Roman von Jean-Jacques Schuhl

Auftritt der Geister

"Der Ausgangspunkt war ein Satz des Regisseurs Raul Ruiz, den ich eines Abends in einem Restaurant traf, und der mir eine Kinorolle anbot, die Rolle des Chirurgen in 'Orlacs Hände, erzählt Jean-Jacques Schuhl.

"Das war einer der Filme des deutschen Expressionismus, von dem es mehrere Versionen gibt. Und dann habe ich mich gefragt, was ich mit einer Person gemeinsam haben könnte, die so nahe am Bösen ist."

Kate Moss, gepaart mit "Alice im Wunderland"

Geheimnisvoll geht es zu im Roman des französischen Autors Jean-Jacques Schuhl, und nicht umsonst trägt das Buch den Titel "Auftritt der Geister". Der Schriftsteller Charles, so etwas wie das Alter Ego des Autors, schreibt einen Roman über ein Mannequin namens Marge, das im Fonds einer Limousine durch Paris fährt.

"Die Figur des Mannequins ist zusammengesetzt aus Kate Moss, aus 'Alice im Wunderland' und einer Figur aus einem Film von Jim Jarmusch, einem kleinen Mädchen, das die ganze Zeit am Rücksitz einer Limousine sitzt und Zeichentrickfilme anschaut. Ich wollte eine etwas somnambule Figur haben, die von diesem Bösen beherrscht ist", so Schuhl.

Marge wird von ihrem irren Ex-Freund verfolgt und als sie versucht, eine SMS in ihr Handy zu tippen, verselbständigt sich das Gerät und macht ganz ohne ihr Zutun aus "Luc" das Wort "Club". Dieser Club ist ebenso geheimnisvoll und ungreifbar wie der ganze Roman, in dem es vor Phantomen tatsächlich nur so wimmelt.

Anspielungen auf Literatur und Film

Im zweiten Teil trifft Charles den Regisseur Raul Ruiz, der dem Schriftsteller eine Rolle in einem Remake des Stummfilmklassikers "Orlacs Hände" anbietet: Charles soll den Chirurgen spielen, der einem Pianisten die Hände eines Mörders annäht. In weiterer Folge scheint der Roman, mit dem Charles nicht recht vorankommt, in sein Leben überzugreifen, die Figuren aus dem ersten Teil tauchen im zweiten wieder auf und all das durchmischt Jean-Jacques Schuhl mit einer fast unüberschaubaren Fülle von Anspielungen auf Gestalten aus Literatur und Film. Dies sind die eigentlichen Geister des Buches, die literarischen Phantome:

"Es sind hauptsächlich zwei literarische Phantome, eines aus einem Buch von André Gide, 'Die Verliese des Vatikans', da gibt es eine Figur namens Lafcadio, eine Art Dandy, der von weither aus den Karpaten kommt. Und dann laufe ich einem anderen Phantom über den Weg, man könnte auch sagen, einem 'esprit', das Deutsche ist da viel subtiler. Im Französischen muss man zwischen den Worten 'phantom' und 'esprit' wählen, im Deutschen gibt es das Wort 'Geist', das gleichzeitig 'phantom' und 'esprit' bedeutet. Den anderen 'Geist' treffe ich im Aufzug im Hotel Coste in Paris, es handelt sich um eine Figur aus Georges Batailles Roman 'Das Blau des Himmels', namens Troppmann. Die Atmosphäre ist also sehr gespenstisch."

Gespenster mit "Esprit"

Im Lauf des Romans verschwimmen die Ebenen, immer unklarer wird, was Realität und was bloße Phantasie ist. Schuhl befasst sich mit der Frage der Wahrnehmung und geht auf der Suche nach einer Antwort bis an die Grenzen: "Habe ich wirklich gesehen, was ich sah? Habe ich den Geist von Lafcadio gesehen, habe ich Troppmann gesehen, das Gespenst im Aufzug? Ich als der Erzähler kann nicht sagen, ob ich halluziniere oder nicht."

Und das gilt auch für den Leser: Man muss sich wirklich auf den Text einlassen, um ihm folgen zu können, und eine genaue Kenntnis der französischen und deutschen literarischen und cineastischen Traditionen ist dabei von Vorteil. Denn Schuhl spielt mit diesen Traditionen, mit Personen und Bildern und Andeutungen, und hat sich dabei auch im deutschen Sprachraum bedient:

"Es geht mir um den Glauben daran, dass die Geister, die Menschen, die nicht mehr da sind, die immateriellen Dinge, viel stärker sind als alles, was man anfassen kann. Es ist ein Flirt mit der deutschen Phantastik, mit der deutschen Romantik, dem Expressionismus des deutschen Kinos."

Ungewöhnlich und geheimnisvoll

Dazu kommt eine kunstvolle und mehrdeutige Sprache, fein ziseliert, manchmal fast schwebend, dann wieder von brutaler Direktheit, wenn es etwa um Organhandel geht oder um Drogen, die mit großem Enthusiasmus konsumiert werden.

Wer bereit ist, sich auf das Ungewöhnliche, Abartige und Geheimnisvolle einzulassen, der wird auf den 150 Seiten des Romans eine wahrhaft phantastische Reise erleben, die ihn mehr als einmal in veritable Verwirrung stürzt. Für Liebhaber etwas leichterer Kost ist "Auftritt der Geister" freilich nicht gedacht. Schuhl präsentiert ein Spiegelkabinett, in dem nichts so ist, wie es scheint, ein Kaleidoskop aus Doppelsinnigkeiten, Dialogfetzen, Handlungssprüngen und Anspielungen, in dem die Wirklichkeit zerbrechlich ist wie Glas und sich irgendwann die Frage stellt, ob nicht der ganze Roman womöglich ein Phantom ist. Ob er dabei seinen Leser allzu sehr fordert, das ist Jean-Jacques Schuhl freilich herzlich egal:

"Ich kümmere mich nicht um den Leser, ich schreibe das, was ich schreiben muss. Der Leser ist nicht mein Problem, umso besser, wenn er in Irre geführt wird, das ist besser als eine angenehme, ruhige Lektüre."

Service

Jean-Jacques Schuhl, "Auftritt der Geister", aus dem Französischen übersetzt von Christiane Landgrebe, Suhrkamp Verlag

Suhrkamp - Auftritt der Geister