Oliver Sacks ist 80

Oliver Sacks ist der berühmteste schreibende Neurologe unserer Zeit - heute feiert er seinen 80. Geburtstag. Seine Bücher sind allesamt Bestseller. Sein Erfolgsrezept: Fallgeschichten, die aus dem Alltag der Patienten erzählen und nicht alle Menschen mit Funktionsstörungen des Gehirns gleich für verrückt erklären.

Mittagsjournal, 9.7.2013

Bücher von Oliver Sacks

Drachen, Doppelgänger und Dämonen: Über Menschen mit Halluzinationen, Rowohlt, 2013, ISBN-10: 3498064207, ISBN-13: 978-3498064204

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte, Rowohlt, 1991, ISBN-10: 3498062069
ISBN-13: 978-3498062064

Der einarmige Pianist: Über Musik und das Gehirn, rororo, ISBN-10: 3499624257, ISBN-13: 978-3499624254

Das innere Auge: Neue Fallgeschichten, rororo, ISBN-10: 3499625601, ISBN-13: 978-3499625602

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Oliver Sacks

Kirchenlieder in Endlosschleife

Noch ist der gebürtige Brite, der in New York lebt, aber nicht altersmüde: Vor kurzem erst veröffentlichte Oliver Sacks sein 12. Buch mit dem Titel "Drachen, Doppelgänger und Dämonen". Darin schreibt er über Menschen mit Halluzinationen.

Die blinde 90jährige Rosalie sieht Menschen, die in morgenländischer Kleidung durch ihr Zimmer marschieren. Mary B. will nichts mehr essen, weil alles ranzig und verdorben riecht. Diane G. hört in ihrem Kopf Kirchenlieder in Endlosschleife. Das sind Fehlleistungen des Gehirns, die den Neurologen Oliver Sacks faszinieren. "Ich habe mit Hunderten von Menschen mit Musikhalluzinationen gesprochen, jedes Mal erschrecken sie. Man muss eine Halluzination gehabt haben, um zu wissen, wie erschreckend es ist, wie man herumschaut, um die Quelle zu suchen und dann realisieren muss, dass ein Teil des Gehirns diese Wahrnehmung erzeugt."

Oliver Sacks schreibt über Menschen und nicht über Patienten. Er besucht und beobachtet sie zu Hause, und zeichnet dann ausführliche Fallgeschichten auf. Der Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Eric Kandel kennt Oliver Sacks seit rund zehn Jahren persönlich und schätzt seine Arbeit: "Er ermöglicht es Neurologen, ihre Patienten anders zu sehen. Er studiert die Patienten sehr sorgfältig und zeigt neue Einsichten in die Krankheiten auf, die wir zuvor nicht hatten."

Persönlichkeit im Vordergrund

Berühmt wurde Oliver Sacks mit der Hollywood Verfilmung seines Buches "Zeit des Erwachens/Awakenings" über Patienten mit der Europäischen Schlafkrankheit, die nach einer Epidemie in ihren Körpern erstarrt waren. Die Arbeit mit diesen Patienten bewirkte auch bei Oliver Sacks ein "Erwachen": Er wurde ein empathischer Arzt, der die Persönlichkeit der Patienten in den Vordergrund stellt. Seine eigene Erfahrung prägte ihn. Schon als Kind litt er an Migräne, er ist außerdem gesichtsblind - er kann keine Gesichter wiedererkennen, und er ist orientierungslos. Im Schreiben fand er eine Möglichkeit, sein medizinisches Wissen und seine eigene Erfahrung zu verbinden - und noch mehr: "Mit macht der Akt des Schreibens außergewöhnlich viel Spaß. Und für mich ist es zwingend erforderlich, entweder ein Tagebuch zu führen oder jede andere Art des Schreibens. Ich bin unglücklich, wenn ich nicht schreiben kann, also für mich ist Schreiben eine zentrale Form des Glücks."

Sacks sieht sich als Reisender in unbekannte Welten, deshalb bezeichnet er sich selbst gerne als "Neuroanthropologe". Die nächste Reise soll ihn Gerüchten zufolge in die Welt der Erinnerung führen.