Eine Entwicklungsgeschichte des Begriffs Lebenskrise

Die Kunst der Bruchlandung

Dirk Knipphals geht es in "Die Kunst der Bruchlandung" nicht um die Wirtschaftskrise oder die Finanzkrise, also um all das, was heute als gesellschaftliche Krisensymptomatik gilt, sein Buch ist vielmehr eine Entwicklungsgeschichte des Begriffs "Lebenskrise".

Wann bekommen Lebenskrisen welche Namen und wie gehen wir mit ihnen um, was können wir aus ihnen lernen?

Krisen, die uns aus der Bahn werfen

Neben den generationellen Krisen wie Pubertät, Midlife-Crisis oder Pensionsschock sind es vor allem individuelle Aufkündigungen des Alltags, verursacht durch Trennungen, Scheidungen, Krankheiten oder Todesfälle, die uns aus der Bahn werfen.

Zu der Routine der Beziehungskrisen treten immer häufiger Leiden, die durch das Berufsleben verursacht werden – Burn Out und Stress werden oft genannt. Von all diesen Krisen kann jeder erzählen, man hört davon am eigenen Küchentisch oder an der nächsten Bartheke, aber auch in den professionellen Therapeutenzimmern. Die Reflexion von Krisen ist heute Normalität, doch das war nicht immer so.

Über Krisen sprechen

Damit Krisen überhaupt als Krisen kommunizierbar werden, muss sich erst ein Bewusstsein für ihre Möglichkeit herausbilden. Diese Erfindung des Menschen als krisenanfälliges Wesen ist relativ neu. Die verstörten Kriegsheimkehrer des Ersten Weltkriegs, schreibt Knipphals, wurden als sogenannte Schüttler und nicht als Traumaopfer bezeichnet.

Der heutige therapeutische Diskurs hört, geschult durch das von der Psychoanalyse entdeckte ödipale Familiendrama, viel genauer auf das Leid des Einzelnen. Er nimmt die Krisen ernst und stellt, gemeinsam mit Filmen und Büchern, ein Vokabular für ihre Bearbeitung bereit. Wer mit anderen über ihr Intimstes spricht weiß: Heute erscheint ein Leben ohne Krisen viel unverständlicher als eines mit Krisen.

Persönliche und gesellschaftliche Krisen

Lebenskrisen haben freilich nicht nur persönliche Ursachen, sondern sind selbst auch gesellschaftlich motiviert. Knipphals erinnert in seinem Buch an den langen Atem der Protestkultur seit den 1960er Jahren. Das Anders-Sein und Anders –Leben-Wollen waren lange Zeit der Grund von persönlichen und politischen Identitätskrisen.

Heute erscheint bereits die Berufswelt für viele als eine Welt, die von alternativen und künstlerischen Lebensentwürfen gelernt und Kreativität zum Anforderungsprofil erklärt hat.

Dass Krisen zu ernst genommen werden, ist ein Gedanke, der bei Knipphals nicht vorkommt. Möglicherweise aber führt zu viel Krisenlamento des in sich selbst gefangenen Ichs zu einem dünnhäutigen Narzissmus. Dessen Kehrseite wäre eine hartnäckige Depression, die man nicht wie eine eruptiv auftretende Krise nach einer gewissen Zeit überwunden haben wird: Man leidet in der narzisstischen Depression daran, nicht der Wichtigste und Größte zu sein.

Service

Dirk Knipphals, "Die Kunst der Bruchlandung", Rowohlt Berlin Verlag