Vom Ursprung der Musik in der Natur

Das große Orchester der Tiere

Der kalifornische Bio-Akustiker Bernie Krause streift seit 40 Jahren durch die Natur und nimmt Tierstimmen und Naturgeräusche auf. Mit Mikrophon und Aufnahmegerät reist er in die letzten Wildnisse der Erde, horcht dort in die verschiedensten Lebensräume von Tieren hinein und zeichnet ihre spezifischen Klänge auf: rülpsende Seeanemonen, glücklich grunzende Nilpferde oder den wunderbar flötenden Orpheuszaunkönig.

Krauses Aufnahmen sind immer ein Abenteuer. Der 74-Jährige reist an den Amazonas, auf die Fidschis und zu den Polen oder taucht seine Mikrofone in die Weltmeere. Heute umfasst sein Privatarchiv 4.500 Stunden an Naturaufnahmen, auf denen 15.000 verschiedene Tierarten zu hören sind. Der 74-jährige Naturforscher nennt das "akustische Kartierungen", denn jeder Ort der Welt und auch jede Tageszeit besitzt für ihn eine eigene akustische Signatur.

Klanglandschaften

Der amerikanische Musiker sammelt aber nicht nur Töne einzelner Tiere, sondern immer auch Soundscapes. Gemeint sind Klanglandschaften von Wüsten oder Meeresküsten, wo sich die natürlichen, von menschlichem Lärm noch unberührten Geräuschkulissen erhalten haben. In seinem Soundarchiv hat er so auch den Klang von Landschaften konserviert, die längst zerstört sind.

Wie verblüffend genau seine Aufnahmen diese Zerstörung belegen, hörte Krause selber erstmals im Sommer 1988. Der Wissenschaftler nahm die Geräuschkulisse einer idyllischen Wiese in der Nähe von San Francisco unmittelbar vor einem Bergwald auf: Kiefern, Tannen und Mammutbäume wuchsen an einem Bach. Zu hören waren Bergwachteln, Sperlingsvögel, Rubingoldhähnchen, ein Spechtvogel-artiger Kiefernsaftlecker und unzählige Insekten. In seinem Buch "Das große Orchester der Tiere" zeigt das abgebildete grafische Spektrogramm ein dichtes Frequenzgewirr.

Ein Jahr später waren - angeblich umweltverträglich - einige Bäume gefällt worden. Mit bloßem Auge sah der Wald für Krause intakt aus. Aber der Klang der Wiese war verschwunden, auf dem Spektrogramm war nur noch ein Bruchteil der Frequenzen zu sehen. Seitdem ist Krause immer mal wieder dort gewesen, um Aufnahmen zu machen, doch die bioakustische Vielfalt hat sich nie wieder eingestellt.

Genialer Musiker

Bernie Krause, der Name klingt zwar deutsch, aber er wurde 1938 in Detroit geboren und galt früh als Wunderkind. Er belegte Meisterklassen bei Leonard Bernstein, trat mit dreizehn als Geigen-Solist mit dem Symphonie-Orchester in Detroit auf und wurde 1963 bei der Folkgruppe The Weavers Nachfolger für Pete Seger. Danach studierte Krause in San Francisco bei Karlheinz Stockhausen elektronische Musik.

Gemeinsam mit seinem Freund Paul Beaver, einem Jazzmusiker, produzierte er in den 1970er Jahren die Soundscapes berühmter Filme wie "Love Story" oder "Rosemary's Baby". Auch die berühmten Helikoptergeräusche von "Apocalypse Now" stammen von den Klangbastlern. Im Studio halfen sie Musikern wie Stevie Wonder, George Harrison, den Byrds und den Doors, mit dem Synthesizer umzugehen. Als Beaver 1975 auf der Bühne starb, ging der 40-jährige Krause an die Uni zurück, promovierte in mariner Bioakustik und fand in den Geräuschkulissen der Natur seine eigentliche Bestimmung.

Hören, was die ersten Menschen hörten

Dass alle lebenden Organismen - selbst die Viren - Töne von sich geben, war für den Klangpionier eine erstaunliche Entdeckung. Was Krause bei seiner Arbeit besonders faszinierte, war nicht so sehr die isolierte Aufnahme einzelner Tierlaute, sondern der Zusammenklang aller Stimmen, die in einem Biotop zu hören sind. Je nach Geografie, Wetter oder Tageszeit ergaben sich für den Globetrotter völlig unterschiedliche charakteristische "Klangbilder". In einem naturgeschützten Urwald in Kenia glaubte er, in der Wildnis eine so vielfältige Klanglandschaft zu hören, wie sie die ersten Menschen vor Millionen Jahren erlebt haben könnten.

Der Wissenschaftler beschreibt, dass die Klänge den Tieren zum Orientieren und Verständigen dienen, um Gefahren abzuwehren oder als Ausdruck von Emotionen. Es hat den Bioakustiker berührt, dass selbst vermeintlich einfache Tiere zu tiefen Gefühlen fähig sind. Als Jagdaufseher ohne ersichtlichen Grund einen Biberdamm samt Bibermutter und Jungen in die Luft sprengten, hörte der vermutlich verletzte Bibervater nicht auf zu klagen. Für den Musiker waren das die markerschütterndsten Laute, die er je von einem Lebewesen gehört hat.

Symphonie der Natur

Krause hat ein wirklich lesenswertes Buch über das Hören geschrieben. Basis sind seine Vorträge und Vorlesungen der letzten Jahre. Man spürt die Leidenschaft, die ihn antreibt und man erfährt sogar, welches Equipment man braucht, um Tonaufnahmen in der Natur zu machen. Der Tierstimmenforscher will die Ohren öffnen für das, was er als Symphonie der Natur versteht.

Für sein Buch "Das große Orchester der Tiere" hat er eigens eine Website eingerichtet mit Klangbeispielen, wie den Geräuschen von stäbchenförmigem Candle-Ice in der Arktis, das wegen der Erderwärmung langsam verschwindet. Oder einer Morgendämmerung in der Sperrzone von Tschernobyl. Oder das eindrucksvolle Knurren eines Tigers, der höchstens eine Armlänge von Krauses Mikrofon entfernt war.

Und er erklärt, was passiert, wenn der Balzgesang der Tiere nicht mehr klappt, weil menschliche Maschinen alles planieren, Flugzeuge und Autos alles überschallen. Wo aber Tiere nicht turteln, zeugen sie keine Nachkommen. Genauer gesagt: Arten sterben aus, wenn Tiere einander nichtmehr hören können.

Text: Maicke Mackerodt

Service

Bernie Krause, "Das große Orchester der Tiere. Vom Ursprung der Musik in der Natur", Antje Kunstmann Verlag

Wild Sanctuary
Verlag Kunstmann - Tierstimmen