Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburger-Monarchie

Nach der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajevo stand fest, dass es Krieg geben würde. Einen begrenzten gegen Serbien, wie es lange hieß? Oder doch einen großen, ganz Europa erfassenden? Der Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner weist in seinem opus magnus nach, dass die beteiligten Staatenlenker von Anfang an mit einem großen Krieg gerechnet haben.

Präventivkrieg gefordert

Es sieht nicht gut aus für unsere lange gehegten Geschichtsmythen - der postheroischen Gesellschaft sei Dank. Nun fällt endgültig die Mär von einer in den Ersten Weltkrieg hinein getorkelten Habsburger-Monarchie, die lediglich auf einen gerechten Kriegszug für die Ermordung des Thronfolgerehepaars auf dem Balkan aus war. Der österreichische Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner dekonstruiert diese Mär mit beeindruckender Detailgenauigkeit, indem er die Leser am Quellenmaterial teilhaben lässt.

Mit Vehemenz legt er dar, dass der Ruf nach einem Präventivkrieg bei Politik und Militär in der österreichischen Reichshälfte, aber auch in anderen Staaten, verbreiteter war als bisher angenommen. Nur die Ungarn blieben zögerlich. Hinter dem Präventivkriegsgedanken stand hierzulande die Hoffnung, die innere Schwäche der Monarchie zu überwinden und nochmals die neoabsolutistische Ordnung zu stärken.

Beim deutschen Bündnispartner waren deutlich sozialdarwinistische Töne eines unausweichlichen Kampfes zwischen Germanen und Slawentum zu vernehmen. Das Deutsche Reich fürchtete, die morsche Habsburger-Monarchie könnte bei weiterem Zuwarten nicht mehr imstande sein, die notwendige Offensive gegen Russland zu führen. Allen relevanten Entscheidungsträgern war im Vorfeld bewusst, dass dieser Krieg eine europäische Dimension annehmen werde, auch wenn die Öffentlichkeit auf eine begrenzte Militäroperation gegen Serbien eingeschworen wurde. Und dennoch wurde der Krieg losgetreten:

Militarismus und Nationalismus überwogen

Um das Gesicht zu wahren, fingierten österreichische Offiziere sogar einen serbischen Angriff, denn man befand sich in einem Verteidigungsbündnis. Auch die sozialdemokratischen Parteien stimmten den Kriegskrediten nur für den Verteidigungsfall zu, doch sie stimmten zu.

Wie sehr Militarismus und Nationalismus bereits über den Internationalismus gesiegt hatten, lässt sich an der angfänglichen Kriegseuphorie der Soldaten aus der Arbeiterbewegung dokumentieren – eine Euphorie, die allerdings sehr bald ein jähes Ende fand.

Von Anfang an befand man sich in einem Mehrfrontenkrieg. Da Deutschland an der französischen Front gebunden war, sollte Österreich-Ungarn gegen Russland ziehen. Doch die k.-k.-Armeen versagten anfangs an fast allen Fronten und erlitten extrem hohe Verluste - eine Folge eklatanter militärischer Führungsschwäche. Vor allem die hohe Generalität bot ein klägliches Bild, nicht wenige wurden ihres Kommandos aufgrund von Unfähigkeit enthoben, offiziell wegen "Neurasthenie", also Nervenschwäche – "Kosakenangst", wie es der Volksmund wohl präziser nannte. Der Kaiser weigerte sich konsequent, die Front auch nur einmal aufzusuchen.

Auf Neo-Absolutismus gesetzt

Schon in den erste Kriegswochen bestätigte sich eine grundlegende These des preußische Kriegstheoretikers Carl von Clausewitz: Es sind die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, die die Kriegsführung ganz wesentlich beeinflussen. Die reformresistente Habsburger-Monarchie setzte auf den Neo-Absolutismus, auf bereits überlebte feudale Strukturen und verhinderte so die Modernisierung von Staat und Gesellschaft. Entsprechend verkorkst, unflexibel und daher ineffizient blieb die Kriegsführung. Den Preis bezahlten die Truppen.

Den deutschen Bündnispartnern ausgeliefert

Je schwächer die k.-k.-Armeen wurden, desto mehr lieferte sich Österreich-Ungarn den deutschen Bündnispartnern und deren Plänen aus. Der deutsche Einfluss erstreckte sich auch auf die Politik: Man wollte den Kaiser zum Abdanken zwingen und den Thronfolger Erzherzog Karl an seine Stelle setzen. Nicht wenige Intellektuelle plädierten für einen Zusammenschluss des Deutschen Reiches mit Österreich-Ungarn oder was davon verbleiben sollte. Unspezifische Mitteleuropapläne kursierten, auch solche über einen Ausstieg aus dem Krieg.

So wurde die 4. Offensive gegen Serbien bereits von den Deutschen geführt. Aus dem geplanten kurzen Krieg war ein langer, unabsehbar langer, geworden.

Kriegsmüdigkeit bereits 1916

An den Fronten breitete sich bereits ab 1916 Kriegsmüdigkeit aus, im Hinterland der Hunger, was zur politischen Radikalisierung der Nationalitäten beitrug. Die Revolution aber brach in jenem Land aus, dessen Armeen siegreich geblieben waren. Die Bolschewiken setzten auf den Bürgerkrieg, der ihre Macht im Inneren konsolidieren sollte.

Spätestens ab 1917 zirkulierten geheime und weiniger geheime Separatfriedenspläne zwischen den einzelnen Kriegsteilnehmern. Solange die Mittelmächte an einem Siegfrieden festhielten, negierten die Ententemächte ihre Angebote. Mit dem Eintritt der USA war schließlich das militärische und politische Schicksal Österreich-Ungarns besiegelt: Man beschloss, das Selbstbestimmungsrecht der Völker der Habsburgermonarchie anzuerkennen.

Ein gewichtiges Buch

Manfried Rauchensteiner, der mit diesem über 1000-seitigen Buch sein Lebenswerk zusammenfasst, lässt in den Lesern selbst die Ansicht reifen, dass es auch anders hätte kommen können, nämlich besser. Neun Millionen Tote auf dem Weg zu einer schlechten politischen Ordnung, die nicht unmaßgeblich zum Zweiten Weltkrieg führte, sind zu verantworten.

Doch Manfried Rauchensteiner moralisiert nicht, spielt sich nicht zum Richter über die Geschichte auf. Er kennt die abstrakten Diskurse, zeigt sie auf, ohne sich darauf einzulassen. Er geleitet die Leser nahe an den handelnden Entscheidungsträgern durch den Krieg. Es ist ein in jeder Hinsicht gewichtiges Buch, das in der Fülle der Neuerscheinungen zum Ersten Weltkrieg zu Recht einen zentralen Platz einnehmen wird.

Service

Manfried Rauchensteiner, "Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburger-Monarchie", Böhlau Verlag Wien