Rätsel um Courbet-Gemälde

Seit gestern beschäftigt eine lebhafte Kontroverse die französische Welt von Kunsthistorikern und Museumsdirektoren: Das berühmte Aktgemälde von Gustave Courbet aus dem Jahr 1866 mit dem Titel "Der Ursprung der Welt" soll eventuell nur Teil eines größeren Gemäldes von Courbet sein.

Ein Kunstsammler hatte vor einigen Jahren das Porträt einer Frau erworben, welches das Gesicht darstellen soll, das zu dem weiblichen Torso auf dem weltberühmten Gemälde gehört. Der Courbet-Experte und Herausgeber des kritischen Katalogs von Courbets Werken ist jedenfalls davon überzeugt, andere zeigen sich wesentlich skeptischer.

Mittagsjournal, 8.2.2013

Hans Woller

Kunstsammler kauft "Kopf" um 1.400 Euro

Alles begann vor zwei Jahren. Ein gewisser John, der bis auf weiteres anonym blieben möchte, erstand in einem Pariser Antiquariat für 1.400 Euro das Porträt einer Frau - ein lasziv liegender Kopf mit wallendem Haar, der Blick nach rechts hinten und nach oben gerichtet. Der Sammler, dem aufgefallen war, dass die Ränder der Leinwand seines Porträts abgeschnitten worden waren, war nach mehrmonatigen eigenen Nachforschungen zur Überzeugung gelangt, dass es sich um das Gesicht der Frau handelt, das zum Torso und den weiblichen Genitalien des berühmten Courbet-Gemäldes gehört. Außerdem stieß er auf andere Courbet-Porträts, die dem seinen ähnlichen waren und offiziell Courbets Model und Geliebte, die Irin Jo Hiffernan darstellten.

Jean Jacques Fernier, der Courbet-Spezialist in Frankreich, machte sich daraufhin selbst an die Arbeit, authentifizierte das Porträt als einen Courbet und gelangte jetzt, nach monatelangen Expertisen zu demselben Schluss: "Diese Pose ist nicht natürlich, die Leinwand ist aus einer größeren herausgeschnitten worden. Ich hab gesucht und bin zu dem Schluss gekommen: das ist der Kopf, der zum 'Ursprung der Welt' gehört."

Der Experte stützt sich auf Analysen der Materien beider Gemälde, die verblüffende Ähnlichkeiten aufweisen, bis hin zu den Abständen der Borsten bei den Pinselstrichen: "Die Qualität der Leinwand ist dieselbe, die Unregelmäßigkeiten auf der Leinwand befinden sich an denselben Stellen und selbst das Holz ist dasselbe."

"Wenig glaubwürdig"

Die Direktorin des Courbet-Museums im ostfranzösischen Ornans, der Heimat des Malers, ist dagegen mehr als zurückhaltend: "Ich bin, nachdem ich mit dem Orsay-Museum und anderen Courbet-Spezialisten gesprochen habe, extrem perplex. Uns scheint das im Augenblick wenig glaubwürdig." Und laut dem Forschungszentrum der französischen Museen weise die Leinwand des "Ursprungs der Welt" keinerlei Schnittspuren auf.

Das Pariser Orsay-Museum schließlich, wo Courbets "Ursprung der Welt", das dem berühmten Psychoanalytiker Jacques Lacan gehört hatte, erst seit 1995 ausgestellt ist, lehnte bisher jeden Kommentar zu der Entdeckung ab.

Sicher ist: Sollte sich die Zusammengehörigkeit der beiden Werke tatsächlich bewahrheiten, würde "Der Ursprung der Welt", das einzigartige Werk Courbets mit seiner schier unglaublichen Geschichte, viel von seinem Mysterium verlieren. Courbet selbst jedenfalls hat zu Lebzeiten stets behauptet, er habe den "Ursprung der Welt" so gewollt, wie er letztlich in die Kunstgeschichte eingegangen ist - gemalt für einen türkischen Diplomaten und dann über ein Jahrhundert den Augen der Öffentlichkeit entzogen. Courbet-Spezialist Fernier stellt dagegen die Hypothese auf, der Maler könnte das ursprüngliche Gemälde zerschnitten haben, um den Ruf seiner Geliebten zu schützen.

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Wikipedia - Der Ursprung der Welt