Die Frau, die Jules und Jim liebte

Helen Hessel

Anfang des Jahres verstarb Stéphane Hessel im hohen Alter von 95 Jahren. Der ehemalige Widerstandskämpfer der Resistance, UNO-Mitarbeiter und politische Aktivist erlangte 2010 mit seinem Essay "Empört euch!" große Aufmerksamkeit. Er war auch eine wichtige Quelle für Marie-Françoise Peteuils Biografie über seine Mutter, Helen Hessel.

Peteuil stützte sich in ihren Recherchen außerdem auf Helen Hessels autobiografisches "Journal" und die Tagebücher von Henri-Pierre Roché. Literarische Werke von Franz Hessel, Stéphanes Vater und Helens Ehemann, wurden ebenfalls hinzugezogen - schließlich handeln einige seiner Romane von seiner Frau. Und somit hätten wir auch schon das legendäre Dreieck, auf das Henri-Pierre Rochés Roman "Jules und Jim" basiert, beisammen: Jules ist Franz Hessel, Roché ist Jim. Und Helen Hessel ist Kathe, die Frau, die beide Männer liebte und von beiden geliebt wurde. Die Wirklichkeit war jedoch alles andere als romantisch, wie es uns Francois Truffauts gleichnamige Verfilmung suggeriert. Maire-Francoise Peteuils Biografie konzentriert sich nicht ausschließlich auf dieses Liebesdreieck, sondern vielmehr auf das Leben von Helen Hessel.

Als Nesthäkchen aufgewachsen

Helen wurde als Nesthäkchen von ihrer Familie maßlos verwöhnt. Beim Spielen ging immer sie als Siegerin hervor - zum einen wegen ihres damals schon starken Willens, zum anderen, weil man sie gewinnen ließ. Jedoch war nicht alles eitel Wonne. Fritz Grund war kein guter Geschäftsmann, ohne die Unterstützung von Freunden wäre er wohl Bankrott gegangen. Außerdem war er auch kein treuer Ehemann, so hatte er zum Beispiel ein uneheliches Kind mit einer Dienstmagd.

Helens Mutter kam schließlich in eine Anstalt, ebenso wie Helens Bruder Otto, der dort früh verschied. Helens zweiter Bruder, Fritz, beging mit 20 Jahren Selbstmord. Die älteste Schwester, Ilse, nahm sich im Alter von 52 Jahren das Leben.

Affäre mit dem Lehrer

Im Alter von 17 Jahren entschloss sich Helen, Malerei zu studieren. Sie schrieb sich an der sogenannten Damenakademie des Berliner Künstlerinnenvereins ein, im Atelier von Käthe Kollwitz. 1905 besuchte sie eine Sommerakademie in Blankensee in Brandenburg und begann dort eine Affäre mit ihrem fast 30 Jahre älteren Lehrer, dem englischstämmigen Maler George Mosson.

Dort traf Helen im Jahr 1912 ein. Die Stadt gefiel ihr nicht und sie hatte Heimweh, obwohl zwei ihrer Berliner Freundinnen mit ihr nach Paris gezogen waren. Mittelpunkt ihres Pariser Alltags wurde das Café du Dome, eine Art deutsche Künstlerenklave in Montparnasse. Dort lernte sie eines Tages Franz Hessel kennen, einen jungen deutschen Dichter aus wohlhabender jüdischer Familie.

Seelenverwandtschaft mit Franz Hessel

Nach einiger Zeit wurde aus den beiden Freunden ein Liebes- und schließlich ein Ehepaar. Ihre Beziehung war weniger von Leidenschaft als von einer Seelenverwandtschaft geprägt. Doch bereits nach kurzer Zeit begann Franz Helen zu vernachlässigen. Der Alltag war eingekehrt und Franz widmete seine Aufmerksamkeit, die er zuvor der Eroberung Helens entgegengebracht hatte, wieder dem Schreiben.

Helen war unglücklich und fühlte sich gefangen. Franz musste während des Ersten Weltkrieges einrücken und kam traumatisiert zurück. Helen stürzte sich in Affären. Die Geburten ihrer Söhne Ulrich und Stéphane brachten sie einander wieder näher, aber nur kurz. Helens Rastlosigkeit führte dazu, ihre Familie für einige Zeit zu verlassen, um sich in Polen als Landwirtin ausbilden zu lassen. Nach einiger Zeit kehrte sie wieder zu Franz zurück. Der bat seinen Freund Roché um Hilfe.

Ménage à trois

Ursprünglich hatte Franz seinem Freund einen Riegel vorgeschoben, was Helen betraf. Das machte sie für den Frauenhelden umso interessanter. Und so war es kein Wunder, dass er auf Franz' Hilferuf mit wehenden Fahnen herbeieilte. Die Ménage à trois entwickelte sich zu einer verhängnisvollen Affäre. Roché, eindeutig ein Narziss, gelangte zur Überzeugung, dass Helen die Mutter seines Sohnes sein musste. Der Wunsch nach einem Stammhalter entwickelte sich zu einer Obsession. Als Helen schließlich schwanger wurde, bekam Roché Panik.

Trotzdem ging die Affäre noch einige Jahre weiter. Franz, dem das selbstzerstörerische Treiben der beiden schließlich zu bunt wurde, schaffte räumliche Distanz. Er weilte in Berlin, während Helen und Roché in Paris lebten.

Lust auf mehr

Maire-Francoise Peteuil beschreibt in ihrer Biografie sehr ausführlich, wie sich diese Dreiecksbeziehung abgespielt hat. Außerdem thematisiert Peteuil Helens Kontakte zu diversen Künstlern wie Man Ray, Rainer Maria Rilke und Walter Benjamin, den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und wie Helen Franz von Berlin nach Paris in Sicherheit brachte, sowie Stéphanes Eintritt in die Resistance, Helens Mitarbeit im Widerstand, ihre Arbeit als Modejournalistin und Übersetzerin (unter anderem von "Lolita") und natürlich auch die Entstehung von "Jules und Jim".

Manches wiederholt sich und manchmal scheint die Biografin ihren Vermutungen über Helens Innenleben zu sehr freien Lauf zu lassen. Doch das über 400 Seiten starke Buch lässt sich zügig lesen und macht Lust auf mehr - zum Beispiel auf eine Biografie über Helens Sohn Stéphane Hessel, über den man ebenfalls einiges in Peteuils Werk erfährt.

Service

Maire-Francoise Peteuil, "Helen Hessel. Die Frau, die Jules und Jim liebte", aus dem Französischen übersetzt von Patricia Klobusiczky, Schöffling & Co.