... oder Die Jagd nach der Million

Das Goldene Kalb...

Das Autorenduo Ilja Ilf und Jewgeni Petrow hat 1931 einen satirischen Roman über einen Kleinkriminellen veröffentlich, der in der Sowjetunion zum Millionär wird. Durch Tricks, nicht durch Arbeit. Und das unter Genossen Stalin.

Ein "besserer" Mensch

Ostap Bender, der Protagonist, das ist der Mann mit der weißer Schirmmütze, "wie sie meist Conferenciers oder Administratoren von Sommergärten tragen". Außerdem hat Bender kurioserweise immer einen Hebammenkoffer dabei. Er bewegt sich schwungvoll, sympathisch; ein "Gigerl" hätte man das in Wien früher genannt; tatsächlich ist er ein kleiner Gauner.

Seine Schöpfer Ilf und Petrow sagen über ihn: "Er gehört zweifellos zum größeren und besseren Teil der Menschheit." Schauplatz ist die Kleinstadt Arbatow, irgendein Ort in der jungen Sowjetwelt. Eine erdbeerfarbene Fahne, die des Kommunismus, knattert über dem lokalen Kreml. Vor der obligaten Kirche mit Zwiebeltürmen hocken mürrische Greisinnen, und schimpfen auf Französisch auf die Sowjetmacht. Mehr als Schimpfen ist den Überbleibseln des alten Regimes nicht geblieben. Allerdings ist auch Bender von der Hauptstraße alles andere als angetan: "Nein", sagte er traurig, "das ist nicht Rio de Janeiro".

Sogleich folgt eine der bekanntesten Szenen der russischen Literatur des 20 Jahrhunderts, genauer, der Sowjetliteratur - wobei angemerkt sei: Auch der Emigrant Wladimir Nabokow zollte dem Autorenduo Ilf-Petrow, da sich manchmal auch als "Tolstojewskij" bezeichnete, höchsten Respekt.

Sohn des Leutnants Schmidt

Ostap Bender, keinen Rubel in der Tasche, betritt das Büro des örtlichen Parteichefs und gibt sich als Sohn des Leutnants Schmidt aus, eines Helden der Revolution von 1905, um Geld zu schnorren.

Der Dialog geht - voller Slapstick - noch eine gute Weile dahin: Bender bekommt seine fünfzig Rubel, schließlich soll es im Leben nicht nur um schnöden Mammon gehen. Die Situation wird allerdings brenzlig, als ein weiterer und schließlich sogar noch ein dritter Sohn des Leutnants Schmidt auftaucht.

Ironie über die herrschenden Zustände fiel den beiden Chefsatirikern der Sowejtunion Ilja ILF (1897-1937) und Jewgenij Petrow (1903-1942) gar nicht so leicht: Schon in ihrem ersten Roman "Zwölf Stühle" hatten sie die individualistische Jagd nach Reichtum und Glück immer wieder den Anforderungen der Zensur anpassen müssen - einmal durften sie sich über die Losungen der Weltrevolution lustig machen, dann war wieder bloßes Lob für "Stoßarbeiter" angesagt. Streben nach Reichtum war ohnedies dem Untergang geweiht; keine Kunst nebenbei in einem Land, das noch an den Folgen von Bürgerkrieg und Hungernöten litt. Was Ende der 1920er Jahre angesagt ist, ist Kunst, die sich den Verhältnissen möglichst schlau anpasst - daher rührt auch der Erfolg der beiden Bender-Romane bis heute.

Der große Traum

Die vier Helden des "Goldenen Kalbes" haben ihre eigenen Geschichten: Panikowski war schon vor der Revolution Taschendieb am Kiewer Kreschtschatik, Shura Balaganow, in Sowjetzeiten aufgewachsen, war immer schon ein Sohn des Leutnants Schmidt und irrlichterte zwischen Bering-Straße und Krim herum. Einmal hatten die zahllosen Söhne sogar den mafiaartigen Versuch unternommen, das Land in Betätigungsfelder aufzuteilen: "Alle Republiken lagen in einer Ohrenklappenmütze aus Hasenfellen und warteten auf ihren Besitzer." Nur Ostap Bender hat einen anderen, noch größeren Traum, der ein wenig geschraubt so klingt:

Der Vierte im Bunde ist ein gewisser Kozlewic, Besitzer eines altertümlichen Automobils, genannt "Gnu"; sein Traum vom Taxiunternehmen hat sich bislang nicht recht realisiert. Und das Goldene Kalb, die alttestamentarische Versuchung? Shura Balaganow hat im Gefängnis von einem Untergrundmillionär Namens Korejko gehört, der sich in der Stadt Tschernomorsk (gemeint ist Odessa, der Geburtsort von Ilf und Petrow) aufhalten soll. In der UdSSR kann es gar nicht anders sein, wenn es einen Millionär gebe, dann könne der nur im Untergrund tätig sein.

Ach, die Liebe!

Damit beginnt ein Road-Movie durch alle Bereich der Sowjetgesellschaft, in dem Ilf/Petrow nichts auslassen: herabgekommene Monarchisten und lächerliche liberale Intellektuelle werden ebenso vorgeführt wie der absonderliche, gesichtslose Bürokratismus des "Herkules"-Trustes, in dem der Untergrundmillionär ein unscheinbares, geiziges Beamtenleben führt: von einer Parodie auf den sozialistischen Realismus der Sowjetmalerei geht es weiter zu essayistischen Betrachtungen über die Absurditäten des zwangsweisen Zusammenlebens in einer Kommunalka, einer sowjetischen Gemeinschaftswohnung.

Nach dem Modell des staatlichen Geheimdienstes erstellt Ostap Bender ein Dossier, ein sogenanntes "Kompromat" über seinen Gegenspieler, den blonden und weißäugigen Korjeko, der seine geheimen Millionen in der Gepäcksabgabe des Bahnhofs aufbewahrt. Und es gibt natürlich eine Liebesgeschichte - Liebe in Zeiten des aufzubauenden Sozialismus klingt bei Ilf/Petrow augenzwinkernd so:

Verbotene Freiheiten

Ilf und Petrow machen sich nicht nur über alles lustig, an manchen Stellen nehmen sie sich Freiheiten, die in Sowjetzeiten niemandem gewährt wurden: Ostap Benders Besuch in einem Irrenhaus mit einigem Spott über Psychiatrie im Allgemeinen und die Psychoanalyse im Besonderen erschien in Sowjetzeiten nicht. Einen Insassen der Psychiatrie, einen gewissen Gaius Julius Starochamskiw, der von sich behauptetem, er sei "aus rein ideellen Erwägungen ins Irrenhaus gegangen", lassen sie sagen:

Kafkaeske Situationen

Der Griff nach der Million scheitert immer wieder - die Situation wird immer "kafkaesker", einem lange Disput zwischen Bender und Korejko entkommt Letzterer nur durch Zufall: Korejko ist eigentlich schon "moralisch" überzeugt, dass er eine Million an Bender abtreten muss, als in Tschernomorsk eine Gasschutzübung abgehalten wird. Der Untergrundmillionär entschwindet mit einer Gasmaske vor dem Gesicht in der Menge.

Benders Traum vom goldenen Kalb scheint ausgeträumt, als ihm Zosia Zinicka, Korejkos ehemalige Freundin, zu Hilfe kommt, in die sich Ostap seinerseits verliebt. En passant entsteht ein Porträt der Filmstudios von Odessa, denen Bender ein Drehbuch anbietet. Von Zosia erfährt Bender, dass sich der "zweite Kombinator" Korjeko nach Zentralasien, zum Bau der "Turk-Sib", der "östlichen Magistrale" abgesetzt hat. Ostap Bender steht vor der Wahl: Liebe oder Geld - und entscheidet sich für Letzteres.

Slapstick pur

Auf dem Weg zum Vorzeigeprojekt des Fünfjahresplanes stirbt Panikowski, Balaganow und Kozlewicz entscheiden sich, zu ihren früheren Tätigkeiten zurückzukehren. Sie werden wieder normale Diebe.

Es ist ein Feuerwerk an Witz und Boshaftigkeit, mit dem Ilf/Petrow die Reise der offiziellen Delegation samt ausländischen Journalisten und Spezialisten zur exotischen Baustelle in Turkestan begleiten.

Der Ewige Jude

Von der tatsächlich katastrophalen Hungernot, die damals die Hälfte der kasachischen Bevölkerung hinwegraffte, wagten auch Ilf und Petrow nicht zu schreiben. Allerdings bieten sie eine bittere Version der Legende vom Ewigen Juden, ein Thema, das sowohl die beiden jüdischen Verfasser Ilf und Petrow wie eine der Figuren ihres Romans, den amerikanischen Journalisten Burrman brennend interessiert: Der Ewig Jude in sowjetischer Version:

Die Anspielung auf die zahllosen Pogrome in der Ukraine während des Bürgerkrieges erweist sich auch als prophetische Darstellung von Benders eigenem Schicksal. Als er schließlich seine Million von Koreko bekommt, stellt sich heraus, dass er damit gar nichts anfangen kann: Im Land des Sozialismus kann man Wohnung oder Auto nur aufgrund von Verdiensten und nicht bloß mit Geld erwerben. "Die Träume des Idioten", wie Ostap Bender zuletzt sagt, "sind eingetroffen" - ihm bleibt nichts als die Flucht aus dem Paradies der Werktätigen über die zugefrorene Donau nach Rumänien.

Alles umsonst

Der Showdown fällt dramatisch aus: Rumänische Grenzsoldaten überfallen Ostap Bender, seine Beteuerung, er sei ein alter Professor, der soeben den Folterkellern der Tscheka, also der Staatssicherheit, entkommen sei, fruchtet nichts. Der große Kombinator erkennt, dass "das Interview beendet" ist und gelangt unter Mühen ans Sowjetufer zurück: Ins Leere sagt er:

Den geplanten dritten Roman, in dem Ostap Bender im Arbeitslager "umqualifziert" werden sollte, haben Ilja Ilf und Jewgeni Petrow nicht mehr geschrieben.

Service

Ilja Ilf, Jewgeni Petrow, "Das Goldene Kalb oder Die Jagd nach der Million", übersetzt aus dem Russischen und überarbeitet anhand des erstmals vollständig vorliegenden russischen Originals von Thomas Reschke, Die Andere Bibliothek