Klaus Jürgen Bremm hat recherchiert
Propaganda im Ersten Weltkrieg
Ob der Krieg der Vater aller Dinge ist, wie Heraklit behauptet hat, ist strittig. Unbestreitbar ist, dass der Erste Weltkrieg sich seinen Nachfolger geschaffen hat und dieser viele Techniken und Institutionen des Vorgängers nutzte. Klaus Jürgen Bremm hat der Kriegspropaganda des Ersten Weltkriegs eine Monographie gewidmet.
26. April 2017, 13:56
Propaganda bestimmt den Kriegsverlauf
Im Ersten Weltkrieg ist nicht nur erstmals das ungeheure Vernichtungspotenzial der modernen Waffentechnik zum Einsatz gekommen, er war auch der erste große Propagandakrieg. Die Erforschung der Kriegspropaganda war bisher stark auf die ästhetische Komponente konzentriert: auf Plakate, die den Krieg verniedlichten und den Gegner verächtlich machten, auf die Hasslyrik zweitrangiger Kriegspoeten oder auf die patriotischen Exzesse von Bühnenkünstlern.
Der Militärwissenschaftler Klaus-Jürgen Bremm setzt andere Schwerpunkte. Zunächst hat er einen breiteren Begriff von Propaganda, unter den jedes gelenkte, mediale Handeln fällt, das dem Gegner im eigenen Land, bei Verbündeten oder Neutralen schadet, die Kriegsmentalität des eigenen Heeres und des Hinterlandes stärkt und das eigene Kriegsziel der internationalen Öffentlichkeit als überlegen darstellt. Das sind keine spontanen Interventionen, sondern dahinter stehen manchmal riesige Institutionen, die sich durchaus verschiedener Strategien bedienen und die unter Rechtfertigungszwang stehen. Und so stellt Bremm die Frage, welchen Einfluss Propaganda auf den Kriegsverlauf hatte.
Übersteigerter Patriotismus
Entscheidendes ist allerdings zu Kriegsbeginn ohne staatliche Unterstützung geschehen: eine autonome patriotische Welle unter den Intellektuellen.
Zitat
Noch war kein Schuss in dem so unvermittelt über die europäischen Gesellschaften hereingebrochenen Krieg gefallen, da produzierten schon französische und deutsche Propagandisten auf eigene Faust eine bald unübersehbare Flut von Büchern, Broschüren, hielten patriotische Reden und zeichneten dabei das ins Lächerliche idealisierte Bild der eigenen Nation. Durchwegs griffen sie dabei auf ältere nationale Denkmuster zurück, übersteigerten diese aber jetzt bizarr bis zur Unkenntlichkeit.
Die deutschen Intellektuellen mystifizierten den Krieg und riefen in den "Ideen von 1914" einen Endzeitkampf zwischen den britischen "Händlern" und den deutschen "Helden", den "Dichtern und Denkern" aus. Bremm registriert hier zu Recht ein Element von "Selbstmanipulation", denn solches wurde zeitgleich mit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch ins neutrale Belgien, dem Gemetzel an der Zivilbevölkerung und der Zerstörung von Kulturdenkmälern verkündet. Das war - so Bremm - eine "propagandistische Steilvorlage", das Bild vom "Hunnen" und von der humanistischen Zielsetzung der Entente dominierte von nun an den Kriegsverlauf.
Diese Überhöhung des Krieges beeinflusste die Mentalitäten und verhinderte, dass die Gegner nach jenen ersten vier Monaten mit ihren millionenfachen Verlusten sich an den Verhandlungstisch setzten. Es war ja schnell klar geworden, dass die geplanten Materialschlachten keiner Seite den schnellen Sieg bringen würden. Propaganda verhinderte auf beiden Seiten die Einsicht in die mangelnde Effizienz der Kriegsführung.
Deutschlands "Opfer"-Rolle
Die Gegner Deutschlands hatten die Opferposition besetzt, die deutsche Heeresleitung reagierte mit einer aufdringlichen Propaganda, mit der sie die Unschuld am Krieg und die Überlegenheit der deutschen Kultur beweisen wollte. Gegenüber dieser Aufdringlichkeit entwickelten die Engländer das Konzept von der Propaganda, die als solche nicht erkannt werden darf - neutrale Untersuchungsausschüsse, anstelle von patriotischen deutschen Professoren, die selbst die Versenkung des Passagierschiffes "Lusitania" mit ihren zahlreichen auch amerikanischen Opfern rechtfertigten. Allerdings: die Deutschen waren insofern richtungsweisend, als ihre Propaganda an die Massen und nicht an die Elite adressiert war.
Eine wichtige Zielgruppe war die - teilweise deutschstämmige - Bevölkerung der Vereinigten Staaten, wo etwa der Pressetycoon Randolph Hearst ein entschiedener Sympathisant Deutschlands war. Präsident Wilson hat allerdings die Zerstörung Löwens durch die deutschen Truppen als einen Angriff auf die Grundwerte der amerikanischen Zivilisation gedeutet, doch bedurfte es zahlreicher Interventionen - etwa einer getarnten französischen Propagandazentrale - bis die Stimmung des Isolationismus zugunsten des Konzepts einer "Neuen Weltordnung" mit den USA als Schiedsrichter überwunden war.
Erstes Opfer Wahrheit
Eine zweite Zielgruppe waren die sich vom Gegner unterdrückt fühlenden Nationen und Klassen. Deutsche Soldaten trugen antirussische Flugblätter nach Polen und die Regierung sandte den Revolutionär Lenin im plombierten Wagon heim - mit den bekannten Folgen. Aus heutiger Sicht besonders absurd war der deutsche Versuch, in der islamischen Welt einen Glaubenskrieg gegen die europäischen Kolonialherren zu inszenieren; dem Archäologen Max von Oppenheim trug das den Spitznamen "Abu Djihat" ein und er gilt heute noch als Pionier des politischen Islams. Immerhin: Türkische und arabische Zeitungen spekulierten, Wilhelm II. sei zum Islam konvertiert.
Bremms Buch ist keine Archivarbeit, sondern orientiert sich an unzähligen vorliegenden Darstellungen. Es schneidet ein breites Feld an, das Bemühen des Autors um Systematik war nicht immer erfolgreich. Aber es ist voll von bunten Geschichten, die alle den alten Spruch bestätigen, dass die Wahrheit das erste Opfer des Krieges ist.
Service
Klaus Jürgen Bremm, "Propaganda im Ersten Weltkrieg", Theiss-Verlag
DVD-Edition "Krieg der Bilder. Lüge und Propaganda im Ersten Weltkrieg", Filmarchiv Austria