Visionen schon Jahrzehnte vor dem World Wide Web auf die Idee einer globalen Vernetzung des Wissens hin.
Museum der Zukunft
Unter dem Namen "Mundaneum" plante Paul Otlet auch ein "Museum des Wissens". Die Exponate der Weltausstellungen sollten im "Palais mondial" gesammelt werden und einem noch größeren Publikum zugänglich gemacht werden. Mit dem österreichischen Ökonomen und Wissenschaftstheoretiker Otto Neurath entwickelte Paul Otlet auch Konzepte für das Museum der Zukunft. Darüber schreibt Otte Neurath 1933:
Otto Neurath
Vom Museum der Zukunft zu sprechen ist, wie vom Automobil der Zukunft zu sprechen. Automobile werden serienmäßig produziert und nicht einzeln in einer Schmiede. Früher war es mit Büchern ebenso: Ein berühmtes Manuskript wurde Teil einer Sammlung, eines einmaligen Schatzes; aber heute gibt es zehntausende Abdrucke desselben Manuskriptes. In Zukunft werden Museen so produziert werden wie Bücher heute. Dieser grundsätzliche Vorschlag, Kopien von Museen in Standardserien zu produzieren, wurde mehrfach erläutert, insbesondere von Paul Otlet vom Palais Mondial in Brüssel. Aber die Verwirklichung der Idee setzt voraus, dass man sich international auf eine bestimmte Darstellungsmethode einigt.
Was von Otlets Idee geblieben ist
Die Basis der Ausstellung sollte der sogenannte Zivilisationsatlas sein. Paul Otlets Anspruch war nicht nur das Wissen der Welt zu dokumentieren, sondern es auch zu demokratisieren, betont der Medienphilosoph Frank Hartmann von der Bauhaus Universität Weimar.
Die wichtigste Idee bestand in der Flexibilisierung des Wissens, dass das Wissen zu den Menschen kommt und nicht die Menschen, die in die Museen gehen, in die Wissenstempel usw.
Während Überreste des riesigen Karteikastens bis heute in der belgischen Stadt Mons zu besichtigen sind, konnten Paul Otlets Ausstellungsprojekte nie verwirklicht werden. Als Industriellenerbe konnte er frei forschen und war finanziell unabhängig. Auch technische Probleme taten seinen Visionen keinen Abbruch.
Frank Hartmann - Experimente mit Mikrofilm
Bereits zu Otlets Lebzeiten wird auch mit Datenbanken auf Mikrofilm experimentiert. Auf kleinstem Raum konnten schriftliche Inhalte und Bilder festgehalten werden. Die Idee einer "Bibliothek in der Wissenschaften" machte in den Zeitungen Anfang des 20. Jahrhunderts die Runde, schildert Frank Hartmann.
Die erste Workstation
Ein Wissenschaftler, der sich mit einer solchen Mikrofilm-Suchmaschine befasste, war der Chemiker und Ingenieur Emanuel Goldberg. Er gründete die Firma Zeiss Ikon in Dresden, die bis 1945 zu den bedeutendsten Herstellern von Kameras weltweit zählte.
Frank Hartmann - 1925. Die erste Suchmaschine
Emanuel Goldberg beschreibt bereits 1925 die Konstruktion einer Maschine für das Suchen, Auffinden und Anzeigen von beliebig vielen Dokumenten. Mikrofilm ist das Speichermedium, der mit Hilfe einer Fotozelle abgetastet wird. Bekannt wird die Mikrofilm-Suchmaschine als Erfindung des Amerikaner Vannevar Bush 1945 unter dem Namen "Memex". Emanuel Goldberg nannte sein Patent schlicht "Statistische Maschine".
Öffnung und Vernetzung
Der Medienphilosoph Frank Hartmann geht davon aus, dass es sowohl Paul Otlet als auch Emanuel Goldberg um die Vernetzung von Wissen und die dadurch erleichterte Suche nach Informationen ging. Wenn Wissen in organisierter Form zur Verfügung steht, ist es auch für jeden Menschen zugänglich, unabhängig von seiner Herkunft oder Klassenzugehörigkeit.
Die heutigen Suchmaschinen, die das Internet nach Informationen durchforsten, sind nicht das logische Ergebnis einer technischen Entwicklung, resümiert Frank Hartmann. Sondern sie sind eine Antwort auf das Bedürfnis der Menschen, sich in der "Wissensgesellschaft" zu Recht zu finden.
Frank Hartmann - Mind The Gap
"Ich seh das größte Problem darin, dass mit der humanistischen Bildungskultur… eine Klasse der Wissensanbieter konstruiert wurde und eine Klasse der Wissenskonsumenten… und man sieht in allen Pionieren der Wissensgesellschaft, in ihren Gedanken und Visionen, dass sie versucht haben, diese Kluft zu überwinden."
Service
Mundaneum
Universität Wien - Frank Hartmann