Bibelkommentar zu Lukas 16, 19 - 31
Der reiche Mann und der arme Lazarus sind schon ein Stück Weltliteratur geworden. Nicht nur als Evangeliumstext nach Lukas, sondern als Parabel und Lehrbeispiel ist diese Erzählung ein Klassiker.
8. April 2017, 21:58
Wie tief der reiche Mann doch gesunken ist! Den Armen hat er stets ignoriert. Es ist nirgends eine Rede davon, dass er ihn aktiv misshandelt oder beschimpft. Er gibt ihm nur einfach nichts: die Sünde des Unterlassens!
Zu selbstgerecht denken jene, die schlechte Handlungen nur durch direkte Schädigungsabsicht erkennen wollen. Der Evangelist Lukas ist viel radikaler und auch scharfsichtiger: Am meisten sündigen wir durch das, was wir nicht tun. Die Sünde des Unterlassens begehen wir, wenn wir die Ungerechtigkeit nicht zur Kenntnis nehmen, die ungeheure, verbrecherische Sünde, dass Menschen verhungern, während uns die Welt genug Energie, Nahrung, Kleidung für alle produzieren lässt.
Der reiche Prasser – so heißt er in der Umgangssprache – mag selbst das Gefühl haben, dass er doch niemandem etwas Böses angetan hat. Aber das Nicht-Teilen Wollen, eben das Prassen, ist seine riesengroße Sünde, die er nicht erkennt. Zur Zeit Jesu gab es zumeist keine konkreten Vorstellungen über die „Unterwelt“, in die die Menschen nach dem Tode kommen. Es gab zwar die Hoffnung im jüdischen Glauben, dass Gott seine Herrschaft über die Welt aufrichten und Gerechtigkeit herstellen wird. Aber hier hat der Evangelist Lukas wirklich etwas ganz Eigenes entworfen:
Lukas lässt Jesus eine Geschichte erzählen, in der zwei sehr verschiedene Menschen als Nachbarn verglichen werden: Lazarus und der Reiche. Ich vermute einmal, dass der Reiche den armen Bruder niemals als Bruder oder Nachbar wahrgenommen hat. Ob er ihm lästig war, erfahren wir nicht. Vielleicht hat er ihn kaum bemerkt, nie über ihn nachgedacht. Lazarus sicher ganz anders: Er hat oft an den Reichen gedacht, voll Hoffnung, Erwartung oder auch voll Enttäuschung, Neid und Zorn über den Geiz. Auch das natürlich ist eine Vermutung.
„Du hast schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten, Lazarus aber nur Schlechtes.“ Deine Geschäfte gingen gut, deine Aktien brachten dir Gewinn, dein Geld ermöglichte dir Reichtum und das Gefühl von Sicherheit und Erfolg. Der Reiche hält sich nicht selten auch für den Guten. Schauen wir uns die Bewunderung für alle Erfolgreichen, Eliten der Gesellschaft, die heimliche Hierarchie des öffentlich zur Schau getragenen Selbstbewusstseins doch an: Das Kriterium ist meist, wer mehr Vermögen hat. Vor wen knien sie sich hin – so viele Auftrag gebende Politiker, so viele Kameraleute?
Hier setzt die extreme Kritik des Evangelisten Lukas an: Das Leben nach dem Tod wird wie eine Spiegel-Umkehrung dargestellt. Die Gier und das Haben-Wollen des reichen Mannes zerstören sein Wesen derart, dass er nun auf den Knien betteln muss, um wenigstens einen Tropfen Wasser vom Finger des Lazarus zur Kühlung zu bekommen. Nichts bleibt vom Selbstbewusstsein des Reichen, von seinem guten Gefühl übrig. Er ist vernichtet. Nie im Leben hätte er Lazarus auch nur die Hand geschüttelt, vor Grausen. Nun bettelt er, seinen Finger auf der Zunge fühlen zu dürfen.
Lazarus der Ekelhafte, dem die Hunde aus den Geschwüren geleckt haben, steht da wie der Sieger. Er wird im Schoß Abrahams getröstet. Es fehlt ihm an nichts. Wird Gott jene, die heute mit Boni überschüttet werden, auch vor den Augen der Verhungerten so zurichten wie den Reichen? Wenn es so ist, dann tun sie mir heute schon leid.