Michio Kaku macht sich Gedanken
Physik des Bewusstseins
Michio Kaku ist theoretischer Physiker und Science-Fiction-Fan. Letzteres schon von Kindesbeinen an. Als Bub, erinnert er sich, hatte er hochfliegende Pläne, was er mit der Macht des Gehirns alles anstellen wollte. Er träumte von Experimenten zu Gedankenübertragung und Telekinese, also dem Bewegen von Objekten durch die Kraft des Geistes.
8. April 2017, 21:58
Er stellte sich auch vor, dass man vielleicht eines Tages Erinnerungen oder Träume in Echtzeit aufzeichnen könnte. Als Fotogalerie sozusagen. Doch dann wurde er erwachsen und erkannte: Das ist alles Unsinn. Es ist nicht machbar.
Steuerung per Gehirn
Allmählich scheint die Wissenschaft nun aufzuholen. Forscher können Träume von in Magnetresonanztomographen schlafenden Menschen zumindest in groben Zügen aufzeichnen. Die Treffsicherheit der Aufzeichnung lässt jedoch noch zu wünschen übrig. Sie beträgt nur 60 Prozent.
In den letzten zehn Jahren, so Michio Kaku, habe man mehr über das Gehirn herausgefunden als in der ganzen Menschheitsgeschichte davor. In Europa und in den USA sind Forscherteams dabei, diese komplexeste aller menschlichen Organe in seinen Details zu erforschen. In seinem Buch "Die Physik des Bewusstseins" beschreibt der Autor, was jetzt schon möglich ist.
Wissenschaftler haben nicht nur begonnen, Träume zu lesen, sie arbeiten auch an Telekinese. US-Forscher implantierten einer, nach einem Schlaganfall gelähmten Frau einen Chip ins Gehirn. Mit diesem kann sie einen Roboterarm kontrollieren und sich beispielsweise so eine Wasserflasche zum Mund führen. Oder: Wer sich einen EEG-Helm aufsetzt, braucht künftig zum Videospielen keine Tastatur mehr, denn damit kann man im virtuellen Raum seinen Avatar mental kontrollieren. Ohne - im wahrsten Sinn des Wortes - einen Finger zu rühren, kann man Fahrzeuge lenken, Waffen abfeuern oder Feinden ausweichen.
Reisen am Laserstrahl
Von solchen Ansätzen ausgehend entwirft Michio Kaku eine wahrlich utopisch anmutende Zukunft:
"Eines Tages wird es möglich sein, unser Konnektom - also den Schaltplan unseres Gehirns - auf einem Medium zu speichern. Wir haben unser Genom, das den Körper kodiert, und dann werden wir auch das Konnektom haben. Wenn wir beides speichern, leben wir eigentlich ewig. Denn alle unsere Hoffnungen, Träume und Erinnerungen bleiben erhalten, wenn wir sterben. Und in dieser Form können wir auch den Weltraum erkunden. Wir können das Universum auf einem Lichtstrahl erkunden. Denn die komplette Information unserer Gene und unseres Gehirns kann man auf einem Laserstrahl deponieren, so auf einen fernen Planeten transportieren, wo sie ein Roboter übernimmt. Das ist die effizienteste Methode, das Universum mit Lichtgeschwindigkeit zu erkunden."
Auf diese Weise könnten Menschen also in andere Sonnensysteme, ja sogar andere Galaxien reisen. Wenn nun der Schaltplan unseres Gehirns auf einem Medium gespeichert ist, dann ist der Mensch eigentlich ein reines Energiewesen. Das kann seine Tücken haben, wie Michio Kaku am Beispiel einer Science-Fiction-Fernsehserie erläutert.
"Bei 'Raumschiff Enterprise' gab es eine Episode, in der hoch entwickelte Energiewesen nur aus Gedanken und Bewusstsein bestanden. Körper hatten sie keine. Das war aber genau das Problem, denn diese Wesen sehnten sich nach Empfindungen. Sie sehnten sich nach einem Körper. Sie wollten fühlen und berühren. Und daher kidnappten sie die Crew der 'Enterprise', weil sie es auf deren Körper abgesehen hatten. Das lässt sich anders lösen: Man lädt das Bewusstsein auf einen Roboter herunter. Dieser kann fühlen. Er kann seine Umgebung erfahren. Und er hat Super-Kräfte und ist super-schön. Wenn das Bewusstsein in einem Körper ist, der fühlen kann, braucht man nicht Spock und Captain Kirk von der 'Enterprise' zu kidnappen."
Ein Kernkraftwerk pro Hirn
Bis es so weit ist, räumt der Stringtheoretiker Michio Kaku ein, wird es noch eine Weile dauern. Dazu müsste man nämlich das menschliche Gehirn bis ins letzte Detail kartiert haben. Derzeit hält man bei etwa zehn Prozent. Auch die Computerkapazität, um Modelle von Hirnvorgängen zu simulieren, hinkt noch hinterher. Derzeit schafft man gerade die Vorgänge in einem Maushirn eine Minute lang zu simulieren. Und das mit dem derzeit besten militärischen Hochleistungscomputer. Wenn man aber schon jetzt ein menschliches Gehirn in all seiner Komplexität simulieren wollte? Dann bräuchte man fürs erste einen Computer, der so groß ist wie ein ganzer Häuserblock.
Dieser Computer würde außerdem die Energie eines Kernkraftwerks brauchen, während das menschliche Gehirn mit erstaunlich geringen 20 Watt auskommt. Und diese, so der Physiker, beziehen wir aus einem Hamburger. Das ist doch erstaunlich.
Michio Kaku glaubt, das menschliche Gehirn könnte gegen Ende des Jahrhunderts kartiert und sein Schaltplan entschlüsselt sein. Die Reise von Brain 2.0, wie der Physiker es nennt, in die Weiten des Alls wird erst im 22. Jahrhundert möglich sein. Der Autor beschreibt, welches Stück Universum er in der Form als Brain 2.0 besonders gerne näher inspizieren würde:
"Ich würde mir gerne das schwarze Loch im Zentrum der Galaxie näher anschauen. Das ist gefährlich. Aber als Laserlicht kann man an schwarzen Löchern vorbeihuschen, ohne von deren Schwerkraft beeinträchtigt zu werden. Wenn man also als Bewusstsein auf einem Lichtstrahl an einem schwarzen Loch vorbeikommt, dann wird man nachher von dieser Erfahrung erzählen können. Man wird nicht in alle Einzelteile zerrissen, denn Licht kann an einem schwarzen Loch vorbeireisen und das heil überstehen."
Service
Michio Kaku, "Physik des Bewusstseins. Über die Zukunft des Geistes", übersetzt von Monika Niehaus, Rowohlt Verlag