Gerhart Holzinger: Politfrust und Desinteresse

Einer der sich wegen des Politfrusts der Bevölkerung sorgt, ist der Präsident des Verfassungsgerichtshof Gerhart Holzinger. Er verlangt nicht nur, dass die Wähler mehr Einfluss haben sollen, welche Personen konkret in die Parlamente einziehen. Er meint im Journal zu Gast auch: Eine rechtzeitige Volksabstimmung vor dem Euro hätte allerlei Politfrust verhindert.

Mittagsjournal, 04.05.2013

Gerhart Holzinger

Gerhart Holzinger

(c) Fohringer, APA

Mischung aus Frustration und Desinteresse

Gerhart Holzinger ist enttäuscht über die geringe Wahlbeteiligung in Tirol, aber auch beim Demokratie-Volksbegehren. Er beobachte schon seit längerem, dass in der Bevölkerung eine Mischung aus Frustration und Desinteresse besteht, und das ist für eine Demokratie keine erfreuliche Entwicklung, sagt Holzinger. Er hat das Volksbegehren nicht unterschrieben, weil er nicht ein prominenter Unterschreiber eines Volksbegehrens sein möchte: "Aber ich habe schon mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass die Kernanliegen dieses Volksbegehrens, aber auch anderer politischer Vorschläge, die in Richtung Stärkung insbesondere der Persönlichkeitswahl aber auch von Elementen der direkten Demokratie, gegangen sind, dass ich das für einen guten Weg halten würde, um aus der Situation der Frustration und des Desinteresses herauszukommen."

Demokratie ist Hol-und Bringschuld

"Demokratie und Rechtsstaat sind aufeinander angewiesen. Es gibt keinen Rechtsstaat ohne Demokratie und umgekehrt auch nicht, und daher muss jedem, dem der Rechtsstaat am Herzen liegt, und das muss für einen Höchstgerichtshofspräsidenten eine Selbstverständlichkeit sein, natürlich auch die Demokratie am Herzen liegen", sagt Holzinger. Auf tagespolitische Auseinandersetzungen würde er sich niemals einlassen. Für Holzinger ist eine nachhaltige Änderung des Wahlrechts erforderlich, die sicherstellt, dass das Verhältnis zwischen den Wählern und den Gewählten intensiver wird, also dass die Listenwahl reformiert wird. "Demokratie ist sowohl eine Holschuld als auch eine Bringschuld."

Probleme mit Tiroler Agrargemeinden

Die Probleme mit den Tiroler Agrargemeinden will Holzinger nicht mit dem Kärntner Ortstafelkonflikt vergleichen. Der VfGH hat vor Jahren zugunsten der Gemeinden entschieden, umgesetzt wurde fast nichts. Seit der Grundsatzentscheidung 2008, gebe es das Bemühen, der Judikatur Rechnung zu tragen. Einige Verfahren seien noch anhängig, sagt Holzinger. Man werde sehen, ob in der neuen Gesetzgebungsperiode des Tiroler Landtags diese Frage durch den Gesetzgeber endgültig geklärt wird. "Aber unsere Judikatur steht unverrückbar fest."

Volksabstimmungen notwendig

Um Entfremdung und Dissonanzen zwischen nationaler und europäischer Ebene zu verringern, sollten prinzipiell neue Integrationsschritte immer auf eine breite demokratische Basis gestellt werden, also Volksabstimmungen stattfinden, meint Holzinger. "Ich kann nur spekulieren: Ich glaube, wenn man über die Einführung der neuen Währung Volksabstimmungen abgehalten hätte, dann wären die Probleme, die wir jetzt haben, nicht so groß gewesen. Das kann ich allerdings nicht beweisen, weil die Sache gegessen ist."

Biensterben: Amtsgeheimnis bemühen?

Die Frage zum Pestizid-Verbot und dem Bienensterben trifft bei Holzinger auf - wie er sagt - einen "wunder Punkt": Als Präsident des VfGH möchte er sich dazu nicht äußern. Er sei aber sehr umweltbewusst und er verstehe nicht, dass, wenn der Einsatz eines bestimmten Mittels offenbar zu Schädigungen führt, man den Einsatz dann nicht unterlässt. "Und ich verstehe auch nicht, warum man in diesem Zusammenhang die Amtsverschwiegenheit bemüht, um Informationen, die offenbar wichtig sind, um die Gefahr, die Risken einzuschätzen, die sich beim Einsatz dieser Pestizide ergeben", nicht preiszugeben, kritisiert Holzinger.

Balance zwischen Sicherheit und Freiheit

Anlässlich der Diskussion um die Videoüberwachung der Rettungsgasse warnt Holzinger grundsätzlich vor der totalen Überwachung, weil man sich im Klaren darüber sein müsse, dass bei allem Verständnis für Sicherheit, wir nicht unsere Freiheitssphäre völlig aufgeben dürfen. Ihm sei völlig klar, dass die Videoüberwachung bei der Strafverfolgung wichtig sei und einen präventiven Zweck habe, etwa in den U-Bahn-Linien, allerdings auch dort nicht verhindere, dass es zu Kriminalitätsfällen komme. Er plädiert, weil er sich auch von Amtswegen verpflichtet fühlt, für eine sinnvolle Balance zwischen Bestreben nach Sicherheit und dem notwendigen individuellen Freiheitsraum in einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft.

Verfasung schützt Steuerbetrüger nicht

Zur Änderung des Bankgeheimnisses für ausländische Anleger sagt Holzinger, müsse man die Verfassung ändern. Holzinger lässt eine deutliche Präferenz für den internationalen Datenaustausch erkennen. Es sei jetzt aber eine rechtspolitische Frage: "Eines steht aber fest: Es gibt keine verfassungsrechtliche Regelung, die Steuerhinterzieher und Steuerbetrüger davor schützen würde, dass sie ihrer Steuerpflicht, die mich ebenso trifft wie Sie und alle unsere Zuhörer, dass sie sich diesen Bestimmungen und Regelungen entziehen."