Der größte Lebensraum der Erde in Gefahr
Der Mensch und das Meer
Das Meer ist das beliebteste Urlaubsziel, mit Abstand der größte Lebensraum der Erde, aber nach wie vor auch der am wenigsten untersuchte. Der britische Biologe Callum Roberts hat sein Leben der Erforschung und vor allem dem Schutz des Meeres verschrieben.
8. April 2017, 21:58
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In der Geschichte unserer Zivilisation war der Zustand der Weltmeere sehr stabil. Im letzten Jahrhundert hat die Herrschaft des Menschen über die Natur auch die Ozeane erreicht. Geschwindigkeit und Ausmaß der Veränderungen haben uns unvorbereitet getroffen. Durch unsere ständig zunehmenden Eingriffe haben sich die Ozeane in den letzten dreißig Jahren stärker gewandelt als in der gesamten bisherigen Menschheitsgeschichte.
Es zieht uns magisch an und dennoch fürchten wir seine Gewalt. Wir nutzen es als Nahrungsquelle, als Transportweg - und gleichzeitig zerstören wir es. Vor allem aber erscheint uns seine Dimension so unfassbar, dass wir nicht glauben und sehen wollen, wie viel davon schon zerstört ist und wie schnell sich der Wandel vollzieht.
Der Untergang des Great Barrier Reef
Callum Roberts startet seine Reise mit einem prägenden Erlebnis vor knapp 25 Jahren am Great Barrier Reef in Australien. Mit seiner frisch angetrauten Frau Julie verbringt er dort einen Tauchurlaub, der paradiesischer nicht sein könnte, inmitten gigantischer Korallenbänke, farbenprächtiger Papageifische und fröhlicher Schwärme von Fahnenbarschen.
Elf Jahre danach kehrt er zurück. Durch die dramatisch aufgeheizten Meere ist bereits ein Viertel der Korallen zugrunde gegangen. Im Indischen Ozean starben gar zwischen 70 und 90 Prozent. Und auf dem Weg in ihren Untergang nahmen sie zahlreiche andere Lebewesen mit, die auf ihre Existenz angewiesen waren. Das größte Problem: Kaum einer merkt was davon.
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Wären in diesem Jahr drei Viertel unserer Wälder verdorrt und abgestorben, die Menschen hätten wissen wollen, warum, und man hätte umgehend Pläne für eine Wiederaufforstung entworfen. Hier hingegen blieb eine globale Katastrophe außerhalb der Welt der Meeresforschung im Wesentlichen unsichtbar und unbemerkt.
Drastische Bilder
Wie kann man die Aufmerksamkeit wecken? Callum Roberts versucht es mit drastischen Bildern. Etwa mit einer Fotoserie beginnend in den 1950er Jahren. Sie zeigt stolze Angler in Key West mit Riesenzackenbarschen und Haien, die zumeist größer und dicker sind als sie selbst. In den 1970er Jahren sind die gefangenen Fische schon wesentlich kleiner, die Angler zeigen aber immer noch recht zufriedene Mienen. Eine Aufnahme aus dem Jahr 2007 zeigt nur noch ein Holzbrett, auf dem kleine Schnapper und Grunzer aufgehängt sind. Die dazu gehörigen Gesichtsausdrücke ihrer Fänger wurden gar nicht mehr dokumentiert.
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Wie heikel unsere Lage wirklich ist, haben bisher die wenigsten begriffen.
Um die Gegenwart zu verstehen, so Roberts, müsse man allerdings noch viel tiefer in die Vergangenheit eintauchen. Seine Zeitreise beginnt dann auch konsequenterweise beim Anbeginn der Welt. Später bestand Zehntausende Jahre lang die einzige Einwirkung des Menschen auf die Meere darin, ihnen Fische und Krustentiere zu entnehmen. Erst mit der industriellen Revolution und der Nutzung fossiler Brennstoffe ergaben sich erste Auswirkungen auf Strömungen und Klima. Der wesentliche Teil seines Buches beschreibt dann aber doch die gegenwärtigen Zustände.
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Wären Klimawandel und Fischerei die einzigen Bedrohungen für das Leben im Meer, es wäre schon schlimm genug. Aber die Ozeane stehen auch von anderer Seite unter Druck, beispielsweise durch ihre Verschmutzung.
Das Meer versauert
Ein immer noch viel zu wenig beachtetes Problem ist die rasante Versauerung der Meere. Während sich die Aufmerksamkeit zumeist auf den steigenden Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre richtet, wurde das Problem der Zunahme des Säuregehalts erst 2003 überhaupt ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.
Roberts größte Sorge gilt hier dem Phytoplankton, das für rund die Hälfte der weltweiten Sauerstoffproduktion zuständig ist. Noch kann niemand abschätzen, wie sehr die pflanzlichen Planktonorganismen langfristig auf die Übersäuerung reagieren. Es gibt auch Lebewesen, die von Überfischung und niedrigem Sauerstoffgehalt profitierten. Roberts sagt uns eine Quallenplage ungeahnten Ausmaßes voraus.
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Ein größenwahnsinniger Quallenherrscher, der die Weltherrschaft anstrebt, hätte sich die heute in den Ozeanen bevorstehenden Veränderungen ganz genau so herbeigesehnt.
Ätzende Gewässer, tote Zonen, plastikverseuchte Biotope – mit Feuereifer durchquert Callum Roberts sämtliche ökologische Krisenherde der sieben Weltmeere. Er liefert aber nicht nur einen perfekt recherchierten Katalog bereits eingetroffener und wahrscheinlich unvermeidlicher Katastrophen ab, sondern plädiert auch lautstark für eine Kursänderung. Was seinen Optimismus befeuert, sind die zahlreichen Rettungsinitiativen weltweit. So viele, wie nie zuvor.
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Wir brauchen nicht hilflos zusehen, wie alles, was wir an den Meeren lieben, den Bach hinuntergeht. Der Wandel zum Guten steht in unserer Macht.
Service
Callum Roberts, "Der Mensch und das Meer. Warum der größte Lebensraum der Erde in Gefahr ist", aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel, DVA
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