Bibelkommentar zu Johannes 20, 1 - 18
Maria von Magdala ist eine der faszinierendsten Figuren, von denen die Bibel erzählt.
Sie ist, dem Evangelium nach Johannes zufolge, die Erste, die nach Jesu Tod am Kreuz zum Grab läuft. Sie ist die Erste, die den Auferstandenen sieht. Sie ist die erste Zeugin.
8. April 2017, 21:58
Als "Apostolin der Apostel", wie sie genannt wurde, taucht sie freilich bald nicht mehr auf. Apostel, das sind fortan 12 Männer. Die Frau findet sich anderswo wieder, in Bildern: Maria von Magdala wird zur verführerisch schönen, auch entblößten Frau, mit langem offenen Haar. Ein Objekt der gefährlichen Begierde.
Die biblischen Texte erzählen: Maria von Magdala steht unter dem Kreuz. Sie läuft zum Grab. Sie erkennt den Auferstandenen. Aber sie fehlt, als Männer beginnen, das Haus der Kirche zu bauen. Während Petrus den Schlüssel bekommt, malt man ihr eine gute Figur. Wie kaum eine andere Gestalt der biblischen Texte eignet sich Maria von Magdala daher als Anstoß, die Rolle der Frau in der Kirche gründlich zu überdenken.
Doch die Kunstgeschichte zeigt auch andere Bilder, etwa jenes, in dem man ihre Begegnung mit Jesus sieht, von der das Johannesevangelium erzählt. Oft heißen die Bilder nach jenem berühmten Satz, den Jesus in dieser Szene in der lateinischen Übersetzung spricht: "Noli me tangere", was meist mit "Rühr mich nicht an" übersetzt wird. Es ist jene sehr kurze, aber umso intensivere und zärtliche Stelle des Johannesevangeliums, die in der Kunst so oft dargestellt wird, die eigentlich innehalten lassen müsste. Was geschieht da Ungeheuerliches?
Da ist eine Frau, die den verloren hat, den sie geliebt hat, an den sie geglaubt hat. Was für eine Verzweiflung. Und dann ist sogar der Leichnam weg. Was für eine Bodenlosigkeit. Tränen machen blind, Trauer macht taub.
Da spricht sie der, den sie nicht erkennt, mit ihrem Namen an, heißt es. "Maria!", sagt er. Nun erkennt sie ihn. Eine zärtliche, intime Szene. Erkennen, weil man angesprochen wird. "Magdalenensekunde" nennt der Schriftsteller Patrick Roth jenen Moment, in dem Maria von Magdala gesehen wird und sieht, gerufen wird – und erkennt.
Maria von Magdala und der, den sie zunächst für einen Gärtner hält: Was hier erzählt wird, ist eine Szene wie in einem Traum, in dem ein verloren gegangener geliebter Mensch wieder erscheint. Er scheint lebendig, ganz selbstverständlich lebendig. Im Traum wundert man sich auch nicht darüber, dass er wieder lebt – dann wacht man auf und ist unendlich traurig, dass man ihn nicht festhalten konnte. Kaum ist man wach, will man festhalten. Weil man weiß, dass er nicht bleiben wird.
Auch in dieser so kurz beschriebenen und doch so intensiven Szene wird das Festhalten verhindert. Dass Maria von Magdala den angreifen, festhalten, an sich drücken will, den sie gerade als den Verlorengeglaubten erkennt, wird jedem einleuchten. Er aber sagt: "Noli me tangere" zu ihr. "Mögest du mich nicht angreifen."
Was wird hier erzählt? Ist das Auferstehung oder Sterben?
Hier wird ein Wissen aus Liebe erzählt, meint der französische Philosoph Jean-Luc Nancy. Und er schreibt in seinem Buch "Noli me tangere" folgendes über diese Ungeheuerlichkeit:
"Du hältst nichts, du kannst nichts halten noch festhalten, und dies ist, was du lieben und wissen musst. Eben dies ist ein Wissen aus Liebe. Liebe, was dir entkommt, liebe den, der fortgeht. Liebe, dass er fortgeht."
Ist das nun Sterben oder Auferstehung?