Bibelkommentar zu Johannes 1, 29 - 34

Zwei Menschen begegnen einander. Nicht irgendwo, sondern am Wasser. Ja sogar im Wasser. Wasser fließt wie das Leben.

"Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen", sagt schon Heraklit von Ephesos. Er ist fasziniert vom Element Wasser. Es ist ein Ursymbol für das menschliche Leben: unaufhaltsam beider Fluss, stetig ihr Strömen. Echte Begegnung öffnet Augen und Herz für das Wasser des Lebens. Wirkliche Begegnung kann seinen Lauf verändern, verwandeln und ihm neue Tiefe schenken.

Zwei Menschen begegnen einander. Johannes der Täufer und Jesus. Schon ihre Namen sind Programm: Johannes, hebräisch Jochanan, heißt übersetzt "JHWH-ist-gnädig", "Gott-ist-Wohlwollen". Und Jesus, hebräisch Jeschua, bedeutet "JHWH-ist-Heil", "Gott-ist-Erlösung". Johannes ist in die Wüste gezogen, um sich dem Ruf Gottes auszusetzen; um am Jordan Rufer zu werden für alle, die ihn fragen: Was sollen wir tun?! Und Jesus ist in die Wüste gezogen, um sich dem Ruf Gottes auszusetzen; um am Jordan Berufung zu erfahren, weil auch er sich fragt: Was soll ich tun?!

Zwei Menschen begegnen einander. Zwei Männer, die "Gott" im Namen tragen. Von ihrer "Gottes"-Begegnung am und im Fluss Jordan erzählen alle vier Evangelisten. Höchst unterschiedlich aber, wie sie es tun. Matthäus, der mit seiner Schilderung am vergangenen Sonntag, dem eigentlichen Fest der Taufe Jesu, zu hören war, Matthäus übernimmt alles, was er bei Markus vorfindet. Vom "Öffnen des Himmels" oder einer Stimme, die aus der Höhe ruft: "Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe" – davon schreibt der Evangelist Johannes nichts. Wohl aber greift er das Tiersymbol der Taube auf, ein Bild für Schönheit, Reinheit und zärtliche Nähe. Im gesamten Vorderen Orient galt die Taube als Liebesvogel, als Botin der jeweiligen Fruchtbarkeits- und Liebesgöttin. Unvergesslich wird sie mir daher bleiben, die weiße Taube am Jordan. Als wir nämlich – eine Gruppe aus der Steiermark auf Bibel-Studienreise – just als wir unser Tauf-Versprechen erneuert haben (klar, mit Jordanwasser!), eben da zeigte sie sich kurz auf dem goldglänzenden Dach der nahen russisch- orthodoxen Kirche. Die weiße Taube am Jordan...

Zwei Menschen begegnen einander. Und miteinander begegnen sie der Ruach-Adonai, der himmlischen Liebes- und Geisteskraft, dargestellt im Bild der Taube. "Dies geschah in Betanien, auf der anderen Seite des Jordan, wo Johannes taufte" (Joh 1,28). Auf jordanischem Staatsgebiet also, etwa 6 km nördlich des Toten Meeres. Betanien findet sich nur beim Evangelisten Johannes. Was er aber überhaupt nicht erwähnt, was im Bibeltext des heutigen Sonntags fehlt, ist die Taufe Jesu selbst. Wollte der Evangelist vermeiden, dass Jesus durch die Übernahme der Bußtaufe in ein schiefes Licht gerät? Der Täufer verlangt tätige Umkehr, Metanoia, und sie schließt das Sündenbekenntnis mit ein. So schreibt etwa Matthäus ganz klar: "Die Leute von Jerusalem, von ganz Judäa und aus der Jordangegend zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden" (Mt 3,5f). Das – wie es im eben gehörten Text heißt - "Lamm, das die Sünde der Welt hinweg nimmt" (Joh 1,29), kann daher nicht selbst der Buße bedürftig sein. Und der "Sohn Gottes" (Joh 1,34), zu dessen Herold der Täufer wird, schon gar nicht. Der Evangelist Johannes legt hier also – wie es der Religionspädagoge Norbert Scholl formuliert – "ohne mit der Wimper zu zucken, dem Täufer die tiefen, erst nach Ostern entstandenen christologischen Aussagen in den Mund".

Zwei Menschen begegnen einander. Der Täufer und Jesus. Immer wieder begegne ICH ihnen, in jeder Messe. Von unzähligen Komponisten vertont, von mir gesungen oder gemeinsam gebetet: "Agnus Dei", "Lamm Gottes"...