Die "kleinen Protokolle" des Albert Drach

Amtshandlung gegen einen Unsterblichen

Das Individuum in den unbarmherzigen Fängen von Institutionen und deren Fachsprache - mit diesem Thema beschäftigte sich Albert Drach nicht nur in seinem Beruf als Jurist, sondern auch in seinem literarischen Werk.

Der 1902 in Wien geborene Autor jüdischer Herkunft ging dabei aber weit über eine inhaltliche Auseinandersetzung der Beziehung des Menschen zu den menschlichen Einrichtungen, insbesondere von Behörden und Gerichten, hinaus: Auf formaler Ebene erschuf er einen einzigartigen "Protokollstil", der ihm als Mittel diente, Objektivität und Wahrheit infrage zu stellen.

Der drachsche Protokollstil

Auch die sogenannten "Kleinen Protokolle", Erzählungen, die in den Jahren von 1927 bis 1961 entstanden sind, zeugen von diesem drachschen Stil und liegen nun im zweiten Teil des siebten Bandes der Albert-Drach-Werkausgabe vor. Bernhard Fetz, einer der Herausgeber der Gesammelten Werke und Direktor des Österreichischen Literaturarchivs, über Drachs Protokollstil im Interview:

"Der Protokollstil - und darauf war Drach stolz - ist eine Erfindung Drachs, also er sagt, er hat ihn in die deutsche Literatur eingeführt. Drach wurde sehr ungemütlich, wenn man ihm unterstellt hat, er würde hier nur ein altösterreichisches Kanzleideutsch verwenden beziehungsweise sich anverwandeln, oder wenn er etwa mit Autoren wie Herzmanovsky-Orlando, zweifelsohne ein großer Autor, verglichen wurde, der also vor allem kakanische, altösterreichische Skurrilitäten beschreiben würde. Drach ging es mit dem Protokollstil um etwas ganz anderes: Er war noch Jurist, klar, er wusste wie Protokolle zustande kommen und er wusste natürlich sehr genau, wie tendenziös Protokolle sind und wie unmöglich es ist, ein objektives Protokoll zu verfassen, das die Wahrheit des Gesagten vollständig wiedergibt. Und er nützt dieses Protokoll, um Ressentiments, Vorurteile in eine scheinbar objektive Form einzuschleusen und auf diese Weise alles, was eben gegen die Opfer vorgebracht werden kann oder auch in der Realität vorgebracht wird, da unterzubringen."

"Gleichzeitig hat das einen ironischen, zynischen Effekt", so Fetz weiter, "es ist nicht leicht zu lesen, das kann man zugestehen, aber wenn man einmal Gefallen gefunden hat an dieser Sprache , und auch versteht, wie sie funktioniert, dann ist es schon ziemlich großartig und tatsächlich eine Erfindung. Also er macht sich diese Sprache zueigen, er imitiert auch die Sprache der Macht - die Protokollführer sind ja die Vertreter von der Justiz, Macht, Polizei - und unterläuft diese Sprache aber gleichzeitig, indem eben klar wird, dass sie alles andere als objektiv ist."

Die Mühlen der Macht

Um das nie gerechte Schicksal seiner Protagonisten abzubilden, rückt Drach ihnen mit dem Protokollstil zu Leibe. In der Erzählung "Vermerk einer Hurenwerdung" wird etwa der unausweichliche Weg eines Mädchens zur Dirne nachgezeichnet; in "Ironie vom Glück" wird einem Mann der Mord an seiner Geliebten unterstellt.

Mit den Mühlen der Macht ist auch der Protagonist in der titelgebenden Erzählung "Amtshandlung gegen einen Unsterblichen" konfrontiert, bei dem es sich um niemand anderen als den großen Dichter Arthur Rimbaud handelt. Dieser zeigt während eines Aufenthalts in Wien den Diebstahl seiner beiden Koffer an, die während einer Fahrt im Fiaker abhanden gekommen sind. Der Kutscher wird von Rimbaud des Diebstahls verdächtigt, doch dieser erhält Schützenhilfe von einem Zeugen. In den Augen des ermittelnden Kommissars wird schließlich Rimbaud als "Zugereister" selbst zum Verdächtigen.

Präludium zu den "Großen Protokollen"

In den "Kleinen Protokollen" - die meisten entstanden Ende der 1920er Jahre - hat der Erzähler noch die Funktion des verantwortungsvollen Protokollanten, dessen Aufzeichnungen der Wahrheitsfindung dienen. Sie sind ein Präludium zu den "Großen Protokollen", wie dem "Großen Protokoll gegen Zwetschkenbaum", mit dem Drach 1964 späte Bekanntheit erlangte ehe er wieder in Vergessenheit geriet. Darin entwickelt der Autor den scheinbar objektiven Protokollstil weiter und ändert die Erzählhaltung, indem er ganz bewusst gegen die Figuren protokolliert. Der Aufzeichnende ist durchdrungen von Voreingenommenheit, von der Überzeugung, dass der Angeklagte stets schuldig ist.

"In den 'Kleinen Protokollen' zeigt sich ein Autor, der um Kürze bemüht ist", sagt Bernhard Fetz. "Also Drach sagt zu diesen 'Kleinen Protokollen', er versucht, alles, was epische Breite ausmacht, zu vermeiden, er vermeidet Dialoge, Dramatik und versucht eine Form zu finden, die dem Schicksal seiner Protagonisten gerecht wird, und die zeichnet aus, dass sie Erfolglose sind, vom Leben benachteiligte, Opfer vielleicht. Die 'Kleinen Protokolle' sind etwas unbeteiligter. Bei den 'Großen Protokollen' hat Drach gesagt, es geht ihm darum, gegen seine Helden zu schreiben zu protokollieren, alles vorzubringen, was gegen eine Person vorgebracht werden kann und sei diese Person auch man selbst, wie in den autobiografischen Büchern."

"Am Schluss der Bücher zeigt sich dann der Moralist Drach", meint Fetz. "Und der Zynismus sagt, Drach ist ein Anwendungsfall der Ironie, und auch Zynismus und Ironie als Grundhaltung dem Leben gegenüber schließen den Moralisten nicht aus. Also am Schluss zeigt sich dann doch, wie mit den Opfern verfahren wird und zeigt sich dann doch so etwas wie eine Sympathie des Erzählers für seine Figuren. Am besten vielleicht in 'Untersuchung an Mädeln'. Das ist die Geschichte zweier Autostopperinnen, die an der noch nicht fertig ausgebauten Westautobahn Anfang der 60er Jahre stehen, von einem Stechviehhändler mit dem schönen Namen Thugut mitgenommen werden und dann diesen Thugut erschlagen haben sollen, mit einem Wagenheber, nachdem er versucht hat, sie zu vergewaltigen. Und das wird bei Drach, und das find ich großartig, zu einem Panorama der österreichischen Nachkriegsgesellschaft."

Drachs schwarze Weltsicht

Die Ohnmacht des Individuums gegenüber einem ungerechten Schicksal, vergebliche Versuche einer übergeordneten Entscheidungsmacht entgegenzutreten und Veränderungen höchstens zum Schlechteren - diese Weltsicht vertrat Albert Drach schon lange vor der Schoah und der eigenen Flucht vor den Nationalsozialisten 1938. Sie ist wohl zum Teil seinem Anwaltsberuf geschuldet, der nicht nur seinen literarischen Stil, sondern auch seinen Blick auf die Gesellschaft prägte.

"Man kann sich wirklich fragen, woher Drachs sehr schwarze Weltsicht herrührt, zumal er ja in einem sehr wohlbehüteten Elternhaus in guten Verhältnissen aufgewachsen ist", so Fetz. "Es mag einerseits wirklich an der Lektüre liegen. Also er hat schon früh die 'bösen Autoren' verehrt und es war sein Anspruch, selber ein böser Autor zu werden. De Sade hat er verehrt sein ganzes Leben lang. Ganz sicher auch - das ist vielleicht die zweite Erklärung neben der Lektüre - seine Erfahrungen mit der Justiz. Er hat von Anbeginn an nicht geglaubt, dass die Justiz in der Lage ist, Gerechtigkeit auf Erden in der Lage ist zu schaffen. Sie spricht Recht, manchmal besser, manchmal weniger gut, aber Gerechtigkeit oder Humanität entsteht dadurch nicht in Drachs Sicht."

Als Spiegel seiner Lebensgeschichte erweist sich auch die Rezeption der Werke Drachs. Nach seiner Rückkehr in die Heimat fand er schwierige Lebens- und Publikationsbedingungen vor. Erst als er 1988 überraschend den Georg-Büchner-Preis erhielt, entdeckte man sein Werk neu. Heute ahnt man nicht mehr nur, dass Albert Drach einer der bedeutendsten österreichischen Autoren ist.

Die neue, liebevoll und aufwendig gestaltete Werkausgabe, die unter anderem Kommentare und Darstellungen der Textgenese enthält, und die in den nächsten Jahren fertig gestellt werden soll, drückt deutlich die Anerkennung für diesen außergewöhnlichen Autor aus, der - dies sei abschließend bemerkt - bis zu seinem 82. Lebensjahr als Anwalt arbeitete.

Service

Albert Drach, "Amtshandlung gegen einen Unsterblichen. Die kleinen Protokolle", Zsolnay Verlag

Hanser - Zsolnay und Deuticke