Ein Überlebender der Roten Khmer berichtet

Auslöschung

Nahezu zwei Millionen Kambodschaner, das ist ein Viertel der Bevölkerung, fielen in den 1970er Jahren der Schreckensherrschaft der Roten Khmer zum Opfer. Einer, der seit Jahrzehnten gegen die Verdrängung der Verbrechen des Regimes unter Pol Pot kämpft, ist der mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilmer und Autor Rithy Panh.

In seinem gerade auf Deutsch erschienenen Buch "Auslöschung: Ein Überlebender der Roten Khmer berichtet" stellt Rithy Panh dem eigenen Überlebenskampf Interviews mit einem der gefürchteten Folterknechte des Schreckensregimes gegenüber.

Persönliche Abrechnung

Sie wurden gequält, in den Foltergefängnissen und auf den Killing Fields, den berüchtigten Massengräbern, grausam exekutiert oder starben an Unterernährung, während die Welt tatenlos zusah: den 1,7 Millionen Opfern der Todesmaschinerie der Roten Khmer widmete der in Paris und Kambodscha lebende Rithy Panh schon eindringliche Dokumentarfilme. Das Buch "Auslöschung" ist seine bislang persönlichste Abrechnung.

1975, zu Beginn der Schreckensherrschaft unter der Führung Pol Pots, die die Auslöschung aller Intellektuellen und die Errichtung eines kommunistischen Bauernstaates zum Ziel hatte, war Rithy Panh elf Jahre alt. Fast seine gesamte Familie fiel dem Regime zum Opfer, ihm selbst gelang mit 14 die Flucht aus den Umerziehungslagern nach Thailand und später nach Frankreich.

"Ich bin 1990 erstmals nach Kambodscha zurückgekehrt, aber im Grunde genommen bin ich nie wirklich fort gewesen", sagt Rithy Panh, der erst 1990, als 26-Jähriger, wieder nach Kambodscha reiste. Damals beschloss der Absolvent der renommierten Pariser Filmhochschule La fémis, sein Leben der Aufarbeitung des kambodschanischen Traumas zu widmen. Seine Dokumentarfilme wurden international mit Preisen bedacht, sein Spielfilm "Rice people" wurde sogar für den Auslandsoscar nominiert.

Konfrontation der Überlebenden mit ihren Peinigern

In seiner kambodschanischen Heimat wurde Panhs filmische Aufarbeitung der blutigen Geschichte des Landes nicht nur positiv aufgenommen, sagt Panh: "Ich werde als rüde wahrgenommen, das ist normal. Meine Generation spricht nicht gerne über die Zeit. Ich verstehe das, es ist nicht leicht, über den Tod der eigenen Familie zu sprechen und selber weiter zu leben. Es gibt viele Menschen, die große Schuldgefühle haben, die das Gefühl haben, nicht genug getan zu haben, um ihre Familie zu retten. Diese Menschen wollen auch nicht, dass ich darüber spreche. Aber die Akzeptanz wird immer größer. Es gibt viele junge Menschen, die sich heute damit auseinandersetzen wollen, die wissen wollen, was passiert ist."

In seinen Dokumentarfilmen konfrontierte Rithy Panh die wenigen Überlebenden der Folterlager mit ihren ehemaligen Peinigern. In seinem autobiografisch geprägten Buch "Auslöschung" steht die eigene Konfrontation mit Duch im Mittelpunkt. Kaing Guek Eav, genannt Duch, war der gefürchtete Leiter des Lagers S21 nördlich der Hauptstadt Phnom Penh, in dem mindestens 12.000 Menschen ermordet wurden.

"Duch ist ein sehr kultivierter Mann, hat ein gutes Gedächtnis, man kann mit ihm über Marxismus genauso wie über Literatur oder Malerei sprechen", so Panh. "Es war mein Wunsch zu verstehen, wie so ein Mensch dem Bösen verfallen kann und zu einem der größten Henker und Folterer des Jahrhunderts werden konnte."

Innerer Kampf

"Duch - Der Schmiedemeister der Hölle" heißt Rithy Panhs Film aus dem Jahr 2011, in dem er seine Gespräche mit dem ehemaligen Lagerleiter dokumentierte. In seinem Buch schildert der Autor jetzt auch seinen persönlichen inneren Kampf mit dem Massenmörder, der selbst nur ein kleines Rädchen in der Todesmaschinerie gewesen sein möchte. 2012 wurde Duch von einem internationalen Tribunal zu lebenslanger Haft verurteilt. Für Rithy Panh ist diese Strafe keine Genugtuung:

"Mir geht es vor allem darum, ob er die Wahrheit gesagt hat. Und das ist mein persönliches Drama, dass er das nicht getan hat. Er erkennt nur an, was er nicht leugnen kann. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich ihn in sein Dorf geschickt, um ihn dort mit seinen eigenen Leuten zu konfrontieren und wo er mit seinem eigenen Gewissen leben hätte müssen."

Berührendes Dokument

Gut 30 Jahre hatte es gedauert, bis gegen die Konstrukteure des Völkermords in Kambodscha gerichtlich vorgegangen wurde. Einer der Hauptverantwortlichen, Ieng Sary, starb Mitte März noch vor seiner Verurteilung; Pol Pot, der Führer der Roten Khmer, ist bereits seit 1998 tot. Ein Schuldeingeständnis gibt es von keinem der Haupttäter. Aber, so Rithy Panh, solange der Genozid im eigenen Land nicht aufgearbeitet wird, wird auch er keine Ruhe geben. Auch wenn die Beschäftigung mit den ehemaligen Folterknechten an den eigenen Kräften zehrt:

"Es ist sehr schwierig, darüber zu sprechen, ich habe schon schlaflose Nächte, bevor ich mit ihnen spreche - und danach. Es ist etwas, das mich extrem beschäftigt. Jeder will ein normales Leben haben, aber vielleicht ist das nicht möglich, wenn man solche Dinge erlebt hat. Diese Geschichte wird bis an mein Lebensende ein Teil von mir bleiben, aber ich denke, es ist sehr wichtig, meine Ängste, meine Alpträume nicht an die nächste Generation weiter zu geben. Aber dazu ist es vielleicht schon zu spät."

"Auslöschung", die autobiografische Aufarbeitung Rithy Panhs mit der blutigen Vergangenheit seiner Heimat, ist ein berührendes Dokument geworden. "Eine tiefgründige Annäherung an die Natur des Bösen in der Tradition von Primo Levis 'Ist das ein Mensch' und Elie Wiesels 'Die Nacht'", verspricht es der Klappentext - ein Versprechen, das mehr als erfüllt wird.

Service

Rithy Panh, "Auslöschung: Ein Überlebender der Roten Khmer berichtet", Verlag Hoffmann und Campe

Hoffmann & Campe