Kerstin Plehwe als Rangerin
Die Weisheit der Elefanten
Die Versuchung ist groß zu denken: Schon wieder ein Ratgeber, der dazu auffordert, die eigenen Träume zu leben. Diesmal von einer erfolgreichen deutschen Geschäftsfrau, die im afrikanischen Krüger-Nationalpark Rangerin geworden ist und ihre Erfahrungen mit den wilden Tieren nun "Lektionen fürs Leben" nennt. Aber das wäre bei Kerstin Plehwe zu kurz gesprungen.
8. April 2017, 21:58
"Der Vogel, von dem ich mit am meisten gelernt habe ist der Red-billed Oxpecker, ein rotschnabeliger Vogel, sehr klein und der sitzt in der Regel auf Büffeln, (...) wenn die gestört werden, was meistens ist durch den Angriff von Raubtieren, (...) fliegen die auf und machen einen bestimmten Alarmruf. (...) Wenn man das nicht erkennt, ist man in großer Gefahr, insbesondere wenn man zu Fuß im Busch unterwegs ist, das ist ein Signal, unbedingt die Waffe in die Hand zu nehmen", so Plehwe.
Es ist erstaunlich, dass Kerstin Plehwe ausgerechnet einen zwitschernden Madenhacker als ihren Lehrmeister bezeichnet. Die 45-jährige Publizistin gilt in Deutschland als führende Expertin für Dialog-Kommunikation. Die gebürtige Münchnerin berät vor allem Menschen mit Macht - und zeigt zum Beispiel Politikern im Wahlkampf Wege auf, wie sie ihre Wähler am besten erreichen können. Seit acht Jahren ist sie Vorsitzende der Initiative Pro Dialog, mit einem schicken Büro direkt am Brandenburger Tor in Berlin. Die Uhrensammlerin genießt den Luxus von schnellen Autos, gutem Essen, teuren Hotels.
Vor ihrer Zeit in Afrika hatte Plehwe vor lauter Terminen, Talkshows und Tagungen kaum Zeit sich zu fragen: "Wie gut lebe ich mein Leben, wie führe ich mein eigenes Leben? Oder führt mein Leben mich, wie es bei mir bisher der Fall war. Mein Leben war so hektisch und so spannend und so bewegt, dass ich selber die Führung (...) verloren habe und heute ist das anders."
Keine Zeit für Träume
Als die Beraterin vor zwei Jahren ein Buch über "Die Macht der Frauen" veröffentlichte, ließ sie 60 Frauen aus 30 Ländern zu Wort kommen. Die meisten interviewte sie selbst, auch Caroline Casey aus Dublin. Die blinde Unternehmerin war als erste Frau der Welt mit einem Elefanten durch Indien geritten - weil es ihr Kindheitstraum war. Als die junge Irin Kerstin Plehwe nach ihrem unerfüllten Traum fragte, brach diese schockiert in Tränen aus.
"Die Tränen waren für mich ein großes Aufwachsignal, weil ich in meinem Erwachsenenleben - Karriere, Familie, Beruf - sehr diszipliniert, sehr zielorientiert war und immer so unterschwellig das Gefühl hatte: Für Träume ist da keine Zeit und auch gar kein Raum", sagt Plehwe.
Als Kind hatte sie fast drei Jahre in Südafrika gelebt und diese Zeit sehr genossen. Der Vater arbeitete in Pretoria als Ingenieur bei Siemens, seine Tochter lernte an der deutschen Schule Afrikaans. Als die Familie wieder nach Deutschland zurückkehren musste, "gegen meinen Willen", wie sie heute noch betont, hatte sich Kerstin Plehwe in die endlose Weite Afrikas und in die Tierwelt verliebt. Als Neunjährige wollte sie Rangerin in einem der größten Wildschutzgebiete der Welt werden, dem südafrikanischen Krüger-Nationalpark.
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Ewig braun gebrannte Frauen und Männer fuhren mit ihren Jeeps in schicken beigefarbenen Uniformen, auf denen tolle Abzeichen prangten, durch die Savanne, stellten gefährliche Wilderer, erzählten abenteuerliche Geschichten am Lagerfeuer, folgten morgens früh den Fährten der Nacht. Aufregend.
Sie wurde doch nicht Wildhüterin, sondern reiste als junge Werbekauffrau für Microsoft um die Welt, ehe sie mit 26 Jahren eine eigene Beratungsfirma gründete.
Die einzige Frau im Camp
30 Jahre später erinnert sich die Managerin an ihre kindlichen Phantasien und bucht kurzentschlossen eine fünfwöchige Ranger-Ausbildung. Sie kauft Klappmesser, Kompass und olivgrüne Treckingkleidung und stellt sich darauf ein, dass die Wildhüter-Ausbildung in einem offenen, nicht eingezäunten Camp stattfindet. Ihr Schlafplatz: ein kleines Zelt in der Wildnis. Als ihr klar wird, dass ihr Elefanten und Löwen sehr nah kommen können, setzt sie ihr Testament auf.
"Wie ich das aufgeschrieben hatte, haben sich ganz viele Prozesse in meinem Kopf geklärt", sagt Plehwe, "wenn wir uns bewusst damit beschäftigen (...) dann kehrt eine Ruhe ein, eine Klarheit für einen selber, die beruhigend ist. (...) Eine Ruhe, die beruhigend ist - klingt komisch -, aber eine Kraft, die einem Ruhe ins Leben bringt, weil man aufhört, (...) den möglichen eigenen Tod zu verdrängen."
Bei der Ankunft im Camp schaltet sie ihren ständigen Begleiter, das Smartphone, dauerhaft aus. Als einzige Frau im Team akzeptiert sie Macho-Sprüche, dünnen Kaffee und wenig schmackhaftes Essen. Die englischsprachige Ausbildung entpuppt sich als harte Schule mit einem nahezu rund um die Uhr- Lehrplan: Themen wie "Führen in der Wildnis", Geologie, Astronomie, Tierverhalten, Naturschutz und nachts Fährtensuchen gehören ebenso zur Abschlussprüfung wie südafrikanische Geschichte. Für Kerstin Plehwe ein Lernmarathon:
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Wirklich alarmiert bin ich, als unser Ausbilder im Unterrichtsfach "Vögel" verkündet: "In der Prüfung müsst ihr zweihundert Vögel innerhalb der wenigen Sekunden, die man sie auf einem Zweig sitzen sieht, identifizieren können. Und gut hundert Vogelstimmen ohne Sichtkontakt, also nur aufgrund des Rufs auseinanderhalten." Ich war geschockt.
Wer rennt, ist tot
Die Managerin beobachtet in freier Wildbahn die Rituale von Löwen-Rudeln und erkennt, wie wohltuend Pausen und Zeit füreinander in Unternehmen sein können. Nach ihrer Rückkehr führt sie für ihr Team Kommunikationsinseln ein, wo es nur darum geht, sich bei einem Kaffee gegenseitig zuzuhören. Plehwe lernt im Busch, welche Pflanzen fiebersenkend wirken. Sie weigert sich, Spinnen anzufassen oder trockenen Elefantenkot mit der bloßen Hand aufzubrechen. Es fasziniert sie, dass Raubtiere und selbst tonnenschwere Elefanten vor dem Angriff keine Geräusche machen. Und sie lernt die wichtigste Rangerregel: Whatever you do, don't run. Wer rennt, ist tot. Nahezu jedes Tier ist den Menschen in puncto Geschwindigkeit und Stärke im Busch haushoch überlegen.
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Im Job sind wir Manager meist die Asphalttiere. Wenn uns jemand angreift, beantworten wir das mit Status und Kompetenz. Entsprechend schwer ist es für mich, im Busch nicht mehr das Sagen zu haben. Hier bin ich das schwächste Glied der Kette.
Die zweite Regel: Totale Präsenz. Gemeint ist die Fähigkeit, alles um sich herum wahrzunehmen, was auf eine gefährliche Situation schließen lässt. Gerüche, Fußspuren, auffliegende Vögel. Zu hundert Prozent und mit allen Sinnen in einem Moment da zu sein. Für die überzeugte Multitaskerin völlig undenkbar. Wie totale Präsenz funktioniert, hat Kerstin Plehwe von einer Elefanten-Leitkuh gelernt. Deshalb heißt ihr unterhaltsam und leicht zu lesendes Buch auch: Die Weisheit der Elefanten.
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Wer die Herdenchefin genau beobachtet, sieht alle paar Minuten, dass sie mitten in der Bewegung innehält und für einige Sekunden vollkommen regungslos steht. Auf meine Frage, warum sie das tut, antwortet Dan: "Sie konzentriert sich auf das, was ist und wie es ihrer Herde mit annähernd 25 Tieren geht." Ich war platt und mir wurde klar, was ich von den Elefanten lernen konnte: Einfach innehalten und erspüren, wie es den anderen und einem selbst geht.
Seitdem checkt Kerstin Plehwe nie mehr während eines Meetings nebenbei ihre E-Mails, sondern legt das Smartphone umgekehrt auf den Tisch, erzählt sie in Berlin und ihre Augen lächeln ganz fein.
Glücks- und Ohnmachtsgefühle
Das Buch enthält mehrere solcher kleinen, aber feinen Aha-Erlebnisse. Es ist eine gelungene Mischung aus ihren persönlichen Zweifeln, Glücks- und Ohnmachtsgefühlen und den Erkenntnissen, die Kerstin Plehwe daraus als Beraterin zieht. Die tiefe Liebe zur Wildnis Afrikas, zu den Löwen und Leoparden bleibt immer spürbar. Das Buch vermeidet allerdings den Blick auf Probleme oder Ungleichheiten in Südafrika.
Die Ausbildung ist für die Publizistin ein tiefer Lebenseinschnitt: Sie lernt sich selbst besser kennen, hört mehr auf ihre innere Stimme, fühlt sich nicht mehr so getrieben. Und ist verblüfft, dass sie weder den Luxus von Fünf-Sterne-Hotels noch ihr schnelles Auto vermisst, sondern Familie, Freunde und ihr Team. Ihre Hamburger Zweit-Wohnung hat sie gegen ein Haus an der Ostsee eingetauscht, mitten in einem Naturschutzgebiet.
"In Afrika habe ich festgestellt, selbst wenn ich was verlieren würde, würde mir nichts fehlen. Diese Erkenntnis war für mich vollkommen befreiend. Total befreiend."
Text: Maicke Mackerodt
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Kerstin Plehwe, "Die Weisheit der Elefanten. Was ich als Rangerin im Krüger-Nationalpark fürs Leben lernte", Malik Verlag
Kerstin Plehwe