Krimi(?) von Wolfgang Popp

Ich müsste lügen

Noch ein Krimi? Einer von den unendlich vielen, die den Markt überschwemmen: mit immer abstruseren Fällen und entsprechend waghalsig konstruierten Lösungen, mit flachen Charakteren und klischierten Handlungen. Der Krimi boomt, eine Flut lärmiger Mordgeschichten wandert über die Ladentische. Wolfgang Popps Buch hat es nicht nötig, auf diese Welle aufzuspringen.

Der Autor schickt seinen Erstling als Roman ins Rennen. Das ist natürlich ein Stück weit ein Etikettenschwindel, den man ihm schnell nachsieht, "Ich müsste lügen", wie das Buch heißt, baut sein Fundament auf einen ziemlich klassischen Fall aus dem Lehrbuch jedes Polizeischülers: Ein junger Mann ist verschwunden, mit der Vermisstenanzeige beginnen die Ermittlungen. Und zugleich des Autors Spiel mit seinen Leserinnen und Lesern, die er mehrfach und lustvoll im Trockenen stehen lässt.

Es begann mit einer Vermisstenanzeige

Hauptfigur des Romans ist Eva Rauch, verdiente Kommissarin bei der Wiener Polizei. Eine Frau mit Ecken und Kanten, fünfzig Jahre alt, alleinstehend, selbstbewusst, ziemlich spröde. Eine, die sich nicht so leicht in die Karten schauen lässt, die scharfsinnige Schlüsse zieht und gleichzeitig ihrer Intuition vertraut. Als der Akt Manuel Schall auf ihrem Schreibtisch landet, macht sie sich vorerst leidenschaftslos und routiniert ans Werk.

Manuel, so stellt sich heraus, hat über Monate hinweg beim Bestsellerautor Herbert Will gewohnt. Dieser hatte ihn gut bezahlt, um an ihm seine Studien treiben zu dürfen. Manuel sollte Modell werden für die Hauptfigur seines jüngsten Romans, eine Geschichte à la Dr. Higgins und Eliza Doolittle. Und da Will wenig Ahnung hat von der Jugend von heute, hat er den jungen Mann mit an Bord geholt. Umfassende Recherchen gehören eben auch beim Schreiben zum Handwerk.

Zwei Welten prallen aufeinander - da der schöngeistige, ziemlich undurchsichtige und darin diabolische Autor, dort ein ungebildeter Rapper, der ziellos durch die Tage driftet. Doch die seltsame Allianz funktioniert, bis ein Streit eskaliert und Manuel abhaut. Der exzentrische Will gilt als erster Verdächtiger. Hat auch eine sexuelle Verbindung zwischen ihm und dem jungen Mann bestanden, könnte Manuel durch Eifersucht und Besitzansprüche in die Flucht geschlagen worden sein? Oder hat ihn einer seiner undurchsichtigen Freunde umgelegt, aus welchen Gründen auch immer? So Manuel sich nicht einfach selbst in ein anderes Leben abgesetzt hat.

Spiel mit Personal und Requisiten

Wolfgang Popp fährt die klassischen Ingredienzien des Kriminalromans auf: Da gibt es die alerte Kommissarin, das verschwundene, mutmaßliche Opfer, die Zeugenaussagen, Vernehmungsprotokolle und Gespräche mit Angehörigen, Freunden und Gerichtsmedizinern. Den Kaffee aus dem Automaten, die ungezählten Zigaretten, den Opportunismus des Polizeipräsidenten und den Enthusiasmus der Dienstjüngsten. Alles da, was man so kennt aus diesem Genre. Aber eben: Wolfgang Popp spielt nur mit dem Personal und den Requisiten und führt ziemlich lustvoll vor, dass man damit auch einen Roman ganz anderer Art bauen kann.

Diese Eva Rauch ist eine vielschichtige Person - und auch eine gründliche, findige Polizistin. Klare Sache, dass sie sich im Laufe der Ermittlungen auch die Bücher dieses Herbert Will vornimmt, um so ein Psychogramm des Autors - und möglichen Täters - erstellen zu können. Dass ihr Will auch noch Notizen und Tagebücher überlässt, macht sie misstrauisch. Sucht er damit seine Unschuld weiter unter Beweis zu stellen? Oder ist er doch noch viel hinterhältiger, als Eva angenommen hat, und will sich auch ihrer Person bedienen?

Der Wort-Magier

Wolfgang Popps Roman ist ein ziemlich verschachteltes Gebilde. Während man Eva Rauch bei ihren Erkundungszügen begleitet, gerät man mitten hinein in die Bücher des Herbert Will. Auszüge aus dessen Romanen und Erzählungen sind in den Text montiert: ziemlich schmierige, aber doch süffige Geschichten, bestsellertauglich. Und darin ein Kontrast zur sprachlichen Eleganz, mit der die Entwicklung der Ermittlungen geschildert wird.

Auf diesen beiden Ebenen zieht der Roman recht flott dahin. Der Fall Manuel Schall ist längst am Nebengleis geparkt. Spannender wird, was mit Eva Rauch passiert: Sie spürt, wie sie Herbert Will und seinen Manipulationen auf den Leim geht, ohne sich ernsthaft wehren zu können. Bis sie schließlich in jener literarischen Welt aufzugehen scheint, in der Will wie ein Magier fuhrwerkt: Menschen, die ihm nahestehen, werden zu Romanfiguren, gemeinsame Erlebnisse zum Stoff für seine Bücher. Kein Geheimnis, das dabei unerwähnt bleibt, kein Detail der jeweiligen Biografien, das er nicht preisgibt und der Öffentlichkeit zum Fraß vorsetzt. Wer so von der Feder des Herbert Will gestreift worden ist, bleibt verwundet zurück. Nicht jeder findet den Notausgang aus diesem Labyrinth aus Realität und Fiktion.

Nicht alles muss geklärt sein

Was darf Literatur? Wo beginnt die Verantwortlichkeit des Autors, wo beutet er seine Umwelt aus, um seine nazistischen Lüste zu befriedigen und sich zum allwissenden Puppenspieler zu machen, der seine Figuren zum Tanzen bringt? Um dann den Erfolg seiner Bücher ganz alleine zu genießen.

Der Roman von Wolfgang Popp gibt sich zurückhaltend und subtil. Keine halsbrecherischen Effekte, keine sensationellen und darin vielleicht unglaubwürdigen Wendungen, kein Buhlen um uns Leser. Der Autor vertraut sich und dem, was er kann: Er schreibt gute Dialoge, er setzt auf einen Plot, der nie eindimensional dahin läuft, er hat sprachlich eine Reihe von Tonlagen zur Verfügung, derer er sich mit leichter Hand bedient.

Vor allem aber weiß er, wann's genug ist. Wolfgang Popp lässt Fragen einfach stehen. Es muss nicht alles geklärt werden, so wie beim Krimi. Ist auch viel besser so. Ein Augenzwinkern, und die Tür fällt ins Schloss. Die Causa Wolfgang Popp ist noch lange nicht zu Ende.

Service

Wolfgang Popp, "Ich müsste lügen", Folio Verlag

Folio - Ich müsste lügen