Die Botschaft ist "Look at me"

Der Look ist die Botschaft

31. Jänner 2010, Los Angeles, Grammy-Verleihung: In einem Armani-Glitzerkleid, um das sich Planetenringe schlingen, betritt Lady Gaga den roten Teppich. In der Hand hält sie ein Sternenzepter, ihr Haar ist dottergelb gefärbt, ihr Gesicht ist so stark geschminkt, dass es zur Maske erstarrt.

12. September 2010, Los Angeles, MTV Video Music Awards: Gehüllt in plattgeklopfte Fleischlappen, die lose von ihrem Körper hängen, mit einem Steak als Kopfbedeckung betritt Lady Gaga an diesem Abend die Bühne. Der Metzger hat ganze Arbeit geleistet. Dass Umweltschützer den barbarisch anmutenden Fleischbehang scharf kritisierten, konnte der gelernten Aufmerksamkeitsökonomin Lady Gaga nur recht sein.

Lady Gaga

Lady Gaga, Los Angeles, 2010

(c) BUCK, EPA

Die Inszenierung des Spektakels gehört zu ihren größten Talenten. Hier geht es längst nicht nur um Mode. Der rote Teppich, dieser flüchtige Ort der Repräsentation, an dem Stars um Aufmerksamkeit buhlen, ist Lady Gagas Revier und zur obligatorischen Frage: "What are you wearing today" kann Lady Gaga mehr antworten als nur den Namen eines Designers. Lady Gaga ist ohnehin eher eine Markenbotschafterin ihrer selbst. Als Werbeikone eines Designers taugt sie nur bedingt.

"Famous for famous"?

Lady Gaga, diese Meisterin der Selbstinszenierung, hat gelernt auf sich aufmerksam zu machen. Schon in Privatschulzeiten, wo sie die kollektive Schuluniform zum individuellen Modestatement umformte. Denn am Anfang stand eine Behauptung: "Lady Gaga war schon berühmt, bevor irgendjemand wusste, wer sie ist – schlicht aufgrund der Art und Weise, wie ich mich präsentierte.", sagt Lady Gaga.

Noch bevor Gaga ein Star war, gibt sie im Interview offenherzig zu, habe sie sich so benommen und vor allem so gekleidet, als wäre sie einer. "Der Look ist ihre Botschaft und die Botschaft ist 'look at me'", sagt der Modekritiker Daniel Kalt. "Sie ist eigentlich wegen ihres Aussehens berühmt geworden und zwar nicht, weil sie einen bestimmten Streetstyle verkörperte. Wie Madonna in den 1980er Jahren, die einen gewissen Stil, der in den New Yorker Clubs existierte, in der visuellen Sprache ihrer Musikvideos aufgegriffen hat. Madonnas Stil wurde in einer bestimmten Szene getragen. Lady Gagas Looks sind nicht unbedingt tragbar. Sie hat sich in eine Styropor-Phantasie verwandelt."

Gaga-Look aus dem House of Gaga

In Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie, in der Prominente der Marke Paris Hilton, die nicht wegen eines speziellen Talents bekannt sind, sondern schlichtweg deshalb, weil sie sind, wer sie sind, in Zeiten der regelrechten Fließbandproduktion von Prominenz also, steht am Anfang des Startums oft eine Behauptung. Immerhin hat Gaga mit Paris Hilton die Schulbank gedrückt! Doch anders als bei der berühmten Hotelerbin sind Lady Gagas Starallüren schön anzusehen. Einmal ist sie eine futuristische Amazone im metallischen Bustier, dann wieder präsentiert sie sich im transparenten Anzug aus Seifenblasen, die im Licht der Scheinwerfer farbenfroh schimmern. Gagas Kreativteam, House of Gaga, bestehend aus Designern, Make-up-Artisten, Sound- und Grafikdesignern, haben diesen Gaga-Look kreiert. Und so viel sei verraten: Es schimmert, es blinkt, es glänzt.

"Das Thema ist Opaleszenz – ein ganz bestimmtes plastisches Schimmern. Es entsteht durch die Brechung von Licht. All die Luftblasen, Kristalle, Plexiglas-Prismen und Spiegelscherben, die auf meinen Bühnenoutfits und Accessoires appliziert sind, erzeugen diesen plastikartigen Glanz, der meinen Look definiert. Manchmal machen wir Witze und sagen, meine Ästhetik sei die einer verdrogten Märchenprinzessin", sagt Lady Gaga.

Mit ihren Auftritten am roten Teppich sendet Lady Gaga Botschaften aus, die auf einer niederschwelligen Ebene verstanden werden können. Sie setzt Metaphern ins Bild. Das Bild der bewunderten Berühmtheit, die man sich als Stern - englisch "Star" - vorstellt, greift Gaga mit ihren Glitzer-Outfits auf. Das Bild der Fleischbeschau mit ihrem berühmten Fleischkostüm. Gaga hängt sich Fleischlappen um den Körper und liefert damit eine Kritik der Unterhaltungsindustrie, die den Star dazu drängt, den eigenen Körper auszuschlachten. Jeder versteht, was sie meint. Auf den ersten Blick. Der Look ist die Botschaft. Und dieser Look ist entscheidend geprägt von den Arbeiten des US-amerikanischen Fotografen David LaChapelle.

"David LaChapelle und ich sind gute Freunde, ich nenne ihn 'meinen Pudel'. Ich liebe David so sehr, dass ich fast heulen muss, wenn ich seine Bilder sehe. Die Art und Weise, wie er in ihnen die Ästhetik Botticellis mit Images der Popkultur verknüpft, wie er in ihnen die Makel der Celebrities preisgibt und sie gleichzeitig heiligspricht, ist einfach brillant! Ich sage immer: David LaChapelle ist der Andy Warhol unserer Generation", sagt Lady Gaga über David La Chapelle, der die Stars und Sternchen der amerikanischen Unterhaltungsindustrie in ein grelles Licht rückt. So grell, dass auch die dunklen Seiten sichtbar werden.

Echte Künstlichkeit

Egal ob David LaChapelle Britney Spears, Angelina Jolie oder Transgenderikone Amanda Lepore porträtiert, die Menschen, die David La Chapelle vor der Linse hat, sehen immer so aus, als wären sie mit einer Plastikfirnis überzogen. Die Filter der künstlichen Schönheit verstopfen jede Pore, die Haut atmet nicht. Hier ist nichts mehr lebendig.

Auch Gaga stellt die Künstlichkeit aus, existiert nur als Kunstfigur. Vielleicht ein Kommentar auf das verlogene Authentizitätsparadigma, mit dem unser Bewusstsein in diversen Reality-Formaten und Talkshows umspült wird, wo vermeintlich echte Menschen mit echten Gefühlen für Quote sorgen. Doch das Echte hat sich in diesem mediatisierten Fluss der Bilder längst verflüchtigt. Das weiß die Kunstfigur Lady Gaga. Insofern ist es nur konsequent, dass ihr berühmtestes Fleischkostüm nicht verrottet. Das organische Ausgangsmaterial wurde in einem aufwändigen Verfahren haltbar gemacht. Es lebe die Künstlichkeit!