Dimensionen - die Welt der Wissenschaft *

Die Suchmaschine und ihre analogen Vorfahren. Informationsfilter vor dem Computerzeitalter. Gestaltung: Marlene Nowotny

Ein Alltag ohne Informationen aus dem Internet ist heute fast unvorstellbar. Digitale Suchmaschinen helfen uns, die Inhalte aus dem Netz zu durchforsten. Doch wer waren die "Vorläufer" dieser hochkomplexen Computerprogramme, die uns heute auf Knopfdruck Suchergebnisse zur Verfügung stellen? Die Geschichtswissenschaft macht sich nun daran, die zahlreichen Einrichtungen, Personen und Techniken zu untersuchen, die vor Google und Co. diese Funktionen übernommen haben.

Zum Auftakt

Für ihre Sendung hat Marlene Novotny den Historiker Anton Tantner von der Universität Wien und den an der Bauhausuniversität in Weimar lehrenden Medienphilosophen Frank Hartmann vor das Mikrofon gebeten.

I. Adressbüros schaffen Orientierung

Die Suche nach einer neuen Wohnung, einem Arbeitsplatz oder einfach nur nach einer Telefonnummer ist heute eine Frage von Sekunden. Auch die analogen Vorfahren von Google und Co. hatten zum Ziel, Informationen zu ordnen, zu systematisieren und somit vergleichsweise schnell anbieten zu können.

Zu den Vorläufern der online Suchmaschinen zählt der Historiker Anton Tantner unter anderem die sogenannten "Adressbüros", die sich im 17. und 18. Jahrhundert in europäischen Städten verbreiteten. Deren Basisfunktion war die Vermittlung von Arbeit, Kapital, Immobilien und auch Waren.

Adressbüros - Stätten der Informations- vermittlung

Das erste bekannte Adressbüro war das "Bureau d'adresse" in Paris. Der Arzt Théophraste Renaudot gründete diese Einrichtung im Jahr 1630.

Im 17. und 18. Jahrhundert entstanden auch in anderen europäischen Städten solche Adressbüros.

In Wien wurde 1707 das erste derartige Büro gegründet. Das "Frag- und Kundschaftsamt" wurde gleichzeitig mit dem "Versatzamt" - dem heutigen Dorotheum - eröffnet.

II. Die Ordnung der Bücher

Heute können wir auf alle möglichen Datenbanken zugreifen, in denen Wissen organisiert wird. Doch lange waren schriftliche Aufzeichnungen die wichtigsten Speichermedien und Informationsquellen. Einige der ersten Versuche, Wissen systematisch zu erschließen, betreffen die Bücher selbst.

Kanontafeln, Karteikarten und Kataloge

Eine Innovation, die im Zusammenhang mit Büchern einige Zeit auf sich warten ließ, war die Seitenzahl. Zwar wurden teilweise die Blätter in handschriftlichen Manuskripten nummeriert, in gedruckten Büchern setzten sich Seitenzahlen jedoch erst im 16. Jahrhundert durch.

III. Paul Otlet - analoger Suchmaschinenpionier

Mit der Industrialisierung des Buchdruckes wächst nicht nur die Anzahl der gedruckten Werke, sondern auch die Notwendigkeit, den Bücherbestand als Datenbank zu organisieren. In den großen Bibliotheken wird im 19. Jahrhundert versucht, Bücher anhand von Karteikarten und Zettelkatalogen zu ordnen. Das Wissen soll nicht länger nur archiviert, sondern auch dokumentiert werden. Die Bücher sollen nicht nur schnell gefunden, sondern ihre Inhalte auch systematisch verknüpft werden. Diese Herausforderungen betrachtete der Privatgelehrte Paul Otlet als seine Lebensaufgabe.

Ingenieur des Weltwissens

Paul Otlets Ziel war eine abfrageorientierte, sucherfreundliche Wissensordnung. Ihm schwebte eine analoge Weltdatenbank vor, in Form eines riesigen Zettelkastens, die Encyclopedia Universalis Mundaneum.

Otlet entwickelte nicht nur ein System für die vernetzten Karteikarten, sondern entwarf auch den riesigen Kasten mit unzähligen Laden, schildet Frank Hartmann. Beides sollte reproduzierbar sein. Denn Menschen sollten an verschiedenen Orten auf das gleiche Wissen zugreifen können.

IV. Emanuel Goldberg und der Mikrofilm

Bereits zu Otlets Lebzeiten wird auch mit Datenbanken auf Mikrofilm experimentiert. Auf kleinstem Raum konnten schriftliche Inhalte und Bilder festgehalten werden. Die Idee einer "Bibliothek in der Wissenschaften" machte in den Zeitungen Anfang des 20. Jahrhunderts die Runde, schildert Frank Hartmann.

1925. Die erste Suchmaschine

Emanuel Goldberg beschreibt bereits 1925 die Konstruktion einer Maschine für das Suchen, Auffinden und Anzeigen von beliebig vielen Dokumenten. Mikrofilm ist das Speichermedium, der mit Hilfe einer Fotozelle abgetastet wird. Bekannt wird die Mikrofilm-Suchmaschine als Erfindung des Amerikaner Vannevar Bush 1945 unter dem Namen "Memex". Emanuel Goldberg nannte sein Patent schlicht "Statistische Maschine".

Resümmee

Der Medienphilosoph Frank Hartmann geht davon aus, dass es sowohl Paul Otlet als auch Emanuel Goldberg um die Vernetzung von Wissen und die dadurch erleichterte Suche nach Informationen ging. Wenn Wissen in organisierter Form zur Verfügung steht, ist es auch für jeden Menschen zugänglich, unabhängig von seiner Herkunft oder Klassenzugehörigkeit.

Die heutigen Suchmaschinen, die das Internet nach Informationen durchforsten, sind nicht das logische Ergebnis einer technischen Entwicklung, resümiert Frank Hartmann. Sondern sie sind eine Antwort auf das Bedürfnis der Menschen, sich in der "Wissensgesellschaft" zu Recht zu finden.

Frank Hartmann

"Ich seh das größte Problem darin, dass mit der humanistischen Bildungskultur eine Klasse der Wissensanbieter konstruiert wurde..."

Service

Anton Tantner, "Vor Google. Eine Mediengeschichte der Suchmaschine im analogen Zeitalter", transcript. Kultur und Medientheorie

Frank Hartmann, "Vom Buch zur Datenbank. Paul Otlets Utopie der Wissensvisualisierung", Forschung Visuelle Kultur

Frank Hartmann, Erwin Bauer, "Otto Neurath Visualisierungen", Facultas WUV

http://tantner.net/Anton Tantner
Frank Hartmann
Mundaneum]