Krimi von Cathi Unsworth
Opfer
Zurzeit ist Esoterik ja wieder extrem angesagt. Wer einen Bestseller landen will, sollte etwas über Vampire, Engel oder Zauberer schreiben. Auch Cathi Unsworth beschäftigt sich in ihrem neuen Roman mit Magie und Esoterik.
8. April 2017, 21:58
Sie bezieht sich auf Aleister Crowley, jenen Mann, der 1947 starb, sich als der größte Magier aller Zeiten titulieren ließ und in den 1980er Jahre ein Revival erfuhr. Als sich die Jugendlichen im Zuge von Gothic und Dark Wave mehr und mehr für die dunklen Winkeln der Existenz zu interessieren begannen, stießen sie auch auf Aleister Crowley, der bereits zu Beginn des Jahrhunderts eine notorische Gestalt war. Vor allem sein Slogan "Do what thou wilt", allgemein mit "Tu, was du willst" übersetzt, begeisterte viele Jugendliche.
So auch Corrine Woodrow, ein junges Mädchen, das seit fast 20 Jahren in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt sitzt. Im Juni 1984 soll sie einen Menschen mit 16 Messerstichen getötet haben. Dann noch Zigaretten auf dessen Gesicht ausgelöscht und mit Blut ein Pentagramm gezeichnet haben. Woodrow, psychisch labil und von der Mutter misshandelt, trägt stets ein rares Buch von Aleister Crowley mit sich. Am Schluss wird man erfahren, dass dieses Buch ein Grund für den Mord war - und dieser Nebenstrang ist ein wenig infantil geraten. Ebenso wie jene Szene, als gegen Ende des Romans der Bösewicht mithilfe einer Voodoo-Puppe an einem weiteren Mord gehindert wird. Na ja.
Eher Opfer als Täterin
Sonst aber ist Cathi Unsworth Roman durch und durch solide. So solide, dass er relativ vorhersehbar ist. Aber beginnen wir mit dem Beginn. Da macht sich im März 2003 der Detektiv Sean Ward auf, um den Fall von Corinne Woodrow neu aufzurollen. Die "Böse Hexe des Ostens" wurde sie in der Boulevardpresse genannt; "Killer-Corrine", die "Hohepriesterin eines Satanskultes".
Die Londoner Rechtsanwältin Janice Mathers aber geht davon aus, dass Woodrow eher Opfer als Täterin ist. Mittels DNA-Analyse will sie im Revisionsverfahren beweisen, dass zumindest noch eine weitere Person am Tatort gewesen ist. Ward begibt sich also in das fiktive Seebad Ernemouth und beginnt Fragen zu stellen, der Polizei, der Presse, den Leuten im Pub. Zu Beginn noch sind alle recht freundlich, man hofft, dass der Detektiv bald wieder verschwunden sein wird.
Auferstehung der 1980er
Cathi Unsworths Roman spielt auf zwei Zeitebenen. Einmal im Jahre 2003; und da wird gezeigt, wie Sean Ward Schicht um Schicht die Geheimnisse in Ernemouth freilegt. Die andere Ebene ist im Jahre 1984 angesiedelt; da werden drei junge Mädchen porträtiert, die gerade dabei sind, erwachsen zu werden. Da ist einmal Samantha. Aus London zugezogen und ziemlich verwöhnt. Dann Debbie, das typisch Mittelstandskind. Und Corinne, die später als Mörderin verurteilt werden wird.
Über weite Strecken ist Cathi Unsworth Roman eine "Coming of Age"-Geschichte. Welches Mädchen gerade auf welches eifersüchtig ist, wer wem den Freund ausspannt. Großer Hass, große Versöhnung, große Gefühle. Typisch Pubertät eben.
Was an dem Roman überrascht: Wie unaufdringlich Unsworth das Jahr 1984 wieder auferstehen lässt. Musik, Style, Mode. Das alles spielt zwar eine Rolle, aber Unsworth macht daraus kein typisches Erinnerungsbuch, in dem aus der Warte des Hier und Heute über das Damals gesprochen wird. Ein wenig seltsam ist aber, dass Unsworth, die in den 1980er Jahren als Musikredakteurin tätig war, nichts über die Bands der damaligen Zeit erzählt. Einmal werden Echo and the Bunnymen en passant erwähnt, das war es dann aber auch schon. Das ist auch deswegen ein wenig schade, waren doch die 1980er Jahre die letzte große Periode, wo juvenile Distinktion noch über Musik geschah, es eben einen Unterschied machte, ob man Echo and the Bunnymen oder Sisters of Mercy hörte.
Showdown mit Cliffhangern
Zu Beginn zieht sich der Roman ein wenig hin. Am Ende aber gewinnt er an Rasanz. Da reiht Unsworth Cliffhanger an Cliffhanger und orientiert sich an der Actionfilmdramaturgie ebenso wie an Dan Brown. Große Literatur ist das nicht, aber das muss ein Krimi nicht unbedingt sein. Am Ende sind alle Rätsel gelöst – Corinne Woodrow ist natürlich unschuldig und die wahren Verbrecher werden überführt.
Und so nebenbei wird die korrupte Polizei aufgemischt - Pornodrehs, Heroin, korrupte Geschäfte und Freimaurerlogen, nichts was es in Ernemouth in den 1980er Jahren nicht gegeben hätte. Und ganz am Schluss, im drittletzten Absatz, bekommt noch völlig unmotiviert Samuel Liddell MacGregor Mathers seinen Auftritt. Der war Mitbegründer des Hermetic Order of the Golden Dawn, bis im Jahre 1900 die Mehrheit der Ordensmitglieder öffentlich gegen ihn revoltierte und sich 1904 auch noch sein engster Verbündeter gegen ihn wandte: Aleister Crowley.
Service
Cathi Unsworth, "Opfer", aus dem Englischen übersetzt von Hannes Meyer, Suhrkamp Nova