Russland schreibt die Geschichte neu

Wer die Vergangenheit kontrolliert, der kontrolliert auch die Zukunft - frei nach diesem Motto aus dem Buch 1984 von George Orwell erstellt eine Kommission in Russland gerade neue Schulbücher für den Geschichtsunterricht. Und Faktentreue steht dabei nicht unbedingt an erster Stelle.

Morgenjournal, 29.6.2013

Putin-Freund leitet Kommission

"Wir dürfen nicht zulassen, dass in den Köpfen von Schulkindern eine Vielfalt der Meinungen entsteht" - dieses Zitat stammt vom russischen Kulturminister Vladimir Medinski. Der ist für die Erstellung der neuen Schulbücher formal zwar nicht zuständig, es erklärt aber, in welchem Geist die Bücher geschrieben werden. Eine staatliche Kommission ist gerade dabei, ihre Version der russischen Geschichte zu erstellen. Geleitet wird sie nicht etwa von einem Historiker, sondern von Sergei Naryschkin, Vorsitzender der Duma, seit dem gemeinsamen Dienst beim Geheimdienst KGB Freund von Wladimir Putin. Über den Inhalt der neuen Geschichte ist noch wenig bekannt, erklärt der Historiker Andrei Subov, Professor an der Moskauer Universität für internationale Beziehungen. Doch das Wenige reiche schon, um sich ein Bild machen zu können: "Die Autoren haben gesagt, dass sie alle Akteure der sowjetischen Zeit nur gemäß ihren Handlungen, ihren Erfolgen und ihrer Reformen behandeln werden. Politische Repression oder die Errichtung eines totalitären Regimes sind hingegen Dinge, über die die Schüler nicht unbedingt etwas wissen müssen."

Interpretation von "Fakten"

Die Diskussionen im Umfeld der Kommission sprechen für sich. So meinte Kommissionsmitglied Sergei Karpov, Dekan der historischen Fakultät der staatlichen Lomonossow-Universität, man müsse die Geschichte in dem Schulbuch so darstellen, wie es den geopolitischen Interessen des Landes entspreche. Faktentreue steht also nicht im Vordergrund. Karpov: "Unsere heutige Obrigkeit besteht vor allem aus ehemaligen Offizieren des KGB. Und die reagieren sehr gereizt auf Kritik an der sowjetischen Vergangenheit. Sie sind an ein totalitäres, einheitliches Denkmodell gewohnt und wollen, dass die Kinder ein striktes, klares Bild der Geschichte bekommen - nicht der Fakten, sondern der Interpretation der Fakten."

Dabei ist die russische Führung selbst bei den Fakten besonders wählerisch. Wladimir Putin erklärte vor kurzem, der Sowjetunion sei im Jahr 1940 gar nichts anderes übrig geblieben als Finnland anzugreifen, da die Grenze zu nahe an Leningrad gelegen sei - so begründete Stalin damals den Krieg. Vom Geheimprotokoll des Molotow-Ribbentropp-Paktes, so scheint es, hat Putin noch nie etwas gehört.

"Staatliches Verbrechen"

Die Idee hinter dem einheitlichen Schulbuch: Widerstand von Anfang an auszuschalten, nicht erst auf der Straße, sondern schon in den Köpfen. Funktionieren werde das nur schwer, meint Historiker Subow: Man müsse nur in ein Buchgeschäft oder ins Internet gehen um zu erkennen, was wirklich passiert sei. Gefährlich sei es trotzdem: "Aus der Geschichte eine einheitliche Ideologie zu machen und diese manipulierte Geschichte den Schülern zu vermitteln, ist mehr als ein Fehler. Ich würde sagen, das ist ein staatliches Verbrechen."

Doch der Staat ist offenbar bereit, seine Interpretation der Vergangenheit zu verteidigen. Schon vor zwei Jahren sagte der damalige Präsident Medwedew anlässlich der Jubiläumsfeiern zum Sieg im Zweiten Weltkrieg: Die Geschichte des Krieges müsse sorgsam untersucht werden. Doch wer die Rolle der Sowjetunion dabei in Frage stellt wird bestraft.