Putin baut Kulturpolitik um
Russland entfernt sich immer weiter vom Westen, auch im Kulturbereich. Eine neue, streng auf Patriotismus ausgerichtete Kulturpolitik soll helfen, die kulturelle und geistige Einheit zu festigen - wie es in einem neuen Leitbild heißt, das das Kulturministerium ausgearbeitet hat. Menschenrechtler warnen, dass die russische Kulturpolitik ideologisiert werde. Und der Druck auf regierungskritische Künstler wird immer größer.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 22.4.2014
Der genetische Code der Russen
Das russische Volk ist den anderen überlegen, betonte Präsident Wladimir Putin zuletzt bei seiner Fernseh-Fragestunde vor wenigen Tagen. Russland habe wie ein Staubsauger verschiedenste Ethnien und Nationalitäten aufgesogen und so sei nicht nur ein besonderer kultureller, sondern auch genetischer Code entstanden: "Dieser genetische Code ist einer unserer Konkurrenzvorteile in der modernen Welt. Er ist sehr zäh und widerstandsfähig." Russen, so meint Putin, verfolgten höhere moralische Werte als die Bürger des Westens: "Ein Russe oder Angehöriger der russischen Welt denkt vor allem daran, dass es eine höhere moralische Vorbestimmung eines Menschen gibt. Während im Westen vor allem der individuelle Erfolg des Einzelnen zählt, denken wird auch an die Gesellschaft. Unsere Seele ist großzügiger." Einziges Fundament, auf dem ein erfolgreicher Staat gebaut werden könne, sei der Patriotismus, der Glaube an den Erfolg des Vaterlandes, so Putin.
Kulturpolitik auf Patriotismus getrimmt
Nachdem die Fernsehkanäle schon vom Kreml gesteuert sind, während unabhängige Medien und Kritiker immer stärker unter Druck geraten gleicht mundtot gemacht werden, soll nun auch die Kulturpolitik auf Patriotismus getrimmt werden. In einem neuen Leitbild des Ministeriums heißt es: Russland sei ein Sonderfall, der weder zu Europa, noch zum Osten gehöre und dessen kulturelle und geistige Einheit gefestigt werden soll. Kritische Vertreter der Kulturwelt stören da nur und werden aussortiert. Vor kurzem wurde der Kurator des russischen Pavillons der bevorstehenden Architekturbiennale in Venedig gefeuert. Der renommierte Architekturkritiker hatte zuvor die Ukraine-Politik Putins kritisiert. Ebenfalls nicht mehr erwünscht sind Putin-Kritiker im Expertenrat für Dramaturgie des Kulturministeriums.
Gleich mehrere flogen aus diesem Expertenrat, darunter die Dramaturgin Jelena Kowalskaja- eine langjährige Verfechterin des sogenannten Neuen Dramas. Diese sozialkritische Form des Theaters sei nun nicht mehr gewünscht, vermutet Kowalskaja: "Sie ist sozialkritisch, zeigt, dass es auch Menschen am Rande der Gesellschaft gibt, dass das Leben in Russland schwer ist. Eine Realität eben, die sonst nirgends gezeigt wird, weder im Fernsehen, noch im Kino, noch in den Zeitungen."
Wie damals in der Sowjetunion
Nun dürften in den staatlichen Kultureinrichtungen eben nur noch Paradebilder des Vaterlands gezeigt werden, meint Kowalskaja. Bilder, die den Menschen vorgaukelten, dass Russland eine Großmacht sei, die alles richtig mache. So wie damals, in der Sowjetunion.
Ist die neue russische Kulturpolitik also ein Schritt dorthin zurück? "Ich habe das Gefühl, als ob die letzten 20 Jahre nicht stattgefunden hätten. Wir kehren nicht nur zur Sowjetunion zurück, sondern sehen, wie viele Chancen wir in den 1990-er Jahren verpasst haben, ein normales, ehrliches, demokratisches Land zu werden. Nun haben wir eben jenes Land, das wir erschaffen haben."
Kritische Kunst überlebe aber immer, zeigt sich die Dramaturgin Jelena Kowalskaja optimistisch. Und sei es in privaten Nischen, weit ab von staatlichen Kulturtempeln. Unterdessen rollt die russische Patriotismuswelle weiter und erfasst auch die Mathematikbücher für Volksschüler. Ein beliebtes Lehrbuch landet auf der Schwarzen Liste- weil darin keine russischen, sondern ausländische Märchenfiguren wie Schneewittchen abgedruckt sind.