Im Porträt - Tino Sehgal

Im April wurde er für den renommierten Turner-Preis nominiert, vergangenen Samstag erhielt der deutsch-britische Künstler Tino Sehgal bei der 55. Kunst-Biennale in Venedig den Goldenen Löwen und wurde als bester Künstler ausgezeichnet. Dabei schafft Sehgal keine Gemälde, Videos, oder Skulpturen, sondern sogenannte "konstruierte Situationen".

Tino Sehgal ist so etwas wie der "Mystery Man" der zeitgenössischen Kunst. Die Arbeiten des studierten Choreographen sind geheimnisumwittert. Man muss dabei gewesen sein, um mitreden zu können. Film- und Fotoaufnahmen seiner Interventionen sind strikt verboten. Auch Katalogtexte verweigert der 36jährige. Im Katalog der documenta 2012 fand sich an jener Stelle, wo eigentlich ein Begleittext zu Sehgals Arbeit stehen hätte sollen, eine leere Seite. Eine konsequente Verweigerungshaltung, die das Interesse an Sehgals Kunst nur zu beflügelt scheint.

Konstruierte Situationen

Für seine Kunstwerke, die man am ehesten mit einer Performance vergleichen kann, hat Sehgal den Begriff "konstruierte Situationen" erfunden. Sehgal schleicht sich ein in das System Kunst und sorgt für Irritationen.

Da beginnen Interpreten im Gewand von Museumswärtern plötzlich zu singen, da bewegen sich eigenwillig choreographierte Demonstrationszüge durch Kunsträume, da werden Besucher einer Ausstellung in eine Diskussion verwickelt über das weitläufige Thema Marktwirtschaft.

Für diese "Innovation, mit der seine Arbeit zur Öffnung der künstlerischen Gattungen beigetragen hat.", so die Jurybegründung, wurde Tino Sehgal vergangenen Samstag als bester Künstler der Biennale 2013 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

Mit erst 36 Jahren gehört der erfolgsverwöhnte Wahlberliner, dessen Arbeiten bereits in den großen internationalen Museen gezeigt worden sind, zu den jüngsten Künstlern, die diese Auszeichnung je erhalten haben.

Eigenwilliges Zwiegespräch

Zuletzt hatte Tino Sehgal mit der Inszenierung eines riesigen Flashmob in der Turbinenhalle der Londoner Tate Modern Gallery für Aufsehen gesorgt. Rund 70 Akteure, oder Interpreten wie sie Sehgal lieber nennt, setzte der Künstler da in Bewegung und orchestrierte eine spektakuläre Choreographie der Masse - eingekapselt in einem der größten Kunsträume der Welt. Bei der Biennale in Venedig schlägt Sehgal leisere Töne an und inszeniert ein intimes Zwiegespräch zwischen zwei bis drei Interpreten.

Eine Interpretin zischt, singt und schnalzt mit der Zunge. Ihr Gegenüber dekliniert ein filigranes Gestenvokabular durch. Die Körper der Interpreten verschmelzen zur beweglichen Skulptur. Mitten in der Hauptausstellung von Biennale Chefkurator Massimo Gioni.

Dieselbe Arbeit hat Sehgal übrigens bereits Ende April im Rahmen des Donaufestivals in der Kunsthalle Krems gezeigt. Dort konnte man dem eigenwilligen Zwiegespräch von Sehgals Interpreten ungestört folgen. Im Gegensatz dazu verpuffte ein großer Teil der Magie dieser Inszenierung im hektischen Treiben der Biennale-Eröffnung.

Kunst soll immateriell bleiben

Mit der Verleihung des Goldenen Löwen ist Tino Sehgal endgültig in die erste Liga der zeitgenössischen Kunst aufgestiegen. Dabei unterläuft Sehgal - zumindest auf den ersten Blick - sämtliche Regeln des Kunstmarktes. Es interessiere ihn schlichtweg nicht verkäufliche Kunstobjekte zu schaffen, sagt der 36jährige.

Darunter das New Yorker Guggenheim Museum. Zum Angreifen hat der Käufer allerdings nichts. Tino Sehgals Kunst soll immateriell bleiben. Deshalb überträgt Sehgal einem Käufer lediglich mündlich das Recht, eine Arbeit aufzuführen. Ähnlichkeiten mit der Finanzwirtschaft, die ebenfalls mit virtuellen Werten Handel treibt, sind nicht zufällig. Schließlich hat Tino Sehgal neben Choreographie auch Volkswirtschaft studiert.