Chantal Thomas redet mit uns
Die Kunst der Konversation
Manager besuchen Seminare, um durch optimale "Gesprächsführung" ihre Mitarbeiter bei Laune zu halten. Smart sind Millionäre, die den Small Talk beherrschen und dabei mit riesigen Geldsummen jonglieren.
8. April 2017, 21:58
Mit Konversation im klassischen Sinn hat das alles wenig zu tun. Aber wozu soll denn die Kunst des Miteinander-Redens noch gut sein, in Zeiten, wo jeder redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, wo in Funk und Fernsehen eine Talk-Runde die andere jagt? Wahrscheinlich ist noch nie so viel geredet worden wie heute - und das weltweit, via Mobilfunk!
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Jene drei herausragenden Frauen bemühten sich, jede zu ihrer Zeit, um diese Spielform des Gesprächs, weil sie darin ein emanzipatorisches Moment sahen - für sich selbst, aber auch für die Gesellschaft insgesamt.
Intellektuelle Damen
Zwei Damen, die das Metier der Konversation meisterlich beherrscht haben, sind auch in Frankreich sicherlich nicht allzu bekannt: Madame de Rambouillet sprach mehrere Sprachen und unterhielt in Paris einen mondänen Salon, den auch der Kardinal Richelieu regelmäßig besuchte. Madame de Deffand hatte ebenso einen illustren und teils intellektuellen Kreis um sich geschart, verkehrte mit Aufklärern wie Voltaire und d'Alembert.
Die dritte Dame im Bunde nimmt einen festen Platz in der europäischen Geistesgeschichte ein: Madame de Stael. Diese hochgebildete Frau und Schriftstellerin reiste viel und besuchte in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts die deutschen Höfe Weimar und Berlin, aber sie hielt sich auch zeitweise in Wien auf. Ihre Begegnungen mit Schriftstellern wie Goethe oder Schiller hielt sie im Buch "De l'Allemagne" - "Über Deutschland" - fest. Es gilt heute noch als Referenzwerk für die Ideengeschichte Europas.
Chantal Thomas stellt ihren Lesern diese drei Damen aus einem Grund vor: Sie emanzipierten sich von der Macht der Männer und vom engen Korsett des Hoflebens eben durch die "Kunst der Konversation" - wobei der französische Originaltitel von Thomas' Buch "L'esprit de conversation" lautet, es geht ihr also weniger um eine Kunstfertigkeit als um den "Geist", um den "geistvollen Witz" der Konversation.
Die Regeln der Konversatzion
Was aber macht heute den Geist der Konversation aus, in einer Zeit, in der wir vom permanenten Gerede umgeben sind? Auf der einen Seite erzählt Chantal Thomas die individuellen Geschichten dieser drei Damen. Das ist amüsant zu lesen und man taucht ein in die französische Geisteskultur des 17. bis 19. Jahrhunderts. Andererseits gibt die Autorin auch Strategien der Konversation an. Und das ist interessant, weil man sie durchaus in heutige Gesprächssituationen einfließen lassen kann - ja, soll!
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Die Glücksmomente der Konversation sind heute letzte Ausflüchte aus den tödlichen Fängen der Langeweile, der Dummheit, der Aggressivität.
Was aber sind nun die Regeln, die man bei einer gelungenen Konversation beachten soll? Erstens: Nicht immer den gleichen Leuten die gleichen Geschichten erzählen. Oh ja, man kennt sie! Menschen, die immer dasselbe in Variationen reden. Man meidet sie, weil ihnen das Gespenst der Langeweile im Genick sitzt.
Zweitens: Man soll nicht dauernd über sich selbst reden oder gar prahlen. Das stimmt: Der vor sich hin plappernde Egomane ist für den anderen Furcht erregend! Drittens: Wer auf seiner Meinung beharrt, also rechthaberisch ist, entlarvt sich als unverbesserlicher Starrkopf. Für so jemanden ist das Gegenüber bloß ein Spiegel zur Bestätigung der eigenen Ansichten. All diese Regeln sind eigentlich leicht einzuhalten und wer sie in der Konversation tatsächlich anwendet, der nimmt gegenüber seinem Gesprächspartner ein grundlegende Haltung ein: Offenheit.
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Ohne ein Mindestmaß an Offenheit für das Unvorhergesehene, ohne die Erregung, die in den Momenten anschwillt, in denen die Gesprächspartner von Leidenschaft mitgerissen werden, wo die Erwiderungen hin und her springen, gibt es keine lebhafte Konversation.
Rede und Gegenrede
Der Geist der Konversation ist ein liberaler: Man lässt seinem Gegenüber genügend Platz für seine Rede. Und der Gesprächspartner ist darauf bedacht, nicht in einen Monolog zu verfallen, weil nur Rede und Gegenrede die Konversation lebhaft, offen und spannend macht. Und wer im Laufe der Zeit immer besser die Kunst der Konversation beherrscht, dem gelingt es, "eine Art von Elektrizität hervorzubringen, deren sprühende Funken die Lebhaftigkeit der einen mäßigt und die unangenehme Apathie der anderen verbannt".
Diese Ansicht stammt von Madame de Stael. Chantal Thomas und die Leser ihres Buches teilen sie ohne Widerrede. Denn die Idee, das kunstvolle Gespräch sei vergleichbar mit zwei elektrischen Leitern, bei denen der Funken überspringt, ist ein passendes Bild. Der Geist der Konversation ist ein Medium, das Menschen als denkende, sprachbegabte, erfinderische, spielerische und gesellige Wesen vorstellt. In Zeiten des permanenten Geredes ist das Hervorheben dieses menschlichen Wesenszugs, wie es Chantal Thomas in ihrem Buch tut, ein kaum zu unterschätzender Beitrag für ein geglücktes Leben im Miteinander.
Service
Chantal Thomas, "Die Kunst der Konversation", übersetzt von Claudia Steinitz und Tobias Scheffel, Steidl Verlag