Brasilien bei der Frankfurter Buchmesse

In Frankfurt ist am Abend die 65. Buchmesse eröffnet worden. Unter dem Titel "Ein Land voller Stimmen" präsentiert sich heuer Brasilien als Gastland. Fußball, Samba, Karneval, vielleicht noch Regenwald - das sind die Klischees, die einem da in den Sinn kommen. Ein anderes Brasilien hat der Autor Luiz Ruffato als Eröffnungsredner geschildert. Eine Eröffnung, die Emotionen geweckt hat.

Morgenjournal, 9.10.2013

Standing ovations und Buhrufe - das gab es bisher wohl nur selten in der jahrzehntelangen Geschichte der vom Protokoll bestimmten, kühlen Frankfurter Eröffnungszeremonie. Standing ovations zunächst für den brasilianischen Autor Luiz Ruffato, der in einer leidenschaftlich und rasant vorgetragenen Rede mit Kritik nicht sparte.

"Brasilien ist die siebtgrößte Wirtschaftsnation der Welt und wir stehen weiterhin an dritter Stelle, was die Ungleichheit anlangt", sagte Luis Ruffato. "Wir sind noch immer ein Land, in dem Wohnen, Bildung, Gesundheit und Erholung nicht das Recht aller sind, sondern ein Privileg weniger."

Was bedeutet es, Schriftsteller zu sein in einem Land, wo der Begriff "Raubtierkapitalismus" ganz bestimmt keine Metapher ist, fragte Luiz Ruffato. 75 Prozent des Reichtums befinden sich in den Händen von 10 Prozent der weißen Bevölkerung, und nur 46.000 Personen besitzen die Hälfte der Fläche des Landes. "Historisch gewohnt, ausschließlich Pflichten zu haben und keinerlei Rechte, leben wir in dem eigenartigen Gefühl, nicht dazuzugehören. Um dem entgegenzuwirken, schreibe ich."

Und noch einmal gingen die Wogen hoch: Als der Vizepräsident Brasiliens Michel Temer die Erfolgsgeschichte der brasilianischen Erfolgsgeneration pries, fand er unter seinen Landsleuten hörbar wenig Zustimmung.

Land der Kontraste

Bei dem anschließenden Rundgang durch den Brasilien-Pavillon – flankiert von Bodyguards und begleitet von Außenminister Guido Westerwelle - fand Michel Temer auch nicht jenes Brasilien-Bild vor, das er in seiner Rede beschworen hatte. Eine große Videoinstallation setzt dort auf Kontraste: Neben Bildern von Palmen, Strand und Meer hört und liest man Texte über Elendsquartiere und Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger.

Zentrales Gestaltungselement auf der 2.500 Quadratmeter großen Fläche sind Tausende Pappziegel, meterhoch über- und ineinander gestapelt zu langen, geschwungenen Mauern – eine Arbeit der international erfolgreichen brasilianischen Regisseurin und Bühnenbildnerin Daniela Thomas

"Es ist eine Hommage an das Papier", erklärt Daniela Thomas, "aber wir wollen vor allem ein Brasilien jenseits der gängigen Klischees zeigen. Unser Anliegen ist nicht etwa, unser Land zu erklären, uns geht es vielmehr darum, seine kreative Energie darzustellen."

Die Autoren, die Brasilien hier auf der Frankfurter Buchmesse vertreten, treffen hier jedenfalls auf ein Interesse, das weit über Literaturfragen hinausgeht.

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