Ian McEwan: "Honig" im Agentenmilieu

Ian McEwan zählt zu den erfolgreichsten britischen Gegenwartsautoren. Mit seinem Roman „Amsterdam“ hat er den Booker-Preis gewonnen und sein Weltkriegsdrama „Abbitte“ wurde erfolgreich verfilmt. Jetzt ist McEwans neuer Roman in deutscher Übersetzung erschienen. „Honig“ entführt ins britische Agentenmilieu in die Zeit des Kalten Krieges.

Mittagsjournal, 12.10.2013

Der harmlose Titel „Honig“ täuscht, denn dieser Codename bezeichnet in Ian McEwans neuem Roman eine ungewöhnliche Operation des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 in den 1970er Jahren. Die Agenten dieser Operation kämpften nämlich nicht an politischer oder militärischer Front, in ihrem leisen Kalten Krieg ging es vielmehr um die kulturelle Vormachtstellung des Westens. Und die war den Geheimdiensten damals eine Menge Geld wert, so Ian McEwan:

„Man muss sich einmal vorstellen, welche unglaublichen Summen die CIA ab Ende der 1940er Jahre ausgegeben hat, um die europäischen Linksintellektuellen davon zu überzeugen, dass nicht die Sowjetunion das Kraftwerk ist, von dem eine Erneuerung der Kunst ausgeht, sondern der Westen und da besonders Amerika. So finanzierte die CIA Tourneen des Boston Symphony Orchestra, Ausstellungen der Abstrakten Expressionisten und ein Festival für atonale Musik 1950 in Paris.“

„Das können und wollen wir uns nicht leisten. Was uns vorschwebt, ist zielgerichtet, langfristig und billig“, erklärt ein hochrangiger MI5-Beamter der frisch rekrutierten Serena, der Hauptfigur in McEwans Roman „Honig“. Mit leiser psychologischer Beeinflussung und einem fetten Stipendium soll sie einen jungen Schriftsteller dazu bringen, einen Roman zu schreiben, der eben nicht, wie damals Mode, von Pessimismus strotzt und den Niedergang des Westens prophezeit, sondern den Fortschritt feiert und positiv in die Zukunft blickt.

Pflichtbewusst geht sie ihrer Aufgabe nach, doch dann verliebt sie sich in ihr Zielobjekt. Ian McEwan: „Noch bevor ich angefangen habe, diesen Roman zu schreiben, hat mich schon dieses ganz besondere Verhältnis beschäftigt. Da wird eine Spionin auf einen Schriftsteller angesetzt, um ihn auf ihre Seite zu ziehen und natürlich ohne ihm zu sagen, für wen sie arbeitet. Gleichzeitig ist er als Schriftsteller aber auch nichts weniger als ein professioneller Spion, der seine Umgebung ganz genau beobachtet. Und mich hat jetzt interessiert, wohin das ein Paar führt, diese Fessel der gegenseitigen Überwachung.“

Romantik und Spannung gleichermaßen bietet Ian McEwans neuer Roman „Honig“ und ist doch weit mehr als einfache Unterhaltung. Die Schilderung der damaligen gesellschaftlichen Zustände gelingt nämlich präzise und plastisch und dann interessieren McEwan immer auch ganz fundamentale Fragen und psychologische Phänomene:

„Eine Organisation kann unglaublich zerstörerisch sein und trotzdem nur aus ganz gewöhnlichen Menschen bestehen. Und das wollte ich auch zeigen. Deshalb trifft Serena in ihrer ganzen Zeit beim MI5 keinen einzigen bösen Menschen, obwohl das gesamte Unternehmen ein Skandal ist.“

Ian McEwan ist aber nicht nur ein kritischer, sondern auch ein raffinierter Erzähler. Und so hält er im letzten Kapitel seines neuen Romans „Honig“ noch eine große Überraschung bereit. Eine Wendung, die dem Leser genüsslich den vermeintlich sicheren Boden unter den Füßen wegzieht und deshalb an dieser Stelle auch nicht verraten wird.