Bibelkommentar zu Jesaja 43, 1 - 7

Die Verheißung vom Beginn des 43. Kapitels des Prophetenbuches Jesaja steht gleichsam als Motto, als Wochenspruch über dem - wie er in den evangelischen Kirchen genannt wird - 6. Sonntag nach Trinitatis.

In evangelischen Gemeinden wird an diesem Sonntag in besonderer Weise der Taufe und ihrer Bedeutung gedacht. In der Tat scheint der Bezug durchaus gegeben - ist doch dieser Vers aus dem Jesajabuch ein überaus beliebter Taufspruch, der Täuflingen zugesprochen und gleichsam als Zusage auf den Lebensweg mitgegeben wird. Ja, es handelt sich hier um einen der ganz besonderen Verse der Bibel, die Martin Luther in seiner Bibelübersetzung als „Kernstellen“ bezeichnete und sie fett druckte, eben weil sie so verheißungsvoll, so ermutigend, so tröstlich sind.

Der zweite, mittlere Teil des Prophetenbuches Jesaja, der so innig und zuversichtlich, so leidenschaftlich und so zukunftsgewiss ist, dass man hier gleichsam das „Evangelium“, die frohe Botschaft in ihrer dichtesten Form im Alten Testament zu sehen meinte, entstand in einer für das Volk Israel ganz schwierigen Zeit: Der Prophet, vielleicht lassen sich aus diesem Teil des Buches sogar die Stimmen von mehreren Propheten heraushören, spricht in eine alles andere als ermutigende Situation! In der zweiten Hälfte des 6. vorchristlichen Jahrhunderts ist das Volk Israel, das etwa zwei Generationen vorher die Eroberung und Zerstörung Jerusalems und die Deportation ins babylonische Exil erleben musste, noch immer in der Fremde. Zwischen Heimweh und Assimilation ist das Leben kein einfaches. Jedenfalls fehlt es an Perspektive und Vergewisserung, an Mut und auch an Glauben. In diese Situation der Ungewissheit und Orientierungslosigkeit hinein sprechen diese so dichten Worte des Propheten, spricht für gläubige Menschen Gott selbst mit Leidenschaft und Liebe, mit der Botschaft, dass etwas ganz Neues eben durch Gottes Wirken im Anbrechen ist.

Seinem Volk, jeder und jedem Einzelnen in dieser Gemeinschaft, wendet sich Gott ganz und gar zu: „Du“ - das ist das Leitmotiv in diesem Abschnitt aus dem Jesajabuch, „Du“ - und „ich“ - dein Gott!

Indem Gott daran erinnert, sich dieses Volk einst erschaffen und gestaltet zu haben, kommt das Neue zur Sprache, das längst beschlossene Sache ist: Die Zusage der Erlösung und der Errettung! Wie so oft in der Bibel, wenn Gott Menschen ganz nahe kommt und sie für seine Sache begeistert, beruft und beauftragt, findet sich auch hier die Zusage „Fürchte dich nicht!“. Es gibt keinen Grund zur Angst vor der Gottesbegegnung! Nein, Gottes freies erwählendes Handeln, Gottes leidenschaftliche Liebe ist der Grund für neues Leben! Er wirbt um das Vertrauen seines Volkes, um neue Hoffnung und Perspektive! Nicht nur die in Babylon in der Zerstreuung Lebenden, sondern alle in alle Himmelsrichtungen Zerstreuten sollen zu Lob und Ehre Gottes wieder gesammelt werden, die Söhne und Töchter Gottes aus seinem Volk, die, deren Namen er nennt und kennt, und die jede und jeder einzeln wichtig, unverwechselbar und in die Beziehung zu Gott hineingenommen sind.

Allen Missverständnissen, dass die Erwählung gleichsam ein Schutz und eine Bewahrung vor jedweden Schwierigkeiten sei, schiebt die innige Gottesrede aus dem Propheten Jesaja gleich einen Riegel vor: Hindernisse, auch ganz konkrete beim Rückweg in die Heimat, bleiben nicht aus. Doch Gott ist gegenwärtig, selbst wenn das Wasser bis zum Hals steht und Feuer am Dach ist, selbst wenn er fern scheint.

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst“. Zuallererst und noch immer dem zerstreuten Volk Israel in der Bedrängnis konkret zugesagt - Gott verbürgt sich dafür, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Neues zu schaffen. Zuspruch und Anspruch für jede und jeden Einzelnen, sich auf die Verheißung Gottes einzulassen und aufzubrechen, Neues zu wagen.

Ja, in diesem Sinn darf dieser Abschnitt aus dem Jesaja auch dann gelesen und ausgelegt werden, wenn sich Christinnen und Christen ihrer Taufe erinnern und vergewissern - dessen, dass Gott jede und jeden Einzelnen beim Namen gerufen hat, in die Gemeinschaft hinein, dass er sich jeder und jedem liebevoll zugewendet hat ohne jedes eigene menschliche Zutun. Nicht alle Hindernisse auf dem Lebensweg sind damit ausgeräumt, aber Gottes Gegenwart gerade dann zugesagt. Gottes Verheißung gilt einer Gemeinschaft - aus allen Teilen der Erde! Alle hat er geschaffen und gestaltet. Sie mögen aus der Beziehung zu ihm, ihrem Gott, den Mut schöpfen, aufzubrechen und mutig und entschlossen als Söhne und Töchter Gottes ihren Weg zu gehen. Und etwa 600 Jahre später wird der Apostel Paulus formulieren: „Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?“ (Röm 8, 31) .