100. Geburtstag von William S. Burroughs

Er war eine Ikone der amerikanischen Gegenkultur und gehörte neben Jack Kerouac und Allen Ginsberg zu den Autoren der Beat-Generation, die als Wegbereiter der Hippiebewegung gilt und seither ein zentraler Bezugspunkt der amerikanischen Popkultur ist. Heute vor 100 Jahren wurde William S. Burroughs in St. Louis am westlichen Ufer des Mississippi geboren.

William Burroughs

(c) Ceyrac, DPA

Zeit seines Lebens haftete Burroughs das Image eines Exzentrikers an. Beim Versuch, im Rausch die Apfelszene aus "Wilhelm Tell" nachzustellen, erschoss er versehentlich seine Frau. Seine Heroinsucht verarbeitete er in dem 1959 publizierten Roman "Naked Lunch". Angeregt vom amerikanischen Maler Brion Gysin entwickelte Burroughs eine neue Schreibmethode: Die Cut-up-Methode. Nach dem Cut-up-Prinzip entstanden nicht nur Textmontagen, sondern auch Foto-, Film- und Toncollagen.

Kulturjournal, 05.02.2014

Säulenheiliger der Popkultur, Junkie, Waffennarr, Literatur-Berserker im Gewand eines korrekt gekleideten Spießers. William S. Burroughs war ein Mann der Widersprüche. Die amerikanische Öffentlichkeit schockierte Burroughs mit seinem exzessiven Lebensstil und seinem Drogenkonsum. Ein Wolf im Schafspelz.

1977 ist er zu Gast im kanadischen Fernsehen. Ein hagerer älterer Herr, der die 60 bereits überschritten hat. Seine Aufmachung führt in die Irre: ordentlich gebundene Krawatte, Hornbrille, Sakko und Hemd. Er könnte ein Buchhalter oder Finanzbeamter sein. Doch dieser nette ältere Herr spricht vor einem Millionenpublikum ungerührt über seine Erfahrungen mit Heroin. Fazit: Er bereue nichts, denn als Autor könne man von Erfahrungen profitieren, die für andere unangenehm, oder langweilig seien.

Säulenheiliger der Popkultur

Als Autor bürstete Burroughs die Sprache gegen den Strich und erfand eine eigene Montagetechnik, die in der Tradition der dadaistischen Anti-Kunst stand: die so genannte Cut-up-Methode. Burroughs nahm Textseiten aus Büchern, Zeitungen, oder Manuskripten, schnitt sie in Streifen und arrangierte die herausgeschnittenen Textbausteine neu, so dass neue Satzkombinationen und Bedeutungen entstanden.

Zufällig hatte der amerikanische Maler Bryon Gysin diese Methode in seinem Atelier entdeckt, als er mit einem Cutter Zeitungen zerschnitt, die er als Arbeitsunterlage verwendet hatte. Gysins Freund Williams S. Burroughs war so begeisterte, dass er die Cut-up-Methode in den 1960er Jahren zur Grundlage seiner experimentellen Schreibtechnik machte. Drei Romane, "The Soft Machine", "The Ticket that Exploded" und "Nova Express", verfasste Burroughs nach dem Cut-up Prinzip. Romane, die assoziativen Textlandschaften gleichen, ohne eigentlichen Anfang. Der Leser kann an jeder beliebigen Stelle einsteigen.

Später bearbeitete William S. Burroughs Bild, Ton- und Filmmaterial auf ähnliche Weise, sagt die Kuratorin Synne Genzmer: "Wenn man an die Geschichte der Collage denkt, ist sicher Burroughs einer, der das Collageprinzip am umfassendsten gedacht hat, weil er es als Beschreibung dessen verstanden hat, wie unsere Wahrnehmung und unser Bewusstsein funktioniert, das eben nicht linear ist, sondern ständig unterbrochen wird und dass die Art, wie wir denken, diesem Cut-up-Prinzip eigentlich entspricht."

Mit der Sprache das Bewusstsein spiegeln

Mit der Cut-up-Methode ist William S. Burroughs einer produktionsästhetischen Utopie der Avantgarden auf der Spur, die nach einem neuen, einem unmittelbaren Ausdruck suchen, einem Ausdruck jenseits des kulturellen Rasters, durch das unsere Wahrnehmung und unser Denken gefiltert wird. Die assoziativen Textfragmente, die Cut-ups, die Burroughs zu Textcollagen arrangiert, unterhöhlen die Ordnung konventioneller Erzähltexte. Es entsteht ein Stückwerk, zusammengesetzt aus Gedankensplittern und Wahrnehmungsfetzen.

Als Material dienten Burroughs eigene Manuskripte genauso wie Texte des literarischen Kanons, Shakespeare zum Beispiel, oder Rimbaud. Gerne verarbeitete er aber auch Schlagzeilen aus Tageszeitungen. Und stellte damit drängende Fragen: "Was bedeutet es, wenn 100 Millionen Menschen in die Morgenzeitung schauen und die gleiche Schlagzeile lesen? Wie verbreitet sich das und wie wird diese Nachricht wieder durchbrochen von anderen Eindrücken, die wir aufnehmen, während wir diese Zeitung lesen?", so Synne Genzmer, die 2012 die Ausstellung "Die Kunst des William S. Burroughs. Cut-ups, Cut-ins, Cut-outs" in der Kunsthalle Wien kuratiert hat.

In den 1960er Jahren entstehen Toncollagen, die Burroughs nach dem Cut-up-Verfahren herstellt. Er mischt Musik mit Radioausschnitten und gelesenen Texte, die er in Zeitungen oder Büchern findet. Viele dieser Aufnahmen produzierte Burroughs in einem Londoner Studio der Beatles, sagt Colin Fallows, Professor an der John Moores Universität in Liverpool:

"Es war in Ringo Starrs alter Wohnung am Londoner Montagu Square. Ringo Starr war ausgezogen, weil zu viele Fans seine Wohnung entdeckt hatten. Daraufhin richtete Paul McCartney dort ein Tonstudio ein. William S. Burroughs kannte den Toningenieur dieses Studios und nahm dort einige seiner Cut-up-Toncollagen auf. Das war 1965. Paul McCartney wurde auf Burroughs Technik aufmerksam. Auf dem 'Revolver'-Album der Beatles, das 1966 herausgekommen ist, und auch auf dem Album 'Sgt Pepper's Lonley Hearts Club Band' finden sich einige Nummern, die von Burroughs' Cut-up-Verfahren inspiriert sind. Burroughs hatte also einen direkten Einfluss auf die Popkultur."

Im Studio der Beatles

Burroughs selbst, Jahrgang 1914, konnte mit Rock'n'Roll wenig anfangen. Die Verehrung, die die jüngere Generation ihm entgegenbrachte, genoss er aber durchaus. Als eine Art Säulenheiliger der Avantgarde ist Burroughs auf dem Cover des legendären "Sgt Pepper"-Albums der Beatles abgebildet. Viele Künstler und Künstlerinnen wollten mit Burroughs zusammenarbeiten. Darunter: Patti Smith, David Bowie, Lou Reed und Laurie Anderson.

Spätestens in den 1980er galt William S. Burroughs als lebende Underground-Legende. Bands wie Sonic Youth pilgerten zu seiner Farm in Kansas, um Burroughs, dem Guru der amerikanischen Gegenkultur, persönlich zu treffen.

In seinen späteren Lebensjahren widmete sich Burroughs verstärkt der Malerei. Berühmt sind seine Shotgun-Paintings: Wie bei der Cut-up-Technik gehe es darum, den Zufall in den ästhetischen Prozess zu integrieren. Im ersten Fall mit Hilfe einer Schere, im Fall der Shotgun-Paintings mit Hilfe einer Waffe: William S. Burroughs über seine berühmten Shotgun-Paintings, Produkte eines brachialen Schöpfungsprozesses: Der berüchtigte Waffennarr Burroughs platzierte Farbspraydosen vor Spanplatten und schoss auf diese mit einer Schrotflinte. Am liebsten, so heißt es, brachte er mehrere Farbsprays gleichzeitig zum Explodieren.

Gefeiert wird William S. Burroughs heute in der Volksbühne in Berlin. Im ganzen Haus gibt es Vorträge Lesungen und Konzerte, die dem "großen Maschinisten im Labor der Pop-Kultur" gewidmet sind. Und im Wiener Porgy & Bess gibt das Jazz-Trio Mario Rom's Interzone ein Konzert zu Ehren des Beat-Poeten. Beginn: 20:30 Uhr.