Bibelkommentar zu Johannes 20, 19 - 23
Pfingsten ist seit der frühen Kirche das Fest des Heiligen Geistes. Mancher denkt an das Kommen einer seltsamen Flammenerscheinung von Himmel her. Ähnlich wie das Bild der "Himmelfahrt" Jesu ist dieses mit dem heutigen Weltbild schwer vorstellbar.
29. Mai 2013, 15:09
Was aber die frühe Kirche unter dem Heiligen Geist, der die Menschen beseelt, verstanden hat, das wird in dem soeben gehörten Text aus dem Evangelium nach Johannes deutlicher.
Hier ist davon die Rede, dass die Jünger Jesu aus Furcht hinter verschlossenen Türen versammelt sind. Einerseits haben sie also zusammen gehalten. Sie sind nicht auseinander gegangen, obwohl ja ihr Anführer Jesus nicht mehr bei ihnen ist. Andererseits haben sie Angst. Wovor? Macht man sich nicht leicht lächerlich, von der Auferstehung eines Propheten zu sprechen, ihn als Erlöser der ganzen Welt und Gottes Sohn anzusprechen, wenn dieser Prophet gar nicht gesehen werden kann?
Es ist noch mehr als Lächerlichkeit, es ist wirklich Angst vor Verfolgung. Wer Angst hat, neigt selbst zur Gewalt. Prophylaktisch, vorauseilend. Es könnte sein, dass mir die anderen etwas antun wollen. Sie verstehen und akzeptieren ja nicht was ich glaube. Gewalt und Angst sind Geschwister. Mit dem Wort "Friede sei mit Euch" vertreibt Jesus die Furcht dieser armseligen Schar.
Ich glaube, dass wir den Auftrag "Wie mich der Vater gesendet hat, so sende ich Euch" in diesem Licht interpretieren können. Die "Sendung", die von Jesus ausgeht, bezieht sich auf das Ende von Furcht und Gewalt. Die Jünger Jesu sollen aufhören, sich zu fürchten und nicht auf Gewalt vertrauen. Damit sollen sie auch den übrigen Menschen ein Beispiel geben und mitwirken, Gewalt und Furcht zu vertreiben.
Dabei fällt mir auf, dass das Evangelium nicht nur eine Botschaft an die Jünger Jesu, d.h. an den strenggläubigen inneren Kern, die überzeugten Anhänger Jesu enthält, sondern an alle Menschen in Jerusalem. Vielleicht sollten wir auch den letzten Abschnitt dieses Textes offener interpretieren: Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben, wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.
Man könnte aus der Perspektive der Mächtigen der Kirche arrogant denken: NUR WIR haben das Mittel zur Vergebung. Jesus hat es uns gegeben, wie eine Art Geheimcode. Wem wir es nicht geben, der bekommt eben keine Barmherzigkeit. Wenn ich das Johannesevangelium lese, habe ich den Eindruck, dass diese Verweigerung, das Nicht-Vergeben seitens der Kirche, die größte Sünde wäre, von der hier überhaupt die Rede ist.
Hier ist also nicht die Begründung der Ohrenbeichte zu lesen - die in der Kirche des frühen Mittelalters aufkam -, sondern die moralische Verpflichtung, allen Menschen zu vergeben. Es wird nicht in die Verfügung der Jünger Jesu gestellt, anderen zu vergeben oder nicht zu vergeben, sondern es wird ihnen aufgetragen, allen zu vertrauen und allen zu vergeben, und somit Furcht und Gewalt in der ganzen Welt zu beenden.
Wer den Heiligen Geist empfängt, ist also nicht ermächtigt, über die Sünden der anderen zu urteilen und ihnen einen Platz innerhalb oder außerhalb der Erlösung zuzuweisen, sondern er ist befähigt zum Dialog mit den anderen, auch mit den Andersgläubigen. Hier wird die Botschaft durchaus aktuell. Wer den Heiligen Geist empfängt, der soll in Achtung vor dem Anderen Angst und Gewalt überwinden und die Freundschaft Gottes anbieten.