Das georgische Bergdorf Juta im Großen Kaukasus

Auf ins Sno-Tal

Ein schönes, altes und kompaktes Dorf erwarten wir uns, als wir am Morgen von Stepantsminda ins Sno-Tal aufbrechen. Zwei Stunden lang quält unser Fahrer Ilia sein geländegängiges Auto über den schmalen Feldweg in die kahle menschenleere Landschaft des großen Kaukasus im Norden Georgiens. Wie ein Slalomläufer sucht er den besten Weg zwischen Schlaglöchern und Steinen.

Es geht hinauf bis auf 2.330 Meter Seehöhe. Rundherum recken sich grasbewachsene Berge und schroffe Felsen auf bis zu 5.000 Meter in die Höhe. Die Landschaft ist karg und beeindruckend. Unser Ziel, das Dorf Juta, gibt jedoch nicht viel her. Zumindest optisch. Juta ein Dorf zu nennen geht eigentlich zu weit. Es ist vielmehr eine Ansammlung von Baracken, ärmlichen und vielfach baufälligen Häusern.

Das Haus der Familie Arabúli

Unsere Begleiterin und Übersetzerin heißt Chatuna. Sie ist Reiseleiterin und führt uns zum Haus der Familie Arabúli. Sie kennt Schálwa und seine Frau persönlich. Die beiden gehören zu den wenigen, die auch im Winter in dem abgeschiedenen Dorf bleiben, denn während der Wintermonate ziehen die meisten der Bauern mit ihrem Vieh hinunter ins Tal. Das Dorf ist mehrere Monate von der Außenwelt abgeschnitten. Meterhoch liegt dann der Schnee. Schálwa holt uns vom Ende der Straße ab und führt uns zu Fuß den schlammigen Weg hinauf zu seinem Haus. Er spricht kein Wort. Wir gehen vorbei an Hühnern, Kühen und Schweinen, die sich die Wege mit den Menschen teilen.

Haus

Haus der Familie Arabúli

(c) Haydn, ORF

Eine blaue Plane hält notdürftig den Regen vom Eingangsbereich des Hauses der Arabúlis ab. Alles wirkt notdürftig zusammengeflickt, doch drinnen ist es liebevoll eingerichtet. Im einzigen Wohnraum wartet schon Frau Arabúli, ihren Vornamen erfahre ich nicht. Schálwa Arabúli heißt uns willkommen. Zumindest sagt uns das Chatuna, ich bin auf ihre Übersetzung angewiesen.

Das ganze Leben spielt sich in dem einen Raum ab. Da steht ein Ofen, auf dem auch Wasser erhitzt wird, ein einfacher Herd und ein Bett. Hier schlafen und essen die beiden, und hier laden sie die Gäste auch auf eine Tasse georgischen Kaffee und Schokoschnitten ein. Schalwa Arabúli hat ein paar Schafe und Kühe, die drüben am Gegenhang weiden. Und er baut Gemüse an, was der karge Boden eben so hergibt. Seine guten Kartoffeln sind bis nach Stepantsminda bekannt, meint er.

Alte Bettbank

(c) Haydn, ORF

Im Winter vereinsamt

Im Sommer leben 20 Familien in Juta, erklärt der Bergbauer. Da bringen die Leute ihr Vieh hier herauf. Die Winter sind sehr hart, und sehr lang. Davor zieht die Hälfte der Bewohner hinunter ins Tal. Nur Schálwa Arabúli, seine Frau und ein paar andere Familien harren hier heroben aus.

"Das Leben im Sommer ist eigentlich eine ständige Vorbereitung auf den Winter", erzählt Schálwa Arabúli. Weil das Dorf im Winter wegen der Schneemassen monatelang von der Außenwelt abgeschnitten ist, muss in den paar Sommermonaten alles für den langen Winter vorbereitet werden.

  • Mann und Frau

    (c) Haydn, ORF

  • Mann und Frau

    (c) Haydn, ORF

  • Mann und Frau

    (c) Haydn, ORF

  • Schálwa Arabúli

    Schálwa Arabúli

    (c) Haydn, ORF

|

"Im Winter können wir hier gar nicht weg. Aber das macht mir nichts, ich wohne gern hier und hab gar kein Bedürfnis, nach unten ins Tal zu gehen."

Drei, vier Mal im Jahr macht sich der schon etwas gebrechliche Mann jedoch auf den weiten Weg in die Hauptstadt, um seine drei Töchter und den Sohn zu besuchen. Alle leben sie mit ihren Familien in Tiflis. Weil seine Tiere versorgt werden müssen, kann der alte Mann Juta jedenfalls nicht allzu lange fern bleiben.

Hartes, aber glückliches Leben

"Um sechs Uhr morgens steh ich auf. Dann geh ich mit meinen Kühen, Schafen und Pferden raus", so Schálwa Arabúli. "Meine Frau steht auch auf, sie geht dann gleich die Kühe melken, und gibt den Kälbern Milch. Dann treffen wir uns in der Küche, trinken Kaffee und frühstücken."

Mann, Hund, Kalb

(c) Haydn, ORF

Schálwa Arabúli und seine Frau haben wenig, sie leben von dem, was der Boden hergibt, und davon, was ihnen ihre Kinder aus der Stadt schicken. Genau schauen sie, ob die Gäste den Kaffee trinken und die Schnitten essen. Etwas übrig zu lassen gälte jedenfalls als unhöflich, erklärt Chatuna.

Nachher führt mich Schálwa hinaus, zeigt mir seine Tiere, den aus Weiden geflochtenen Hühnerstall und die Wasserleitung, die er sich mit Hilfe seines Nachbarn erst letzten Sommer bis zu seinem Haus gelegt hat. Ohne Übersetzerin, wortlos führt er mich aus dem Dorf. Bis hinauf zum Friedhof. Bei einem Grabstein bleibt er stehen. In den schwarzen Stein ist das Bild eines jungen Mannes mit Maschinengewehr graviert. Lange bleibt Schálwa dort und schaut auf das Grab. Ich weiß nicht, wer da begraben liegt. Aber das Bild ist verstörend. Die Gräber sind eingezäunt, wohl damit die Tiere nicht darauf herumtrampeln können.

Grabstein

(c) Haydn, ORF

Wieder zurück im Haus steht mir Chatuna wieder als Übersetzerin zur Verfügung. Schálwa erzählt, dass er sich auf der Veranda mit den Nachbarn trifft, wenn er freie Zeit hat. Sie trinken und sprechen über die gemeinsam verbrachte Jugend im großen Kaukasus. Immer öfter kommt es auch vor, dass sich Touristen hierher verirren. Manchmal reitet er mit den Fremden dann auf seinen Pferden in die bizarre Bergwelt. Das gefällt allen: den Reisenden, dem Bauern und auch den Pferden, sagt er.

Übersicht

  • Reisen