Hilfe von Wolfgang M. Heckl

Die Kultur der Reparatur

Im Sommer letzten Jahres gab es für Wolfgang Heckl viel zu tun. Der Staubsauger, die Lampe im Badschrank, der Kopfhörer, die Waschmaschine, der Rollladen, die Satellitenschüssel, der Duschkopf, das Autoradio, der Gartenstuhl und der Rasenmäher, alles versagte seinen Dienst oder musste ausgebessert und gewartet werden.

Der August 2012 war dennoch kein Monat voller Stress und Frust. Heckl weiß und kann viel - und legt gern selbst Hand an. Selbermachen heißt die Devise. Denn Wolfgang Heckl hat ein Faible: Er repariert für sein Leben gern.

Heckl: "Eine Reparatur ist ja auch eine geistige Tätigkeit, nicht nur eine manuelle und handwerkliche, weil man analytisch vorgehen muss und auch lernt: Was sind die Ursachen, wenn ein Gerät zum Beispiel nicht funktioniert, welche Hilfsmittel kann ich mir erschließen, um so eine Reparatur anzugehen, welches Werkzeug brauche ich dazu? Das ist einfach ein Prozess, das Reparieren, der den ganzen Menschen in der Gesamtheit der Sinne auch schult, bildet, mit Fähigkeiten, die in vielen anderen Bereichen des Lebens elementar wichtig sind: an einer Sache dran bleiben, sich durchbeißen, Dinge verstehen zu wollen, wertschätzen zu wollen, selber autonom sein zu können, in kleinen Bereichen zumindest, um etwas selber tun zu können.”

Gelebte Nachhaltigkeit

Wolfgang Heckl, Physikprofessor und Generaldirektor des Deutschen Museums in München, des größten naturwissenschaftlich-technischen Museums der Welt, hat ein Plädoyer fürs Reparieren verfasst, das mehr ist als ein Plädoyer fürs Basteln, für die Beschäftigung mit Alltagsdingen und die Auseinandersetzung mit Technik. Reparieren sei eine sinnstiftende Tätigkeit. “Es ist gelebte Nachhaltigkeit, bedeutet die Übernahme von Verantwortung, verbindet mich sinnvoll mit dem, was mich umgibt”, so der Autor, “und zwingt zum genauen Schauen, Erleben und Entdecken”:

“Das ist Aufgabe und Ziel des Deutschen Museums und zugleich die Idee meines kleinen Büchleins, 'Die Kultur der Reparatur', das zeigen will, dass diese Kultur der Reparatur seit hunderttausend Jahren ein Erfolgsmodell der Menschheitsgeschichte war, das wir allerdings in den letzten 30, 40, 50 Jahren ein wenig vergessen haben und zur Wegwerfgesellschaft geworden sind.”

Reparieren sei keine menschliche Erfindung, schreibt Heckl, sondern “ein uraltes, der Natur seit Anbeginn innewohnendes” Prinzip - und verweist auf die Wundheilung. “Wir reparieren uns selbst, wenn wir uns verletzen.” Dieses Prinzip der Selbstorganisation oder Selbstheilung sei universal.

“Die Entstehung dieses Kosmos’ konnte nur geschehen dadurch, dass es physikalische Prinzipien gibt, die so etwas wie Reparatur ausdrücken. Das ist eine der Grundlagen, warum ich so ein Buch schreibe: Weil ich weiß und überzeugt davon bin, dass der liebe Gott sozusagen ein Reparaturprinzip von Anfang an eingebaut hat. Und wir Menschen wären gut beraten, dieses in unserer Konsumwelt nicht zu vergessen.”

Gegen die Wegwerfmentalität

Wir leben in einer Welt, in der immer mehr und immer schneller konsumiert wird. Und immer mehr und immer schneller aussortiert und weggeworfen wird. Von manchen Dingen trennen wir uns, weil sie als veraltet erscheinen: zu wenig Pixel, zu wenig Gigabyte, zu wenig Watt. Von anderen, weil sie defekt sind: das Gehäuse beschädigt, der Akku leer, der Schlauch geplatzt. Es wird nicht repariert, weil außer der Geduld auch das Know-how fehlt.

Die Wirtschaft, nicht an Instandhaltung, sondern Konsum interessiert, fördert die Wegwerfmentalität durch billige Materialien und bewusste Lebensdauerbegrenzung von Geräten, in der Fachsprache “Obsoleszenz” genannt. Nach einer gewissen Zeit gibt ein Gerät oder eines seiner Bauteile seinen Geist auf oder ist nicht mehr kompatibel mit der Software. Schaltpläne für die Selbstreparatur oder Adressen für Service und Wartung gehören längst nicht mehr zum selbstverständlichen Lieferumfang.

“Ich schreibe, dass wir Konsumenten uns mehr wieder darum kümmern sollten - was wir so viele Jahrhunderte ja gemacht haben -, dass Dinge, die wir kaufen, eben auch reparaturfähig sind. Dass es Schrauben gibt bei Geräten, dass sie nicht verleimt sind. Dass der Akku wechselbar ist und nicht die gesamte Zahnbürste weggeschmissen werden muss, nur weil der Akku seine Ladekapazität nicht mehr erreicht. Ich glaube, wir als Verbraucher haben sehr viel in der Hand, wenn wir uns bewusster die Frage stellen, kaufe ich Dinge, die nachhaltiger sind, die länger leben, die reparierbar sind.”

Fehlende Wertschätzung der Dinge

Viele Dinge sind zu billig. Wir entwickeln keine Wertschätzung für sie - und keinen Anreiz, sie im Bedarfsfall zu reparieren. Der Zeitaufwand lohnt nicht. Dabei übersehen wir, auf wessen Kosten das Billigprodukt entstand: die Ausbeutung von Arbeitskräften in der Dritten Welt, den Verschleiß an Ressourcen, die verursachten Umweltschäden.

“Wenn ich heute nicht mehr bereit bin, für langhaltige Güter ein entsprechendes Geld auch zu bezahlen, dann ist es den Herstellern auch gar nicht möglich, das zu tun. Jetzt könnte man sagen, nicht alle Leute haben so viel Geld. Das stimmt ja auch. Nur, es könnte ja sein, dass es am Ende auch für mich günstiger ist, einmal etwas Gescheites zu kaufen und nicht alle neun Monate ein neues Smartphone. Die betriebswirtschaftliche Rechnung, die selbstverständlich ein Hersteller aufmachen muss, ist vielleicht eine andere als die volkswirtschaftliche Rechnung, die die Abfallproblematik, das Recycling, den Ressourcenverbrauch usw. miteinschließen müsste.”

Reparieren ist ein ökologisches Gebot. Und eine Tätigkeit, von der wir profitieren können: Sie fördert Sorgfalt und Achtsamkeit, Verständnis für Zusammenhänge, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit - und Kreativität. Wenn ich verstehe, wie etwas funktioniert, bin ich auch in der Lage, es zu verbessern oder neu zu gestalten, sagt Heckl. Wie aber kann ich etwas wieder in Gang bringen, wenn ich nie gelernt habe zu flicken, auszubessern oder wiederherzustellen? Wie lerne ich die Kultur der Reparatur?

“Jeder kann ein wenig, wenn er nur will, weil er sich auch helfen lassen kann, durch seine Nachbarn, vielleicht in Werkstatt seiner Großeltern, vielleicht aber auch in einem Reparaturcafé, wo man hingehen kann, auch als Laie, und Sachen gezeigt bekommt, die zur Reparatur eines Gegenstandes, den man mitbringt, führen.”

Der Vorteil der Vernetzung

In den letzten Jahren entwickelte sich, ausgehend vor allem von den USA und Niederlanden, eine rasch wachsende, vitale Do-it-yourself- und Reparaturbewegung. Vielerorts eröffneten sogenannte “Repair Cafés” - offene Werkstätten, wo man, allein oder mit Anleitung, Möbel, Kleider, Fahrräder, Elektrogeräte oder anderes instand setzen oder recyclen kann.

Andere Einrichtungen heißen “WerkBox”, “Machwerk”, “Kreativgarage” oder “Dingfabrik”. In Österreich entstand ein “Reparatur- und Service-Zentrum”. Begleitet wird die Bewegung von einem “Repair Manifesto”, das dazu aufruft, kein “Sklave der Technologie” zu sein, sie stattdessen wieder selbst zu beherrschen. Propagiert wird freilich kein Zurück in eine vermeintlich wunderbare Welt des Analogen. Den Spaß am Selbermachen ergänzt der Vorteil der Vernetzung. Immer mehr Bastler stellen Reparaturanleitungen ins Internet. Auch Heckl hat davon schon profitiert - und seinen Laptop mithilfe eines YouTube-Videos repariert.

“Wir sehen, dass eine Reparaturbewegung entsteht auf dieser Erde, wo viele Menschen mittlerweile die Idee haben, so kann es nicht in diesem Maße weitergehen, mit dieser Wegwerfgesellschaft, wir müssen wieder zu dieser guten Idee zurückkommen, dass wir selbstverständlich bei einer begrenzten Erde mit begrenzten Ressourcen 100 Prozent aller unserer Atome, die wir einsetzen in den Gebrauchsgütern, werden recyceln müssen, aber zuvor werden wir 50 Prozent oder mehr reparieren müssen.”

Reparieren macht glücklich

Wolfgang Heckl hat ein sehr anschauliches und doch auch eindringliches Buch übers Reparieren geschrieben - mit vielen praktischen Beispielen aus seiner eigenen Alltagserfahrung. Um die Umwelt zu schonen und unseren Blick für Zusammenhänge zu schärfen, sollten wir die Dinge wieder mehr wertschätzen, sie besser begreifen und wieder reparieren lernen.

Heckl plädiert für ein spezielles Gütesiegel, das die Reparaturfähigkeit von Geräten ausweist, rät, weniger, aber dafür qualitativ hochwertigere Produkte zu kaufen und fordert das komplette Recycling aller Stoffe. Die Reparatur- und Recyclingbewegung müsse sich mit einer Tauschbewegung verbinden, einer “Shared Economy”. Car- und Foodsharing-Aktivitäten gibt es ja bereits, aber auch Kleidertausch- und “Home-” bzw. “Couchsurfing”-Initiativen.

Doch Leben im Zeichen der Nachhaltigkeit bedeutet nicht Verzicht. “Der größte Gewinn bei einer durchgeführten Reparatur”, schreibt Wolfgang Heckl, “ist nicht, dass ein defekter Gegenstand wieder funktioniert, sondern mein eigenes Erleben, dass ich etwas kann.” Der reparierende Mensch ist der glücklichere Mensch.

Service

Wolfgang M. Heckl, “Die Kultur der Reparatur” , Hanser Verlag

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