Leben mit Behinderung

Was passiert, wenn jemand ein unabhängiges Leben führen, seine eigenen Entscheidungen treffen will, aber wegen einer Behinderung eigentlich auf Hilfe angewiesen ist? Davon erzählt "Gabrielle" - der neue Spielfilm der kanadischen Filmemacherin Louise Archambault.

Gabrielle Marion-Rivard

(c) Alamode Filmverleih

Kulturjournal, 29.04.2014

Die Protagonistin des Films hat das Williams-Beuren-Syndrom, einen seltenen genetischen Defekt. Zugleich aber haben Menschen mit dieser Behinderung häufig eine besondere Sensibilität für Klänge und Musik. Und eine dementsprechend wichtige Rolle spielt die Musik auch in Louise Archambaults Film, der ab Donnerstag in den heimischen Kinos zu sehen ist.

Lebensfrohe Gabrielle

Gabrielle möchte unabhängig leben. Sie möchte eine Beziehung mit Martin führen den sie im gemeinsamen Chor kennengelernt hat, und sie möchte selbst über ihr Leben entscheiden. Doch ihre Behinderung macht all das schwierig. Die eigene Wohnung und die Beziehung sowieso, denn die Mutter ihres Freundes ist skeptisch, hat Angst um ihren Sohn und will das junge Glück nicht akzeptieren.

Das klingt nach schwerer Filmkost, doch genau das ist Louise Archambaults Film nicht. Zum Einen liegt das an der Lebensfreude der Protagonistin und am großartigen Schauspielensemble, in dem Menschen mit Behinderung mit professionellen Schauspielern zusammenarbeiten - zum anderen auch an der leichtfüßigen Art und Weise, wie Archambault diese Geschichte über das Erwachsenwerden, die Liebe und die Suche nach dem Glück erzählt.

Glück der Außenseiter

Am Anfang des Projekts sei die Idee gestanden, über das Glück derer zu erzählen, die in der Gesellschaft als Außenseiter gelten, und gewissermaßen unsichtbar sind, so Louise Archambault.

Gabrielle heißt dann nicht nur die Filmfigur, sondern auch die Schauspielerin die sie verkörpert. Den Chor in dem sie singt gibt es tatsächlich, und auch das Montrealer Zentrum Les Muses in dem sie lebt - eine Einrichtung, die Menschen mit Behinderung eine Ausbildung in Schauspiel, Gesang und Tanz bietet. Dort hat Archambault auch den Großteil ihrer Protagonisten gefunden, für die sie ihre gewohnte Arbeitsweise am Set komplett umgestellt hat:

"Alle Laiendarsteller die mitgespielt haben, haben ihren Vornamen auch in der Filmrolle behalten. So konnten wir uns immer wieder einen Spaß erlauben, spontan mitfilmen oder improvisieren. Ich habe im Laufe des Drehs von meinem Drang nach Perfektion losgelassen, habe meine Vorstellungen über den Haufen geworfen und mich einfach auf die jeweilige Situation eingelassen. Ich habe versucht einfach nur präsent zu sein, und die magischen Momente zu finden."

Das Leben genießen

Spielfilme über Menschen mit Behinderung wählen oft einen Zugang, der sich der Lebenswelt der Figuren über die Berührungsängste der Gesellschaft annähert. Archambault hingegen erzählt von Anfang an aus der Perspektive Gabrielles. Und verlässt diese nur in einigen wenigen Szenen. Etwa wenn sie die Geschichte von Gabrielles Schwester weitererzählt, die vor der schwierigen Entscheidung steht, ihr eigenes Leben zu leben, oder für Gabrielle da zu sein.

"Gabrielle" ist ein großartig unaufgeregter Film über eine junge Frau, die ihr Leben in vollen Zügen genießen will. Und über ihr Umfeld, das für sie entscheiden muss, wie viel Freiheit ihr dabei zugestanden werden kann. Ein Film, der in der deutschen Synchronfassung allerdings viel von seiner Glaubwürdigkeit verliert.