Konfliktlösungen für das 21. Jahrhundert
Unsere beste Waffe ist keine Waffe
Der derzeitige Umgang mit Krisen und Unsicherheiten werde von einem krassen Missverständnis bestimmt, analysieren die Autoren Mary Kaldor und Shannon D. Beebe in ihrem Buch "Unsere beste Waffe ist keine Waffe". Denn es werden Millionen Dollar in F22-Kampfflugzeuge und andere "ultimative Waffensysteme" investiert, die in allen zeitgenössischen Krisengebieten vollkommen unnütz sind.
8. April 2017, 21:58
Das Skelett einer Schusswaffe prangt auf dem Buchcover. Dass die besten Waffen im 21. Jahrhundert natürlich überhaupt keine Waffen - im militärischen Sinn des Wortes - sind, schreiben die Autoren auch als letzten Satz ihres Buches. Eine vorhersehbare Conclusio, möchte man meinen, doch die über 200 Seiten zwischen Behauptung und Resümee sind sehr lesenswert: Die Friedensforscherin Mary Kaldor und der ehemalige US-Offizier Shannon D. Beebe analysieren Kriege im 21. Jahrhundert, die Art der Kriegsführung und die angedachten Lösungsansätze für die verschiedenen Konflikte.
Beebe vergleicht eine Krisensituation mit einem Kartenhaus: man wisse nie, welche Karte als nächste herausgezogen werde, das Haus werde dadurch aber auf jeden Fall in Mitleidenschaft gezogen, es wird instabil oder in Trümmer fallen.
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Die Armeen des 20. Jahrhunderts, die Sicherheit produzierten, können uns im 21. Jahrhundert Sicherheit rauben. Wenn wir unsere herkömmlichen Denkweisen beibehalten, die um überkommene Institutionen zentriert sind, werden wir eher zu einer weiteren Destabilisierung der gefährdeten Regionen beitragen. Wer Kartenhäuser mit militärischen Mitteln stabilisieren will, muss mit katastrophalen Folgen rechnen. Und genau die sind eingetreten, nach dem George W. Bush den "Krieg gegen den Terror" ausrief.
Neue Feinde gesucht
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg sinken zwar die Ausgaben der Amerikaner für das Militär, aber die Investitionen für Forschung und Entwicklung zukünftiger Waffensysteme bleiben unangetastet.
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Die Experten der Thinktanks und Sicherheitsberatungsfirmen, deren Vorstellungen vom Kalten Krieg geprägt waren, dachten sich fleißig neue Feinde aus, die die USA auf neuartige Weisen angreifen würden - Schurkenstaaten, die über Langstreckenraketen verfügten, Terroristen, die sich Massenvernichtungswaffen beschafften -, und neue Wege, aus der nunmehr unangefochtenen amerikanischen Weltmachtstellung Profit zu schaffen.
Die Autoren sind überzeugt: Es muss eine Alternative zu dem von den USA propagierten Konzept des "Kriegs gegen den Terror" geben, sie plädieren für ein nachhaltiges Sicherheitskonzept, das die menschliche Sicherheit in den Vordergrund stellt.
Sicherheitsstrategie
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1. Das Ziel von Human-Security Einsätzen ist der Schutz der Zivilbevölkerung, nicht der Sieg über den Feind.
2. Die Aufgabe der Kriseneinsatztruppe ist es, sichere Freiräume zu schaffen, in denen durch freie politische Willensbildung der Bevölkerung legitime politische Institutionen etabliert werden können.
3. Die vom Konflikt betroffene Zivilbevölkerung muss in die Strategie mit einbezogen werden.
Teil der globalen Sicherheitsstrategie ist daher auch der Wiederaufbau von Behörden, Rechtsinstitutionen und lokalen Sicherheitskräften, die Bekämpfung von Armut und das Fördern von Schuldbildung und Gesundheit. Ausländische Streitkräfte, internationale Reporter, Söldner, private Sicherheitsfirmen, Hilfsagenturen und NGOs - alle tragen zu einem funktionierenden Sicherheitskonzept bei.
Jeder von ihnen kann gleichzeitig auch ein Teil des Problems sein: Außenstehende können, so die Autoren, nicht immer zu mehr menschlicher Sicherheit beitragen, wenn ihr Eingreifen als nicht legitim empfunden wird, wenn sie als Besatzer oder Kolonialmacht angesehen werden und durch ihr Eingreifen die Lage eher verschärfen. Ein Regime zu stürzen, sei das eine, so Beebe und Kaldor, eine Demokratie aufzubauen, sei jedoch etwas ganz anderes.
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Es ist schwierig, mitten im Krieg die Richtung zu ändern und den Menschen, auf die man jahrelang geschossen hat, nun Schutz anzubieten. Einem derartigen Verhalten mangelt es an Glaubwürdigkeit. Die einheimische Bevölkerung steht solchen Initiativen zutiefst skeptisch gegenüber und das mit gutem Grund.
Irak- und Afghanistan-Krieg
Sehr ausführlich wird natürlich der Irak-Krieg und der Afghanistan-Krieg thematisiert und analysiert: Die theoretische Grundlage des Kampfes gegen die Al Quaida weist eine merkwürdige Spannung auf, kritisieren die Autoren. Denn US-Präsident Barack Obama spreche zwar immer von einem gerechten Krieg und der Einhaltung der Menschenrechte, aber:
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Angriffe mit Drohnen sind jedoch ebenfalls Menschenrechtsverletzungen. Man stelle sich einmal vor, die englische Regierung hätte nach den Bombenanschlägen vom 7. Juli 2005 einen solchen Angriff auf Huddersfield angeordnet. Natürlich müssen wir die Terroristen hinter Schloss und Riegel bringen, aber eben mit polizeilichen und geheimdienstlichen Mitteln. Verdächtige müssen verhaftet, nicht willkürlich getötet werden. Die Drohnen sind das Symbol einer Doppelmoral im Umgang mit dem Leben von Afghanen und Pakistanis und dem von Amerikanern oder Europäern. Im Text eines in Pakistan populären Lieds heißt es, für die Amerikaner seien die Pakistanis nur Insekten.
Bush gegen Ahmadinedschad
Beebe und Kaldor thematisieren auch die Beziehung der USA mit dem Iran, eine Beziehung, die von Sanktionen und Isolation geprägt ist. Viele iranische Dissidenten seien der Meinung, dass die Politik der USA viele Hardliner in der iranischen Regierung stärke - Bush und Ahmadinedschad stützten sich aus ihrer Sicht gegenseitig:
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"Die große Stärke des Regimes ist die Behauptung, das einzige Land im Nahen Osten zu sein, das sich den USA entgegenstellt. Durch die Art und Weise, wie sie in Teheran inszeniert wird, ermöglicht die Atomfrage dem Regime in den Augen selbst vieler jener Iraner, die ihre politischen Führer verabscheuen, als Sachverwalter der Souveränitätsrechte des Iran zu erscheinen.
Es wäre paradox, schreiben die Autoren, wenn der Westen den Eindruck vermitteln würde, dass er die Atomfrage für wichtiger hielte als die ständigen Bedrohungen iranischer Bürger im Alltag. Denn das würde nur denjenigen zugutekommen, die versuchen den Wandel mit repressiven Mitteln zu verhindern.
Wie und mit welchen Waffen sind Konflikte im 21. Jahrhundert also am besten zu lösen? Die Autoren geben am Ende des Buches eine Antwort: Die ultimative Waffe sei die Geisteshaltung, die die unabdingbare Gleichwertigkeit aller Menschenleben anerkenne.
Service
Shannon D. Beebe, Mary Kaldor, "Unsere beste Waffe ist keine Waffe. Konfliktlösungen für das 21. Jahrhundert", aus dem Amerikanischen von Michael Müller, Suhrkamp Verlag
Suhrkamp