Maschinen, die uns ersetzen

Arbeitsfrei

Menschenleere Produktionshallen, Automatisierung, Digitalisierung - in immer mehr Lebensbereichen nehmen uns Maschinen die Arbeit ab. Oder nehmen sie sie uns weg? Sind wir zwangsläufig die Verlierer, der von uns selbst geschaffenen Maschinenwelten oder haben wir noch die Chance, neue, positive Lebensbedingungen zu schaffen?

Blickt man zurück auf historische technologische Revolutionen, so scheinen stets dieselben Faktoren dafür verantwortlich gewesen zu sein, wie stark sich diese Neuerungen auf die Gesellschaft auswirkten. Entscheidend war stets die Geschwindigkeit der Umsetzung. Durch die Einführung bahnbrechender Erfindungen wie dem automatisierten Webstuhl oder der Dampfmaschine hatte eine Nation wie Großbritannien über Jahrzehnte hinaus einen anhaltenden wirtschaftlichen Vorsprung.

Der Weg des Brotes

Um sich der Frage anzunähern, welche Auswirkungen die heutigen technologischen Umbrüche durch Digitalisierung, Vernetzung und Beschleunigung der Kommunikation mit sich bringen, haben sich die beiden Autoren in die "schöne, neue Welt" der Agrarindustrie begeben. Brot, das "archaischste und ursprünglichste aller Lebensmittel" dient als Paradebeispiel für die nahezu vollautomatisierte Industrie. Schließlich zeigen sich in dieser Branche heute schon viele Mechanismen und Technologiewelten, die anderswo ebenfalls schon bald produktionstechnischer Alltag sein werden. Die Entdeckungsreise führt von mittelgroßen Bauernhöfen und gigantischen Agrarfabriken über die Produktion von Landmaschinen, Mahl- und Backfabriken bis hin zur komplett durchdigitalisierten Lieferlogistik.

Vor 150 Jahren war in vielen europäischen Ländern über die Hälfte aller Beschäftigten auf Bauernhöfen, in Mühlen und Bäckereien "in Lohn und Brot". Heute arbeiten weniger als fünf Prozent in der Landwirtschaft. Mit einem modernen Traktor lässt sich ungefähr die vierzigfache Fläche Land in der gleichen Zeit bearbeiten wie früher mit einem Pferd.

Technisch versierte Bauern

Der Spruch "Der dümmste Bauer erntet die dicksten Kartoffeln" gilt auf modernen Maschinen-Höfen längst nicht mehr. Der Landwirt von heute ist ein technisch versierter Zeitmanager. Er muss über den neuesten Stand moderner Anbauverfahren informiert sein, sowie präzise Ackerbau-Planungssoftware und natürlich sämtliche technischen Gerätschaften direkt am Feld beherrschen. Die "clevere Erhöhung des Automatisierungsgrades" trägt längst mehr zum Erfolg seines Unternehmens bei als der berühmte "grüne Daumen".

Beeindruckend ist auch der Besuch in einer Fabrik für ultramoderne Landmaschinen in Westfalen. Eine Schar von Laserschneidern, Stanzgeräten und Schweißrobotern, sowie eine Handvoll den Maschinen zuarbeitende Menschen produzieren bis zu 20 Mähdrescher am Tag. Das entscheidende Kaufargument für die gigantischen Feldmaschinen ist allerdings die Distanz zur nächsten Vertragswerkstatt. Denn während der Erntezeit haben vor allem die Serviceleute Hochsaison.

Roboter, die Roboter bauen

Nach der ausführlichen Untersuchung der automatisierten Agrarindustrie, gewähren Constanze Kurz und Frank Rieger im zweiten Teil ihres Buches weitere Einblicke in die Arbeitswelt von morgen: die vollautomatisierte Herstellung von Industrierobotern, also Roboter, die Roboter bauen; der DaVinci-Chirurgieroboter, Autos ohne Fahrer, "freundliche" Maschinen in der Alten- und Krankenbetreuung und so weiter.

Ein wenig überraschender, aber in dieser Klarheit dennoch verblüffender Trend zieht sich scheinbar durch alle Sparten: der arbeitende Mensch verschwindet aus immer mehr Bereichen der Produktion, sei es physisch oder geistig. Er wird reduziert auf die Rolle des Konstrukteurs und Befehlsgebers.

Brisantes Thema Mindestlohn

Natürlich wird niemand etwas dagegen haben, dass uns heute technische Gerätschaften eintönige, dreckige oder gefährliche Arbeiten abnehmen. Wir sollten dabei allerdings nicht vergessen, dass dies nur passiert, weil die Produktion dadurch günstiger ist und nicht weil Konzernen der Wohlfühlfaktor ihrer Arbeitskräfte so am Herzen liegt.

Diese Entwicklung macht die Diskussion um den Mindestlohn brisanter denn je. Das Autorenduo Kunz und Rieger argumentiert, dass durch die Automatisierung die Konkurrenz am Niedriglohn-Arbeitsplatz immer größer wird und somit Löhne, die Lebenskosten nicht mehr decken, immer häufiger werden. Hinter vorgehaltener Hand bekennen überraschenderweise sogar Vertreter der Automatisierungsindustrie, dass sie große Fans von Mindestlöhnen seien. Eine fixe Untergrenze für die Kosten menschlicher Arbeit wäre ein großer Anreiz für Innovation und Erfindergeist. Die Frage der Automatisierung ist aber natürlich auch eine Frage der Verteilung.

Service

Constanze Kurz & Frank Rieger, "Arbeitsfrei. Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen", Riemann Verlag