Salman Khan über seine Idee
Die Khan-Academy
Anfänge sind oft bescheiden. Das trifft auch auf die Khan-Academy zu. Das wohl berühmteste virtuelle Klassenzimmer der Welt wäre ohne die zwölfjährige Nadia wohl kaum zustande gekommen.
8. April 2017, 21:58
Nadia ist Salman Khans Cousine. Und 2004 hatte sie Probleme mit Mathematik. Onkel Salman, damals ein Analyst für einen Hedge-Fond, ließ sich nicht lange bitten:
"Ich wollte ihr helfen und habe gesagt, ok, ich gebe ihr Nachhilfe. Sie hat damals in New Orleans gelebt, und ich war in Boston. Wir haben viel telefoniert und auch das Internet ein bisschen verwendet. Es hat sehr gut funktioniert. Und dann habe ich auch ihren Brüdern Nachhilfe gegeben. Zwei Jahre später hat sich das in meiner Familie herumgesprochen gehabt, und ich habe sehr vielen Kindern Gratis-Nachhilfeunterricht gegeben. Und dann habe ich auch Übungssoftware für sie entwickelt. Das habe ich alles neben meinem Job gemacht. Ein Freund hat dann gemeint, warum ich die Sache nicht weiterentwickle und meine Nachhilfestunden als Videos auf YouTube hochlade. Ich war dagegen. Nein, nein, hab ich gesagt. YouTube ist etwas für Videos über klavierspielende Katzen. Aber doch nicht für ernsthafte Mathematikaufgaben. Ich hab's mir aber dann doch anders überlegt. Und - der Rest ist Geschichte."
Schwarze Tafel mit weißer Schrift
Die Videos nahm Salman Khan damals in einem begehbaren Wandschrank auf. Die ersten Lektionen befassten sich mit den Grundbegriffen von Algebra und handelten vom größten gemeinsamen Nenner oder was man unter dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen versteht.
Die Ästhethik der Lektionen orientiert sich nach wie vor an dem, was man traditionell mit Schule verbindet: Man sieht eine schwarze Tafel mit weißer Schrift.
"Dafür gibt es einen emotionalen und einen rationalen Grund", sagt Salman Khan. "Der emotionale hat ein bisschen mit Nostalgie zu tun. Eine schwarze Tafel hat etwas Anziehendes. Da hat man Lust, etwas drauf zu schreiben. In der Khan Academy haben wir schwarze und auch weiße Tafeln. Und wenn ich eine schwarze Tafel, auf der etwas geschrieben steht, sehe, denke ich mir: Das schaut wirklich gut aus. Über eine weiße Tafel habe ich das noch nie jemanden sagen hören."
Der rationale Grund ist: Helle Schrift auf einer schwarzen Tafel ist für die Augen schonender als dunkle Schrift auf einer weißen Tafel.
Sechs Millionen Schüler
2008 gab Salman Khan seinen Job beim Hedge-Fond auf. Mittlweile hat er mehr als 3.000 Videos hochgeladen. Die Inhalte reichen vom kleinen Einmaleins bis zu fortgeschrittener Differenzialrechnung, von Chemie bis zur Französischen Revolution. So ganz geheuer ist ihm der Erfolg der Khan Academy noch immer nicht:
"Sechs Millionen Schüler pro Monat verwenden die Khan Academy. Diese Zahl ist kaum zu begreifen. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Oder die 20.000 Klassenzimmer, wo die Lektionen auf irgendeine Weise genutzt werden. Das sind riesige Zahlen. Und dann kommt noch etwas dazu: Bildung ist weltweit ein großes Problem. Darüber zerbrechen sich Philanthropen und Politiker gleichermaßen den Kopf. Wir sind Teil dieser Debatte geworden. Und jetzt treffen wir Menschen, über die wir sonst immer nur gelesen haben. Es ist eine surreale Erfahrung."
Zu den erwähnten Leuten, über die Salman Khan früher nur in Zeitungen gelesen hat, gehört beispielsweise Bill Gates, der reichste Mann der USA. "Ich war gar nicht mit ihm in Kontakt, aber er begann öffentlich darüber zu reden, dass er mit seinen Kindern die Khan Academy verwendet", erzählt Salman Khan. "2010 stand dann in einem Zeitungsartikel, wie sehr ihm die Khan Academy gefällt. Er hat uns dann auch unterstützt. Das war sehr wichtig für uns. Als Kind war Bill Gates für mich ein Held. Und dass ich zum Beispiel erst vor drei Tagen wieder mit ihm zusammengesessen bin, ist verrückt. Ein Teil von meinem Gehirn kann es noch immer nicht fassen, dass ich mit Bill Gates im selben Raum bin."
Alle Lektionen gratis
Mittlerweile ist Salman Khan selbst in der Kategorie der Leute, über die man als Normalbürger nur liest. Das "Time Magazine" setzte ihn auf die Liste der 100 einflussreichsten Menschen.
Alle Online-Lektionen sind gratis und sollen es auch immer bleiben. Die Khan-Academy lebt von privaten Zuwendungen. Insgesamt dreieinhalb Millionen Dollar spendeten bisher die Bill and Melinda Gates Foundation sowie das Unternehmen Google.
Freilich gibt es auch Kritiker. Häufig wird der Khan-Academy vorgeworfen, es fehle ein wesentliches Element jedes Schulunterrichts: Die Interaktion mit dem Lehrer bzw. den Mitschülern. Doch mittlerweile hat die Khan Academy auch interaktive Software entwickelt, die im Unterricht verwendet werden kann.
Überzeugende Wirkung
Salman Khan und sein Team rasten sich keineswegs auf ihren Lorbeeren aus. Will man die Methode und die Inhalte verbessern, muss man einmal feststellen: Um wie viel besser schneiden Schüler mit der elektronischen Nachhilfe eigentlich ab? Dazu führt die Khan-Academy beispielsweise Studien in Los Altos sowie in Oakland, im US-Staat Kalifornien, durch.
"Wir haben teils dramatische Verbesserungen gesehen", so Khan. "Vor allem in den Klassen, wo die Schüler besonders schlecht waren. Mithilfe der Khan Academy haben sie nicht nur aufgeholt, sondern sind wirklich gut geworden. So etwas hat bisher noch niemand erlebt. Das war in Los Altos. Das Gleiche ist in Oakland passiert. Aber dann gibt es wiederum andere Schulen, wo die Online-Lektionen zwar nicht schaden, aber einen dramatischen Nutzen gibt es nicht. Im Prinzip ist die Khan Academy ein Werkzeug. Das kann man gut oder weniger gut verwenden. Wir versuchen nun zu verstehen, wie die Lehrer, wo es deutliche Verbesserungen gab, die Khan Academy eingesetzt haben. Wir wollen wissen, welche Methode dahinter steckt, und ob das etwas ist, das wir in unser Online-Angebot integrieren können."
Service
Salman Khan, "Die Khan-Academy", aus dem Amerikanischen von Joannis Stefanidis, Riemann Verlag
Riemann - Die Khan-Academy