Erzählungen von Botho Strauß

Die Fabeln von der Begegnung

Botho-Strauß-bashing war eine Zeitlang in. Einer der erfolgreichsten Autoren der 1980er und 90er Jahre, die edelste Feder unter Deutschlands Theaterschriftstellern, ursprünglich als "links" geltend, wurde nach dem Essay "Anschwellender Bocksgesang" (1993) in die rechte Ecke gedrängt.

Strauß wurde Kulturpessimismus und Pseudotiefsinn vorgeworfen, was er an Kritik vorbringe, sei nichts als stockkonservativ. Irgendwann wurde der Meister kompliziert gedrechselter Sätze und sprachlicher Distinguiertheit wieder in Ruhe gelassen - seitdem gilt er als lebender Klassiker, der im Zweitjahrestakt Bücher publiziert.

Hohe Prosa

Botho Strauß hat zu diesem Ruf selbst genug beigegetragen und bedarf dennoch nicht der Verteidigung. Auch in seinem neuen Buch "Die Fabeln von der Begegnung" durchschreitet er die Landschaft seiner Figuren stellenweis im antikisierenden Versmaß hoher Prosa:

Spricht und schreibt heute noch irgendwer so? Aber anders gefragt: Warum sollte heute eigentlich nicht so geschrieben werden? Nur weil, was einmal Literaturszene hieß, zu einer Orgie an läppischen Krimis verkommen ist, die allein aus platten Protokollsätzen besteht und dennoch behauptet, es würden "große Themen" abgehandelt? Von den Weltvermessungsposen ganz zu schweigen, die verblasenen Exotismus zur Wiederkehr des Erzählens deklarieren. Natürlich - Karl May ist ein Bestsellerautor auf ewig! Was also ist in diesem Zusammenhang von der Formstrenge des Botho Strauß zu halten, der die großen Geheimnisse der Literatur, des Lebens und des Lesens ganz altmodisch vor der eigenen Haustür verortet?

Große Gesten

Jedes der zirka einhundert Prosastücke in den "Fabeln von der Begegnung" huldigt dem großen Gestus: egal ob acht Zeilen lang oder bis zur Minierzählung von sechs, sieben Seiten erweitert. Ob sich diese Legenden an die klassische Vorgabe des Genres hält - eine einzige Handlung, kein erzählerischer Seitenstrang, ein besonderes Ereignis und ein "moralischer" Erkenntnis-Satz am Schluss - sei dahingestellt. Eine Figur wird da eingangs so charakterisiert:

Was wie gekonnter, überstilisierter Modetalk beginnt, taucht ein in die Abgründe einer Person, deren Psychogramm bei Strauß selbstredend nicht ohne Hinweis auf den Heiligen Isidor auskommt (wodurch der sich auch immer ausgezeichnet hat); in einer unerwarteten Kehrtwendung der Beschreibung brechen über die Figur, deren einzige Sorge es ist, verachtete zu werden, plötzlich Ekel und Apokalypse herein:

Erhabenes und Banales

Botho Strauß war schon immer, seit seinen ersten Erzählungen und Theaterstücken, ein Meister der eleganten Verschränkung von Erhabenem und Banalem, von "hässlich" und "schön", Anspruch und Trivialität, von Exklusivität und Entgrenzung. Wer zum Gegenstand seiner Darstellung werden konnte, unterlag keiner Beschränkung, keinerlei "Tabu": Der ekstatisch Liebende findet sich da neben der Fensterputzerin, die auf zwei Polizisten trifft; ein junger Mann führt nächtens seiner Angebeteten, die sich derweil mit ihrer Freundin im Bett räkelt, ein Zauberkunststück, eine regelrechte Levitation. Verzweifelte Dandys agieren neben Buchhaltern; da finden sich allerlei Nymphen und da ist der Installateur namens Gebhard. Sie alle treten auf den Plan, um aus einer Welt hinauszufallen, die Botho Strauß mit dem simplen Namen unsere "Gesellschaft" bezeichnet.

Gegen die Sinnlosigkeit dieser Gesellschaftswelt, die kritisch bestenfalls über Lustentzug schwadroniert, plädiert der Erzähler auf höchst emphatische Weise für Welt! Für Welthaltigkeit. Seine Mittel und seine Methode sind dabei altbewährt: Treffsicheres Erzählen vom ersten Satz an:

Natürlich wird aus der Anbahnung zur "Tuchfühlung" im altbewährten Sound auch diesmal nichts, aber das ewige Thema des Botho Strauß - Beziehungen und deren Verwerfungen - wurde noch nie so gnadenlos und zugleich klassisch verhalten abgehandelt wie in den "Fabeln von der Begegnung": Von einem Paar heißt es: "sie überstanden die Vertreibung aus dem Paradies, ohne sich scheiden zu lassen". Mehr ist darüber nicht zu sagen.

Zum letzten Mal Psychologie!

Verfällt Strauß bisweilen - im Fall einer Ehebruchsgeschichte - in den Tonfall eines Katecheten, überrascht er an anderer Stelle mit einem einzigen Wort, um eine Situation zu charakterisieren. Die Berührung zweier Unbekannter, die einmal als "Eingangssignal galt, um Interesse an fortschreitendem Verhalten anzuzeigen", ist durch das emotionslose "Stewardessen-Syndrom" abgelöst. Grundsätzlich gilt in all diesen Liebes- und Heiratssachen Franz Kafkas Maxime: "Zum letzten Mal Psychologie!" Und - wer hätte den Typus Don Juan je besser und zugleich sarkastischer charakterisiert:

Mit Ausnahme einiger äußerst innig beschriebener Vater-Kind-Geschichten hat sich der Großteil von Straußens Protagonisten ohnehin nicht so sehr in großen Leidenschaften erschöpft, die große Verwirrung bricht nur noch in der Banalität des Alltages aus: Die mit einer Badezimmerrenovierung soeben fertig gewordenen Handwerker sind nicht imstande, dem Wohnungsbesitzer zu erklären, worin ihre Arbeit bestand. Der wird von Verständnislosigkeit befallen:

Handel es sich bei derartigen Szenen um die Beschreibung von Kleinheitsfimmel, der zum Größenwahn hochstilisiert wurde? Ein Vorwurf, den Friedrich Hebbel einst gegen Adalbert Stifter erhob. Botho Strauß bliebe gegen diesen Einwand standhaft.

Mysterien des Unerheblichen

Eines seiner Grundprinzipien, wenn er über Fragen der Religion, über Kunst und die angebliche Wiederkehr des Agitprop räsoniert, lautet:

Dass wir uns in einer "spätliterarischen Phase" befinden, ist ohnedies die Grundstimmung aller Erzählungen von Botho Strauß. Was bleibt, ist ein fast ans Aphoristische grenzendes Erzählen, in dem zwar kein Gedankensplitter die Kraft hat, sich zum großen Traktat auszuweiten; in manchen minimalistischen Texte scheint aber noch immer der Anfang eines ganzen Romans durch.

Über den nervigen Gutsherrenton, in den Botho Strauß manchmal auch verfällt, kann man gelassen hinweglesen. Vermutlich ist es der Preis, den der Autor bezahlt, der Zeitgenossenschaft verweigert und gerade dadurch zum tatsächlichen Zeitgenossen wird: Warum sollte man nicht mehr Klassik lesen können? Der Verdacht liegt nahe: weil niemand mehr klassische schreiben kann! Botho Strauße kann es. Mit einer elitären Pose hat das nichts zu tun, denn eine Figur wird in "Die Fabeln von der Begegnung" jedenfalls kurz und bündig und endgültig erledigt: Ein Snob? Was ist ein Snob? "Ein unerlöster Lidl-Kunde."

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Botho Strauß, "Die Fabeln von der Begegnung", Carl Hanser Verlag

Carl Hanser Verlag