Vom Ursprung der Musik in der Natur
Das große Orchester der Tiere
Der kalifornische Bio-Akustiker Bernie Krause streift seit 40 Jahren durch die Natur und nimmt Tierstimmen und Naturgeräusche auf. Mit Mikrophon und Aufnahmegerät reist er in die letzten Wildnisse der Erde, horcht dort in die verschiedensten Lebensräume von Tieren hinein und zeichnet ihre spezifischen Klänge auf: rülpsende Seeanemonen, glücklich grunzende Nilpferde oder den wunderbar flötenden Orpheuszaunkönig.
8. April 2017, 21:58
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Als ich zum ersten Mal in der Wüste im Südwesten der USA Ameisen singen hörte - sie singen, in dem sie die Beine über den Unterleib reiben -, war ich fast 50 Jahre. Mir verschlug es für Stunden die Sprache. (...) Das Vorgehen der Feuerameise - die Kommandosignale an die Arbeiterinnen, das Hindernis vor dem Eingang zu entfernen - wurde ausschließlich über Laute kommuniziert.
Krauses Aufnahmen sind immer ein Abenteuer. Der 74-Jährige reist an den Amazonas, auf die Fidschis und zu den Polen oder taucht seine Mikrofone in die Weltmeere. Heute umfasst sein Privatarchiv 4.500 Stunden an Naturaufnahmen, auf denen 15.000 verschiedene Tierarten zu hören sind. Der 74-jährige Naturforscher nennt das "akustische Kartierungen", denn jeder Ort der Welt und auch jede Tageszeit besitzt für ihn eine eigene akustische Signatur.
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Als erfahrener Lauscher liebe ich vor allem die Geräusche der Tiere, die sich auf nächtlichen Gesang spezialisiert haben. Man hat das Gefühl, in einem prächtigen, hallenden Theater zu sitzen - ein günstiger Effekt für nachtaktive Landbewohner, deren Stimmen große Distanzen überwinden müssen. Kojoten und Wölfe lassen ihr Geheul wahrscheinlich deshalb nachts ertönen, weil ihre Klangsignatur dann widerhallt und weit trägt.
Klanglandschaften
Der amerikanische Musiker sammelt aber nicht nur Töne einzelner Tiere, sondern immer auch Soundscapes. Gemeint sind Klanglandschaften von Wüsten oder Meeresküsten, wo sich die natürlichen, von menschlichem Lärm noch unberührten Geräuschkulissen erhalten haben. In seinem Soundarchiv hat er so auch den Klang von Landschaften konserviert, die längst zerstört sind.
Wie verblüffend genau seine Aufnahmen diese Zerstörung belegen, hörte Krause selber erstmals im Sommer 1988. Der Wissenschaftler nahm die Geräuschkulisse einer idyllischen Wiese in der Nähe von San Francisco unmittelbar vor einem Bergwald auf: Kiefern, Tannen und Mammutbäume wuchsen an einem Bach. Zu hören waren Bergwachteln, Sperlingsvögel, Rubingoldhähnchen, ein Spechtvogel-artiger Kiefernsaftlecker und unzählige Insekten. In seinem Buch "Das große Orchester der Tiere" zeigt das abgebildete grafische Spektrogramm ein dichtes Frequenzgewirr.
Ein Jahr später waren - angeblich umweltverträglich - einige Bäume gefällt worden. Mit bloßem Auge sah der Wald für Krause intakt aus. Aber der Klang der Wiese war verschwunden, auf dem Spektrogramm war nur noch ein Bruchteil der Frequenzen zu sehen. Seitdem ist Krause immer mal wieder dort gewesen, um Aufnahmen zu machen, doch die bioakustische Vielfalt hat sich nie wieder eingestellt.
Genialer Musiker
Bernie Krause, der Name klingt zwar deutsch, aber er wurde 1938 in Detroit geboren und galt früh als Wunderkind. Er belegte Meisterklassen bei Leonard Bernstein, trat mit dreizehn als Geigen-Solist mit dem Symphonie-Orchester in Detroit auf und wurde 1963 bei der Folkgruppe The Weavers Nachfolger für Pete Seger. Danach studierte Krause in San Francisco bei Karlheinz Stockhausen elektronische Musik.
Gemeinsam mit seinem Freund Paul Beaver, einem Jazzmusiker, produzierte er in den 1970er Jahren die Soundscapes berühmter Filme wie "Love Story" oder "Rosemary's Baby". Auch die berühmten Helikoptergeräusche von "Apocalypse Now" stammen von den Klangbastlern. Im Studio halfen sie Musikern wie Stevie Wonder, George Harrison, den Byrds und den Doors, mit dem Synthesizer umzugehen. Als Beaver 1975 auf der Bühne starb, ging der 40-jährige Krause an die Uni zurück, promovierte in mariner Bioakustik und fand in den Geräuschkulissen der Natur seine eigentliche Bestimmung.
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Ich verbrachte bald mehr Zeit im Wald als woanders. Es tat mir gut, still sein zu müssen. Ich leide an ADHS, einer Aufmerksamkeitsstörung, kann mich bei Stress schlecht konzentrieren. Je mehr ich mich von der Zivilisation entfernte, desto ruhiger wurde ich. Es war also auch eine Selbsttherapie, weniger ein Forschungsinteresse. Das kam dann später.
Hören, was die ersten Menschen hörten
Dass alle lebenden Organismen - selbst die Viren - Töne von sich geben, war für den Klangpionier eine erstaunliche Entdeckung. Was Krause bei seiner Arbeit besonders faszinierte, war nicht so sehr die isolierte Aufnahme einzelner Tierlaute, sondern der Zusammenklang aller Stimmen, die in einem Biotop zu hören sind. Je nach Geografie, Wetter oder Tageszeit ergaben sich für den Globetrotter völlig unterschiedliche charakteristische "Klangbilder". In einem naturgeschützten Urwald in Kenia glaubte er, in der Wildnis eine so vielfältige Klanglandschaft zu hören, wie sie die ersten Menschen vor Millionen Jahren erlebt haben könnten.
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Mir war, als würde ich halluzinieren. (...) Dies war keine Kakophonie, sondern ein durchstrukturiertes Zusammenspiel aller stimmfähigen Organismen - ein hochgradig orchestriertes Arrangement der Laute von Insekten, Tüpfelhyänen, Uhus, afrikanischen Waldkäuzen, Elefanten, (...) in der Ferne brüllenden Löwen und mehreren Laubfrosch- und Krötengruppen. Jede einzelne Stimme schien mit ihrer akustischen Bandbreite ihren Platz zu haben - so sorgfältig ausgewählt, dass ich mich an Mozarts bis zur Vollendung durchgestaltete Sinfonie Nr. 41 in C-Dur, KV 551, erinnert fühlte.
Der Wissenschaftler beschreibt, dass die Klänge den Tieren zum Orientieren und Verständigen dienen, um Gefahren abzuwehren oder als Ausdruck von Emotionen. Es hat den Bioakustiker berührt, dass selbst vermeintlich einfache Tiere zu tiefen Gefühlen fähig sind. Als Jagdaufseher ohne ersichtlichen Grund einen Biberdamm samt Bibermutter und Jungen in die Luft sprengten, hörte der vermutlich verletzte Bibervater nicht auf zu klagen. Für den Musiker waren das die markerschütterndsten Laute, die er je von einem Lebewesen gehört hat.
Symphonie der Natur
Krause hat ein wirklich lesenswertes Buch über das Hören geschrieben. Basis sind seine Vorträge und Vorlesungen der letzten Jahre. Man spürt die Leidenschaft, die ihn antreibt und man erfährt sogar, welches Equipment man braucht, um Tonaufnahmen in der Natur zu machen. Der Tierstimmenforscher will die Ohren öffnen für das, was er als Symphonie der Natur versteht.
Für sein Buch "Das große Orchester der Tiere" hat er eigens eine Website eingerichtet mit Klangbeispielen, wie den Geräuschen von stäbchenförmigem Candle-Ice in der Arktis, das wegen der Erderwärmung langsam verschwindet. Oder einer Morgendämmerung in der Sperrzone von Tschernobyl. Oder das eindrucksvolle Knurren eines Tigers, der höchstens eine Armlänge von Krauses Mikrofon entfernt war.
Und er erklärt, was passiert, wenn der Balzgesang der Tiere nicht mehr klappt, weil menschliche Maschinen alles planieren, Flugzeuge und Autos alles überschallen. Wo aber Tiere nicht turteln, zeugen sie keine Nachkommen. Genauer gesagt: Arten sterben aus, wenn Tiere einander nichtmehr hören können.
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Es ist ganz einfach. Stören wir sie nicht und beenden wir den Konsum nutzloser Produkte, die niemand von uns braucht. Wann immer wir die Natur betreten, sollten wir uns still verhalten und die Dinge so lassen, wie sie sind.
Text: Maicke Mackerodt
Service
Bernie Krause, "Das große Orchester der Tiere. Vom Ursprung der Musik in der Natur", Antje Kunstmann Verlag
Wild Sanctuary
Verlag Kunstmann - Tierstimmen