Anklage einer verlorenen Generation
Genug Gelogen! So nicht!
Die Demokratie sei zur Farce geworden, die Politik habe keine Ideale mehr und interessiere sich weder für die Probleme noch für die Perspektiven der Jungen. Der 23-jährige Bernhard Winkler formuliert 20 Anklagepunkte.
8. April 2017, 21:58
Es ist wahrlich kein Jammerton, in dem Bernhard Winkler seine Anklage formuliert, er argumentiert sehr salopp, locker und amüsant. Generation verloren, Generation Praktikum, Generation ohne Vision – Etikette wie diese werden den heute 20 bis 30-Jährigen gerne verpasst.
"Vom Freak zum Frustrierten" nennt Bernhard Winkler sein erstes Kapitel, in dem er von seinem wachsenden Interesse für Politik als Jugendlicher erzählt, das sich zehn Jahre später in Politikfrust verwandelt hat. Er klagt an: die Politik habe ihre Glaubwürdigkeit verloren - eines von vielen Indizien dafür sei der "Geilomobil-Wahlkampf" der jungen Schwarzen im Jahr 2010.
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Der spätere Staatssekretär war mit 23 Jahren dem Glauben erlegen, politische Slogans für junge Leute entstehen, indem man ein Modewort ins Zentrum einer nichts sagenden Phrase stellt. Bei der Wahl des passenden Ausdrucks stützte er sich vermutlich auf die Ergebnisse einer Studie aus den 1990ern. Denn in dieser Zeit war "geil" tatsächlich ein innovatives und subversives Jugendwort.
"Leider geil" wurde zwar 2012 zum österreichischen Jugendwort des Jahres gekürt, in der aktuellen Politik ist aber noch immer leider wenig geil, Veruntreuung, Käuflichkeit und Unschuldsvermutung haben häufig Auftritte in den Nachrichten.
Der Politik fehle das Kommunizieren mit den jungen Wählern und es mangle an Werten, die die Parteien klar unterscheiden, kritisiert der 23-Jährige.
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Die Politik hat es geschafft, aus einem wissbegierigen jungen Menschen einen Frustrierten zu machen. Bei den ersten Wahlen, die ich mit einem Kreuzchen mitentscheiden durfte, hatte ich meine staatsbürgerliche Pflicht noch stolz erledigt. Jedes Mal gab es ein Angebot, das zumindest ein bisschen meinen Vorstellungen entsprach. Heute, im Jahr 2013 ist alles anders. Die Politik kämpft mit einem Ansehen als im besten Fall notwendiges Übel. Die Bürger flüchten sich in Zorn, Resignation und Sarkasmus.
Sehr treffend geschrieben ist das Kapitel über junge Akademiker, die Arbeit suchen. Winkler beruft sich auf eine Studie der Statistik Austria über den Bildungsstand der Bevölkerung, nach der der Anteil jener Menschen, die einem akademischen Abschluss haben, jedes Jahr steigt: In Österreich hat sich die Akademikerquote zwischen 1971 und 2010 von 2,8 auf 11,4 Prozent mehr als vervierfacht.
Auch die Zahl der Menschen mit Matura hat sich in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt, der Anteil jener Österreicher, die nur einen Pflichtschulabschluss haben ist von 57,8 Prozent auf 19,4 Prozent gesunken. Ist Österreichs Bevölkerung also klüger geworden, verdient sie mehr Geld? Oder ist sie in ihren Jobs glücklicher als früher? Vieles spreche dagegen, meint Bernhard Winkler.
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Wenn ich mir die Einstiege von Studienabsolventen in meinem Alter ins Berufsleben ansehe, erkenne ich einen bemerkenswerten, ernüchternden Trend: Jobs, die eigentlich für Maturanten vorgesehen sind, werden an junge Akademiker vergeben, die keinen adäquaten Job finden. Die Bürger haben sich in Form von höheren Bildungsabschlüssen weiterentwickelt. Allein, die Wirtschaft hat keine dazu passenden Arbeitsplätze zu bieten. Es sieht so aus, als bräuchten die Unternehmen immer noch gleich viele Pflichtschul-Absolventen, Maturanten und Akademiker wie vor 20 oder 30 Jahren. Nur das Arbeitskräfte-Angebot hat sich eben verändert. Resultat: Unzufriedene Überqualifizierte mit unterbezahlten Jobs.
Viele Jobs sind befristet, Arbeitsverhältnisse auf Werkvertragsbasis sind keine Ausnahme und der gut verdienende Angestellte, der in Pension geht, werde oft durch einen schlecht bezahlten Berufseinsteiger ersetzt, klagt Winker an. Er beschreibt auch das Unverständnis vieler Eltern, die nicht verstehen wollen, warum sich die Jobsuche des doch so gut ausgebildeten Nachwuchses über Monate hin zieht.
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Die Eltern machen aus der Lebenskrise des Juniors eine Finanzkrise und signalisieren enden wollende Bereitschaft zur Investition in den teuer durchgefütterten, arbeitslosen Nachwuchs. Ihre strenge Haltung stützen sie auf die Erfahrungen aus der eigenen Jugend in den glorreichen 1970er und 1980er Jahren. Eine Zeit, in der aus jedem selbstbewussten Akademiker eine Führungskraft wurde und jeder, der eine Handelsakademie mit Auszeichnung abschloss, gute Aussichten auf einen Job als Bankdirekter eines regionalen Geldinstituts hatte.
Die Veränderung der Arbeitsumstände geht Hand in Hand mit veränderten Lebensumständen: Das durchschnittliche Alter, in dem eine Frau heute ihr erstes Kind bekommt liegt bei 28,5 Jahren. In den 1980 er Jahren lag der Durchschnitt noch unter 25 Jahren. Damals wurde auch schon zwischen 20 und 25 geheiratet, heute erst um die 30.
Deswegen sei aber auch "Generation Praktikum" weder ein liebevoller Spitzname noch ein jugendliches Etikett, sondern es bezeichnet Berufseinsteiger, die trotz Job ihr Leben nicht finanzieren können. Bernhard Winkler klagt aber nicht nur an, er liefert auch Ideen und hält am Ende des Buches ein beinahe pathetisches Plädoyer gegen Politikverdrossenheit und für das Mitgestalten seiner Generation.
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Die Macht zur Veränderung haben wir alle gemeinsam. Jeden Tag. Es ist unsere Pflicht, sie auch wahrzunehmen. Am besten fängt jeder bei sich selbst an und engagiert sich in der ihm möglichen Form für seine Ideale. Ob das 200 Facebook-Freunde sind, die auf einen Missstand aufmerksam gemacht werden, oder Menschen im persönlichen Umfeld, die mit Argumenten überzeugt werden. Jetzt sind wir dran, die Welt mitzugestalten.
Bernhard Winkler formuliert 20 treffende Anklagepunkte der jungen Generation, eine Leseempfehlung vor allem für die Generation X und die Babyboomer – also für jene, die wirtschaftlich das Sagen haben.
Service
Bernhard Winkler, "Genug Gelogen! So nicht! Anklage einer verlorenen Generation. Ihr raubt uns unsere Zukunft", Kremayr & Scheriau Verlag, Wien