Betriebsbahnhof Koppreiter

In unserer Reihe "Architektur revisited", einer Kooperation mit dem AzW, besuchen wir heute ein Gebäude, das ein Jahrhundert alt ist und an sich kein besonders auffälliges Bauwerk ist: eine Straßenbahn-Remise in Wien-Meidling.

  • Haus

    (c) Anna Soucek

  • Haus im Aufbau

    (c) Anna Soucek

  • Fassade

    (c) Anna Soucek

  • Dach

    (c) Anna Soucek

  • Haus

    (c) Anna Soucek

  • Haus

    (c) Anna Soucek

  • Türe

    (c) Anna Soucek

  • Tafel: Erbaut von der Gemeinde Wien unter den Bürgermeistern Dr. Josef Neumayer und Dr. Richard Weiskirchner

    (c) Anna Soucek

  • Licht

    (c) Anna Soucek

  • Bernhard Seiferd

    Bernhard Seiferd

    (c) Anna Soucek

  • Glasdach

    (c) Anna Soucek

  • Rohre

    (c) Anna Soucek

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Umso interessanter ist jedoch die Lebensgeschichte des Architekten, der es plante: Rolf Geyling geriet im Ersten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft, flüchtete nach China und konnte dort als Architekt große Bauprojekte umsetzen. Der Betriebsbahnhof Koppreitergasse wird bereits seit den 1970er Jahren nicht mehr als Remise genützt. Derzeit befindet sich in dem Gebäudekomplex - außer Lagerflächen - ein Tageszentrum für Obdachlose und Straßensozialarbeit.

Kulturjournal, 18.02.2013

Der denkmalgeschützte Betriebsbahnhof besteht aus mehreren Bauteilen, die teilweise übereinander gebaut sind: So wurden Wohnungen auf die große Wagenhalle und das dazugehörige Dienstgebäude aufgesetzt, um den wertvollen Baugrund möglichst effizient zu nützen. Möglich wird das durch die Stahlbeton-Konstruktion, eine zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch recht junge Entwicklung.

Gedenktafel

Bernhard Seiferd ist Mitarbeiter des Wiener Straßenbahnmuseums, er führt durch das Gelände. Mit der Wartung und Reparatur von Fahrscheinautomaten hat seine Laufbahn bei den Wiener Linien hier, im Betriebsbahnhof Koppreiter, in den 1980er Jahren begonnen. An der Außenwand eines niedrigen Nebengebäudes, neben dem vielbefahrenen Gürtel, ist ein Mahnmal für die Opfer des Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Eröffnet wurde es 1949 vom damaligen Bürgermeister Theodor Körner.

"Viele Straßenbahnerinnen und Straßenbahner waren bemüht, für ein Freies Österreich einzutreten", so Seiferd. "An die Zeit dieser Diktaturen erinnert dieses Mahnmals, und auch an die Opfer der Bombennacht vom 21. Februar 1945, wo viele Bewohner des Bahnhofs umgekommen sind."

Erst nach eineinhalb Jahren konnte der Betrieb wieder aufgenommen werden. In den 1980er Jahren wurden in der Remise übrigens Großausstellungen zur Geschichte der Arbeiterkultur und zu den Ereignissen des Februar 1934 abgehalten.

Wagner-Schüler Geyling

Auf dem Rundgang durch das Gelände begleitet uns die Architekturhistorikerin Inge Scheidl, die über die Biografie des Architekten Rolf Geyling forscht. Sie verweist auf Details, die an Otto Wagner erinnern. Bei dem Architekten und Stadtplaner Wagner hat Geyling studiert und auch später in seinem Atelier als technischer Zeichner am Stadtbahnprojekt mitgearbeitet: "Da sieht man schon das typische Wagner-Schüler-Kennzeichen, das Gesims, das so weit auskragt. Da sieht man schon von weitem: Das gehört zur Remise."

Der 1913 fertiggebaute Betriebsbahnhof Koppreiter, hat Bernhard Seiferd recherchiert, war mit seinen 13 Gleisen eher klein, jedoch angesichts des rasch expandierenden Straßenbahnnetzes in Wien sehr wichtig. 1903 gab es ein Streckennetz von 163 Kilometern - 1913 waren es bereits 262 Kilometer. "Und mit diesen Kilometern sind die Linien expandiert. Es brauchte Platz, die unterzustellen", erklärt Seiferd. "Hier waren bis zu 450 Leute beschäftigt."

Moderne Wohnungen für Beamte

Eine Besonderheit waren die Wohnungen über der Remise, die Mitarbeitern der "Städtischen Straßenbahn" mit Beamtenstatus zur Verfügung standen und sehr beliebt waren. "Dann gab es – sehr sozial für diese Zeit – Duschräume", sagt Seiferd. "Man hat sich ums Personal gekümmert. Es waren die Häuser modern gebaut mit Wasser und Klo. Das war damals schon sehr fortschrittlich. Es war ein Vorläufer zum Gemeindebau", ergänzt die Architekturhistorikerin Inge Scheidl. Die Remise in Meidling und eine weitere in Hernals, die heute immer noch in Betrieb ist, waren die ersten großen Bauaufträge des Architekten Rolf Geyling, der gerade erst sein Studium abgeschlossen haben musste.

"Er war sehr selbstbewusst, hat ein gutes Auftreten gehabt", sagt Scheidl. "Er hat dann die ersten Remisen in Stahlbeton gemacht." Er war ein großer Anhänger der modernen Materialien. Vorher hatte man Ziegel verwendet.

Im Zuge ihrer Recherchen über Rolf Geyling ist Inge Scheidl auf dessen in den USA lebenden Sohn gestoßen, der Dokumente, Feldbriefe und Tagebücher seiner Eltern aufbewahrt hatte.

Karriere in China

Um 1914 übersiedelte Geyling mit seiner Frau Hermine in deren Heimat Bukarest, wo er in der Baufirma des Schwiegervaters arbeitete. Im Ersten Weltkrieg wurde er eingezogen und geriet in russische Kriegsgefangenschaft. Die Zeit des Wartens in Gefangenschaft in Sibirien wusste der unternehmerische Architekt zu nützen, indem er Skizzen zeichnete, Tagebuch schrieb, fotografierte, in Wladiwostok Architektur unterrichtete und auch selbst am Lagerausbau mitwirkte. 1920 gelang ihm mit gefälschtem Pass die Flucht ins benachbarte China. Er landete zunächst im Badeort Peitaiho. Er habe bei einer Firma eine Anstellung bekommen, erzählt Scheidl, und den ganzen Ort geplant. "Mit Straßen und Hotels, Landschaftspark, ein Kaffeepavillon."

In Tiensin sollte sich Rolf Geyling schließlich niederlassen, und auch hier konnte er als Architekt schnell Fuß fassen. Er errichtete ein deutsch-amerikanisches Spital, eine Universität, zahlreiche Villen und Wohnblocks. Seine Kunden waren Deutsche, ebenso wie Chinesen. Der retrospektive, historistische Baustil kam bei den Chinesen besser an als die europäische Moderne, sagt Inge Scheidl: "Für China hat er Cottage-Häuser gebaut." Geyling habe die Moderne nach China gebracht, meint Inge Scheidl.

Viel über die Lebensstationen des Architekten hat sie aus Briefen seiner Frau erfahren. Hermine habe sich vehement gegen einen Umzug nach China gewehrt, so Scheidl, doch wollte ihr Mann seine mittlerweile florierenden Geschäfte nicht aufgeben. Mit der Ankündigung, das Ehepaar würde nach drei Jahren wieder nach Europa zurückkehren, ließ sich Hermine schließlich auf das Abenteuer ein. An diesen Strohhalm klammerte sich Hermine - letztendlich war sie 30 Jahre in China, erzählt Scheidl.

Begeisterter Sportler

Die in Tiensin und Beidehe erhaltenen Bauwerke von Rolf Geyling seien in schlechtem Zustand, weiß Inge Scheidl. In Österreich ist von ihm wahrscheinlich - neben den beiden Remisen in Wien - nur ein Bauwerk erhalten: Das um 1912 gebaute, für damalige Verhältnisse hoch moderne Clubhaus des Rudervereins "Normannen" in Klosterneuburg. Geyling, der geschäftstüchtige Architekt, fand neben seiner Arbeit auch noch Zeit für Leistungssport. Auch in China wurde er als Ruderer mehrfach ausgezeichnet.

Ein Buch von der Architekturhistorikerin Inge Scheidl über den Architekten Rolf Geyling wird demnächst im Böhlau Verlag herauskommen.