Geschichte, Interpreten, Sternstunden

Mythos Gitarre

Aus der Rock- und Popmusik ist sie nicht wegzudenken, die elektrische Gitarre. Ermöglicht sie es doch laut zu spielen. Sehr laut. Und Lautstärke ist im Rock seit jeher ein Wert an sich.

Laut, lauter, am lautesten

Als der Vater der Young-Brüder zu ersten Mal ein Konzert der Band seiner Kinder, AC/DC, besuchte, wurde er nachher gefragt, wie es ihm gefallen habe. Er erinnerte sich an den Zweiten Weltkrieg und meinte trocken:

"Ich war in Monte Cassino, als die Amerikaner das Ding platt machten und ich war in El Alamein, als wir Rommel mit unserem Trommelfeuer zurückschlugen, aber so etwas Lautes wie das hier habe ich noch nie gehört."

Laut Guiness Buch der Rekorde gilt die US-amerikanische Hardrock-Band Manowar als lauteste Band der Welt. Bei einem ihrer Konzerte wurden 139 Dezibel gemessen – ein Düsenjäger verursacht ca. 130 Dezibel.

Sauberer Klang im Vordergrund

Als die erste elektrisch verstärkte Gitarre das Licht der Welt erblickte, war von solchen Lärmexzessen noch keine Rede. 1934 wurde die sogenannten "Bratpfanne" zum Patent angemeldet. Das Instrument sieht aus wie ein Banjo, wird aber als Lapsteel auf die Oberschenkel gelegt und mit dem Griffbrett nach oben gespielt. Von 1931 bis 1937 wurden mehr als 2.700 Stück davon verkauft.

Auch später war Lautstärke nicht das, was die Gitarrenerfinder im Sinne hatten. Sowohl Leo Fender als auch Les Paul wollten, dass ihre Gitarrenmodelle einen sauberen, unverzerrten Ton produzieren. In den Augen ihrer Entwickler, war die E-Gitarre also keineswegs ein Instrument juveniler Revolte.

Hannes Frickes Buch "Mythos Gitarre" ist nichts anderes als eine Liebeserklärung an dieses Instrument. Von der "bulligen Les Paul" schwärmt er ebenso wie von der "eleganten Halbakustischen" oder der "schlanken Stratocaster". Über Verstärkermodelle lässt sich Fricke aus - und ja, Musiker kommen in diesem Buch auch vor.

Eric Clapton, der schon mit seiner ersten Platte zum Gitarrengott avancierte, erweist Fricke ebenso seine Reverenz wie Jimi Hendrix.

Flop Frauengitarre

Wichtiger aber als einzelne Musiker sind ihm einzelne Gitarrenmodelle. Was unterscheidet eine Les Paul von einer Stratocaster? Wer spielte wann, warum auf gerade jenem Modell und nicht auf einem anderen? Fricke ist ein Gitarrennarr, das merkt man diesem Buch auf jeder Seite an. Den Leser beschleicht daher oft das Gefühl, mit einem Nerd zusammenzusitzen, der nicht und nicht aufhören will, über jedes noch so kleine Detail stundenlang zu referieren.

Fricke will wirklich nichts auslassen. "Geschichte, Interpreten, Sternstunden" verspricht der Untertitel, aber selbst das ist dem Autor nicht genug. Der "Flamenco und das Leid der Welt" wird ebenso abgehandelt wie die "kurze Blütezeit im 19. Jahrhundert" und die "Neuen Wege im 20. Jahrhundert." Und die Frage, warum nur so wenige Frauen Rock-Gitarre spielen, schneidet Hannes Fricke auch an: "Wer würde bei der Frage nach E-Gitarren-Helden zuerst eine Frau nennen?" Wie könnte man mehr Frauen dazu bringen, Gitarre zu spielen?

1997 war die Musikerin Courtney Love, die musikalisch vom Punk beeinflusst war, der einzigen Musikrichtung, bei der Frauen laut Fricke ein eigenständiges Rollenmodell als Gitarristinnen entwickeln konnten; 1997 also war Courtney Love maßgeblich an der Entwicklung eines Gitarrenmodells speziell für Frauen beteiligt. Die "Squier Venus" erblickte das Licht der Welt. Die Gitarre war relativ leicht, die Korpusform eine Mischung aus verschiedenen Modellen. Aber dieses Modell verkaufte sich dermaßen schlecht, dass die Produktion ein Jahr später bereits wieder eingestellt werden musste.

Spätestens seit Punk befindet sich der Gitarrenvirtuose in der Krise. Drei Akkorde, mehr brauchten die Bands anno 1977 nicht, um die Musik neu zu erfinden. Sein Instrument zu beherrschen, das war nichts mehr, auf das man stolz sein durfte. Hannes Fricke erinnert in diesem Zusammenhang an die deutsche Band Trio. Wenn sich deren Gitarrist daran machte, ein Gitarrensolo zu spielen, gingen der Sänger und der Schlagzeuger von der Bühne und spielten währenddessen für alle sichtbar Tischtennis.

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Hannes Fricke, "Mythos Gitarre. Geschichte, Interpreten, Sternstunden", Reclam

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