Roman von Ludwig Laher

Bitter

Er ist nicht so bekannt wie Adolf Eichmann oder Reinhard Heydrich. Tausende und Abertausende von Menschenleben hat aber auch er auf dem Gewissen: SS-Sturmbannführer Friedrich Kranebitter. Es ist die in vielem paradigmatische Biografie dieses Mannes, die Ludwig Laher in seinem Roman zum Thema macht. Den Namen "Kranebitter" hat Laher in "Bitter" geändert, was ihm gewisse dramaturgische Freiheiten bietet.

Aufbegehren gegen den kaisertreuen Vater

Kranebitters Lebensgeschichte gleicht der vieler seiner Generationsgenossen aus den sogenannten "Alpen- und Donaugauen", nicht zuletzt ähneln seine biografischen Prägungen denen des etwas älteren Adolf Hitler: der Vater ein kaisertreuer, autoritärer Kleinbürger aus dem Oberösterreichischen, der Sohn - gegen die Welt des Vaters aufbegehrend - wendet sich, unter dem Einfluss von Lehrern und Mitschülern, nach rechts, weit nach rechts, wo in der Spätphase der Habsburger-Monarchie deutschnationale und völkische Organisationen eine gewaltige Anziehungskraft vor allem auf die männliche Jugend ausüben.

Friedrich Kranebitter bildet da keine Ausnahme. Auf Anweisung seines Vaters, der als Gendarm in Schärding am Inn Dienst versieht, muss Kranebitter junior, geboren 1903, gegen seinen Willen das katholische Stiftsgymnasium in Wilhering besuchen. Wegen rechtsradikalen Rabaukentums fliegt er Anfang der 1920er Jahre von der Schule, der junge Mann kommt ans Gymnasium nach Ried im Innkreis.

Klassisch deutschnationale Sozialisierung

Als Aktivist des "Deutschen Turnvereins" und der schlagenden Mittelschulverbindung "Germania" zu Ried erlebt Kranebitter eine klassisch deutschnationale Sozialisierung. Die weiteren Stationen seiner Biografie sind fast schon vorgezeichnet: Der junge Mann übersiedelt nach Wien und wird Polizist. Daneben studiert er Jus. 1931 erfolgt der Eintritt in die NSDAP, wenig später der in die SS.

Friedrich "Fritz" Kranebitter baut einen sogenannten Nachrichtensturm der SS-Standarte 89 auf, eine konspirative Organisation innerhalb der ständestaatlichen Polizei. Nach dem Anschluss Österreichs macht er dann rasch Karriere im nationalsozialistischen Polizei-Apparat: Als Gestapochef von Wiener Neustadt, Charkow und Verona verbreitet er bis zum Untergang des Dritten Reichs Angst und Schrecken, er scheint - die Quellenlage ist dürftig - auch an Kriegsverbrechen und Massen-Exekutionen in der Sowjetunion beteiligt gewesen zu sein.

"Gelegentlich werde ich gefragt, warum ich immer noch Bücher schreibe, die sich mit dieser Zeit auseinandersetzen", sagt Ludwig Laher. "Ich glaube, wir wissen viel über diese Zeit, wir wissen vor allem viel über die Spitze des Eisbergs. Weniger gut wissen wir über die alltäglichen Strukturen der Zusammenhänge der Barbarei Bescheid. Und an der Gestalt Fritz Bitters lässt sich meiner Meinung nach exemplarisch zeigen, wie eines ins andere übergeht."

Porträt eines rücksichtslosen Karrieristen

Ludwig Laher hat sich mit Bedacht gegen das Genre einer klassischen Biografie entschieden. Er habe, wie er betont, kein Sachbuch schreiben wollen: "Ich habe einen Roman geschrieben, weil ich mir auch für dieses Buch eine Sprache zurechtlegen wollte, eine Sprache, die changiert zwischen der Sprache der Täter und der Barbarei und der Sprache der Aufklärung. Das kann von Seite zu Seite wechseln, aber es war mir ganz wichtig, eine Sprache zu finden, die über das Deskriptive hinausgeht."

Ludwig Laher zeichnet in seinem Roman das Porträt eines ebenso rücksichtslosen wie intelligenten Karrieristen. Friedrich Bitter ist von Ehrgeiz zerfressen, ein begnadeter Netzwerker in völkisch-nationalsozialistischen Milieus, ein fanatischer Aufsteiger, der seiner Karriere alles, aber auch wirklich alles unterordnet. Bitters Wandlungsfähigkeit ist enorm. Den Habitus des eiskalten Gestapo-Killers hat er ebenso drauf wie den des draufgängerischen Frauenhelden. Massenmörder und Charmeur, Sadist und Bel Ami, Friedrich Bitter vereint die widersprüchlichsten Charakterzüge in sich. Als Monster, darauf legt Ludwig Laher wert, will er diesen Mann nicht gesehen wissen:

"Das, glaube ich, ist auch ein Grundübel: dass man diese großen Täter in die Auslage stellt und als anders als wir alle begreift. Ich glaube, dass Fritz Bitter in der heutigen Welt mit seiner Ellbogentechnik, mit seiner Rücksichtslosigkeit auch in gewissen Unternehmen eine bedeutende Rolle spielen könnte. Es ist sicher einfach der Zeit geschuldet, dass er meinte, seine Talente - das Wort 'Talente' vielleicht in Gänsefüßchen gesetzt - am besten dort einsetzen konnte, wo es um die Durchsetzung eines politischen Willens geht."

Ein "Getriebener seiner selbst"

Vom deutschnationalen Burschenschafter in Ried im Innkreis zum Massenmörder von Charkow: Es ist ein weiter - und letztlich doch nicht so weiter Weg, den Friedrich Bitter-Kranebitter zurückgelegt hat.

"Ich glaube, er war auch ein Getriebener, eine Getriebener seiner selbst", meint Ludwig Laher. "Es ging ihm um seine Karriere, es ging ihm permanent um Selbstbestätigung. Er verlor das Interesse an Personen sehr schnell, wenn er sie nicht zu seinem Nutzen einsetzen konnte. Er funktionalisierte seine Familie. Ich habe mich auch intensiv mit seinem Privatleben beschäftigt, und das konveniert auf manchmal gespenstische Weise mit dem, was er beruflich durchsetzte."

Schwarzer Schelmenroman

Nach dem Krieg gelang es Friedrich Bitter-Kranebitter mit einer Mischung aus Chuzpe und chamäleonhafter Wendigkeit, sich den Nachstellungen der Justiz - zumindest weitgehend - zu entziehen. Weder die Alliierten noch die österreichische Gerichtsbarkeit konnten dem Gendarmensohn aus dem Innviertel seine Untaten in ihrer ganzen monumentalen Grausamkeit nachweisen. Kurze Zeit, nicht allzu lange, saß Kranebitter in Haft, 1957, mit Anfang fünfzig, starb er als Angestellter der oberösterreichischen Brandschadenversicherung in Linz an einer Krebserkrankung. Ein Brandstifter als Biedermann.

"Mein Hauptanliegen war eigentlich weniger, die Biografie einer konkreten Person zu schildern, sondern anhand der Biografie einer konkreten Person etwas über das Österreich des 20. Jahrhunderts auszusagen, ein Österreich - ich bin Jahrgang 1955 -, aus dem wir hervorgegangen sind, über das wir relativ wenig Bescheid wussten als junge Menschen, und das in vielen Bereichen mit dem Verschweigen und Verdrängen dessen, was passiert ist, Grundlagen schuf für nachfolgende Generationen, die sich heute noch negativ auswirken", so Laher.

In sachlich-süffisantem Tonfall zeichnet Ludwig Laher das Leben Friedrich Bitter-Kranebitters nach. Es ist ein schwarzer Schelmenroman, den Laher da vorgelegt hat, eine grausame Spitzbubengeschichte von, ja, letztlich doch monströser Qualität. Friedrich Bitter-Kranebitter, der Schlächter von Charkow, erscheint als finsterer Zwilling Felix Krulls, als einer, der sich immer wieder rauswindet, wenn's eng wird. Nur, dass es an seiner Geschichte - anders als bei Felix Krull - nichts, aber auch gar nichts zu lachen gibt.

Service

Ludwig Laher, "Bitter", Roman, Wallstein-Verlag